Im Falle eines Betriebsübergangs geht das Arbeitsverhältnis mit allen Rechten und Pflichten nach § 613a BGB auf den Betriebserwerber über. Das Bundesarbeitsgericht hat nun klargestellt, dass sich ein Betriebserwerber die Kenntnis des Rechtsvorgängers von der Schwerbehinderung zurechnen lassen muss (BAG, Urt. v. 11.12.2008 – 2 AZR 395/07).
Die Entscheidung ist auch aus anderen Gründen lesenswert. Das BAG hat endgültig entschieden, dass der schwerbehinderte Arbeitnehmer die Schwerbehinderteneigenschaft innerhalb einer angemessenen Frist von drei Wochen (früher ein Monat) geltend machen muss. Ferner greift im Fall des Betriebsübergangs nicht die Vorschrift des § 90 Abs. 2a SGB IX.
Der Sachverhalt der Entscheidung:
Der klagende Arbeitnehmer war bei den Rechtsvorgängern des jetzigen Arbeitgebers bereits seit 1989 beschäftigt. Er hatte einen Grad der Behinderung von 60. Das Arbeitsverhältnis ging zunächst im Jahre 2000 auf die Firma D. über. Nach dem mit der Firma D. neu abgeschlossenen schriftlichen Arbeitsvertrag wurde zusätzlich zum Jahresurlaub „entsprechend dem Schwerbehindertengesetz“ Anspruch auf weiteren Urlaub von fünf Tagen vereinbart. Am 1. April 2002 fand ein weiterer Betriebsübergang statt, diesmal auf den beklagten Arbeitgeber.
Der Arbeitnehmer war in der Betriebsstätte B. eingesetzt, zuletzt als einziger Arbeitnehmer. Der Beklagte hatte beschlossen, diesen Standort zum 30. Juni 2005 zu schließen und kündigte das Arbeitsverhältnis mit dem Schwerbehinderten im Februar 2005 zum Ende August 2005. Die Zustimmung des Integrationsamtes wurde nicht eingeholt. Ende Juni 2005 wurde das Arbeitsverhältnis – diesmal nach Einholung der Zustimmung des Integrationsamtes – erneut ordentlich gekündigt.
Der Arbeitnehmer hat mit seiner fristgerecht eingegangenen Klage die Unwirksamkeit der Kündigungen geltend gemacht. Er hat betriebsbedingte Kündigungsgründe bestritten und im Laufe des ersten Rechtszuges zusätzlich geltend gemacht, die erste Kündigung sei wegen Verstoßes gegen das SGB IX unwirksam. Er habe die Rechtsvorgängerin des Beklagten, die Firma D., über seine Anerkennung als schwerbehinderter Mensch, unterrichtet. Sein Arbeitgeber müsse sich die Kenntnis der Rechtsvorgängerin als eigenes Wissen zurechnen lassen, zumal im Arbeitsvertrag ausdrücklich der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte aufgeführt sei. Es komme deshalb nicht darauf an, dass er sich erst im Juli 2005 auf den Sonderkündigungsschutz berufen habe.
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz die Entscheidung des Arbeitsgerichts bestätigt.
Die Entscheidung:
Das Bundesarbeitsgericht hat sich im Revisionsverfahren den Ausführungen der Vorinstanzen angeschlossen und die Revision des Arbeitgebers zurückgewiesen.
I. Maßgebliche Fristen
Wird einem Schwerbehinderten gekündigt, müssen sowohl Klagefristen als auch Mitteilungsfristen von dem Schwerbehinderten zwingend beachtet werden.
1. Klagefrist drei Wochen
Die Klagefrist nach § 4 KSchG beträgt bekanntlich drei Wochen. Diese Frist wurde von dem Arbeitnehmer gewahrt. Innerhalb dieser Frist hat er allerdings nicht die Unwirksamkeit der Kündigung nach § 85 Abs. 1 SGB IX geltend gemacht. Das war jedoch unschädlich, denn diesen Unwirksamkeitsgrund hatte er noch innerhalb des ersten Rechtszuges in den Prozess eingeführt, was nach § 6 KSchG ausreichend ist.
2. Mitteilung der Schwerbehinderung an den Arbeitgeber: Jetzt Drei-Wochen-Frist!
Der Sonderkündigungsschutz nach den §§ 85 ff. SGB IX steht dem Schwerbehinderten an sich auch dann zu, wenn der Arbeitgeber von der Schwerbehindereigenschaft oder der Antragstellung nichts wusste. Allerdings beurteilt das Bundesarbeitsgericht die Verwirkung des Rechts des Arbeitnehmers, sich nachträglich auf eine Schwerbehinderung zu berufen und die Zustimmungsbedürftigkeit der Kündigung geltend zu machen, nach strengen Grundsätzen. Danach muss der Arbeitnehmer, wenn er sich den Sonderkündigungsschutz erhalten will, nach Zugang der Kündigung, innerhalb einer angemessenen Frist, die drei Wochen beträgt, gegenüber dem Arbeitgeber seine bereits festgestellte oder zur Feststellung beantragte Schwerbehinderteneigenschaft geltend machen. Unterlässt der Arbeitnehmer diese Mitteilung, so dass hat er den besonderen Kündigungsschutz verwirkt. Die Verwirkung setzt jedoch voraus, dass der Arbeitgeber die Schwerbehinderung oder den Antrag nicht kennt und deshalb mit der Zustimmungspflichtigkeit der Kündigung nicht rechnen kann.
Hinweis für die Praxis:
Das Bundesarbeitsgericht hat die vorliegende Entscheidung zum Anlass genommen, seine bereits im Jahre 2006 angekündigte Rechtsprechungsänderung nunmehr umzusetzen. Arbeitnehmer, die sich nicht innerhalb von drei Wochen gegenüber dem Arbeitgeber erklären, verlieren im Prozess damit das Recht, die Unwirksamkeit der Kündigung nach §§ 85 ff. SGB IX geltend zu machen.
II. Schwerbehinderung und Betriebsübergang
Im Streitfall hatte der Arbeitnehmer seinen Sonderkündigungsschutz dem Arbeitgeber erst Monate nach der Kündigung mitgeteilt. Die Dreiwochenfrist wurde also nicht eingehalten. Dennoch hat das Bundesarbeitsgericht entschieden, dass der Arbeitnehmer sein Recht, den Sonderkündigungsschutz geltend zu machen, nicht verwirkt hat. Der Rechtsvorgänger des Arbeitgebers hatte bereits Kenntnis von derSchwerbehinderteneigenschaft. Der beklagte Arbeitgeber muss sich als Betriebserwerber diese Kenntnis nach § 613a Abs. 1 BGB zurechnen lassen.
Dem Arbeitnehmer sollen nach § 613a BGB die Rechte erhalten bleiben, die ihm gegenüber dem Betriebsveräußerer bereits zustanden. Dies gilt nach Auffassung des BAG gerade auch für bestehenden Sonderkündigungsschutz. Die Vorschrift des § 613a BGB will verhindern, dass der Übernehmer bei der Übernahme der Belegschaft eine Auslese trifft; er soll sich insbesondere nicht von den besonders schutzbedürftigen älteren, schwerbehinderten, unkündbaren oder sonst sozial schwächeren Arbeitnehmern trennen können. Keiner der Vertragsparteien soll zusätzliche Rechte durch den Betriebsübergang erwarten. Müsste nun der Arbeitnehmer eine von ihm bereits erfüllte Obliegenheit erneut erfüllen, um den Sonderkündigungsschutz nicht aus Anlass des Betriebsübergangs zu verlieren, so brächte der Betriebsübergang für ihn einen kündigungsrechtlichen Nachteil.
Hinweis für die Praxis:
Der vollständige Eintritt des Betriebsübernehmers in die Rechte und Pflichten des bisherigen Arbeitgebers bedeutet nach dieser Rechtsprechung nicht nur eine Nachfolge in rechtliche Beziehungen. Vielmehr muss sich der Betriebsübernehmer auch Gegebenheiten zurechnen lassen, die als Tatbestandsmerkmale für spätere Rechtsfolgen von Bedeutung sind. In gleicher Weise hat das Bundesarbeitsgericht bereits für den Fall der Einhaltung von Ausschlussfristen entschieden. Die rechtzeitige Geltendmachung von Forderungen aus dem Arbeitverhältnis gegenüber dem Betriebsveräußerer reicht danach zur Wahrung der Ausschlussfrist auch gegenüber dem Betriebserwerber.
III. Keine erneute Mitteilungspflicht nach § 90 Abs. 2a SGB IX
Dem Betriebserwerber muss der Schwerbehindertenbescheid nicht erneut vorgelegt werden, damit der Sonderkündigungsschutz erhalten bleibt. Die Vorschrift des § 90 Abs. 2a SGB IX findet entgegen in der Literatur gelegentlich vertretenen Auffassungen keine Anwendung. Sinn der Einführung des § 90 Abs. 2a SGB IX war die Abstellung von Missbräuchen. Kurz vor dem Ausspruch von Kündigungen sollten von vornherein aussichtslose Anträge auf Anerkennung als schwerbehinderter Mensch nicht mehr kündigungsschutzrechtlich beachtet werden. Hatte der Arbeitgeber bereits Kenntnis von der Schwerbehinderung oder muss sich diese Kenntnis – wie im Fall des Betriebsübergangs – zurechnen lassen, besteht für die Anwendung dieser Vorschrift keinerlei Bedürfnis und Anwendungsbereich.
Fazit:
Das Bundesarbeitsgericht hat der vorliegenden Entscheidung seine Rechtsprechung zum Schwerbehindertenrecht weiter präzisiert und ausgestaltet. Im Falle eines Betriebsübergangs sollte sich der Betriebserwerber auch nach bestehendem Sonderkündigungsschutz für schwerbehinderte Menschen ausdrücklich bei dem Betriebsveräußerer erkundigen, um spätere Risiken so auszuschließen.
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