23.08.2009

 

Bauunternehmungen gehören zu einer besonders insolvenzgeplagten Branche. Wird ein Insolvenzverfahren während der Bauphase eröffnet und wählt der Insolvenzverwalter die Erfüllung (§ 103 Abs. 1 InsO), stellt sich die Frage, ob das Finanzamt (FA) die gesamte Umsatzsteuer aus den Werklieferungen insgesamt als Masseverbindlichkeit (§ 55 Abs. 1 Nr. 1 InsO) beanspruchen kann oder nur die Umsatzsteuer, auf die nach Insolvenzeröffnung erbrachten Leistungen entfällt. Die Umsatzsteuer auf vorinsolvenzliche Leistungen wäre dann eine einfache Insolvenzforderung (§ 38 InsO) des FA.

Mit Urteil vom 30. April 2009 (V R 1/06) hat der BFH zur Abgrenzung Stellung genommen.

1.      Masseverbindlichkeiten

Zu den Masseverbindlichkeiten gehören die Verbindlichkeiten, die

„durch Handlungen des Insolvenzverwalters oder in anderer Weise durch die Verwaltung, Verwertung und Verteilung der Insolvenzmasse begründet werden, ohne zu den Kosten des Insolvenzverfahrens zu gehören“.

Gleiches gilt nach § 55 Abs. 1 Nr. 2 InsO für Verbindlichkeiten aus gegenseitigen Verträgen, soweit deren Erfüllung zur Insolvenzmasse verlangt wird oder für die Zeit nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens erfolgen muss.

2.      Zeitpunkt entscheidet, zu dem der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist

Ob es sich bei einem Steueranspruch um eine Insolvenzforderung oder um eine Masseverbindlichkeit handelt, bestimmt sich nach dem Zeitpunkt, zu dem der den Umsatzsteueranspruch begründende Tatbestand vollständig verwirklicht und damit abgeschlossen ist. Unerheblich ist demgegenüber der Zeitpunkt der Steuerentstehung. Welche Anforderungen im Einzelnen an die somit erforderliche vollständige Tatbestandverwirklichung im Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung zu stellen sind, richtet sich nach den jeweiligen Vorschriften des Steuerrechts, nicht aber nach dem Insolvenzrecht.

  • Kommt es umsatzsteuerrechtlich zur vollständigen Tatbestandsverwirklichung bereits vor Verfahrenseröffnung, handelt es sich um eine Insolvenzforderung;
  • erfolgt die vollständige Tatbestandsverwirklichung dagegen erst nach Verfahrenseröffnung, liegt unter den Voraussetzungen des § 55 InsO eine Masseverbindlichkeit vor.

Nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG entsteht bei der Berechnung der Steuer nach vereinbarten Entgelten (§ 16 Abs. 1 Satz 1 UStG) die Steuer mit Ablauf des Voranmeldungszeitraums, in dem die Leistungen (hier Werklieferungen) ausgeführt worden sind. Das gilt auch für Teilleistungen. Sie setzen nach § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 3 UStG voraus, dass das Entgelt für bestimmte Teile einer wirtschaftlich teilbaren Leistung gesondert vereinbart wird.

Nach § 3 Abs. 1 UStG sind Lieferungen eines Unternehmers Leistungen, durch die er den Abnehmer befähigt, im eigenen Namen über einen Gegenstand zu verfügen (Verschaffung der Verfügungsmacht). Für Werklieferungen i.S. des § 3 Abs. 4 UStG gilt nichts anderes. Die Lieferung erfolgt regelmäßig mit Fertigstellung und Abnahme (§ 640 BGB). Der zivilrechtliche Eigentumsübergang ist unbeachtlich.

Fehlt es an einer gesonderten schriftlichen Vereinbarung von separaten Teilleistungen, so kommt es umsatzsteuerrechtlich zur vollständigen Tatbestandsverwirklichung regelmäßig erst bei Abnahme des Gesamtwerks. Die (Werk-) Lieferung ist dann erst nach Verfahrenseröffnung erfolgt.

3.      Keine Teilleistungsberechtigung aus § 103 InsO

Eine Teilleistungsvereinbarung ergibt sich auch nicht aus § 103 InsO. Das Wahlrecht des Insolvenzverwalters nach § 103 InsO führt nur dazu, dass entweder die weitere Erfüllung unterbleibt und sich der Leistungsaustausch auf das nicht fertig gestellte Werk beschränkt oder aber die Leistung wie ursprünglich vorgesehen erbracht wird.

4.      Ausnahme: Vorauszahlungen, Anzahlungen, Abschlagszahlungen

Eine Ausnahme gilt allerdings für vor Insolvenzeröffnung vereinnahmte Entgelte (Vorauszahlungen, Anzahlungen, Abschlagszahlungen). Soweit der spätere Insolvenzschuldner Entgelte bereits vor Verfahrenseröffnung vereinnahmt hatte, liegt keine Masseverbindlichkeit vor. § 13 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 UStG enthält hierzu einen selbständigen und abschließenden Steuerentstehungstatbestand. Die vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens vom späteren Insolvenzschuldner gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a Satz 4 UStG zu versteuernden Anzahlungen sind deshalb von der Bemessungsgrundlage für die Umsatzsteuer abzuziehen, die nach Insolvenzeröffnung aufgrund der Fertigstellung der Bauwerke geschuldet wird.

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    (JUVE Handbuch Wirtschafts­kanz­leien 2022/2023)

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    (JUVE Handbuch Wirtschafts­kanz­leien 2017-2021)

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