15.11.2009

Mit Urteil vom 16.01.2009 (Az.: VII R 25/08) hat der BFH entschieden, dass die allgemeine, nach der Lebenserfahrung gerechtfertigte Vermutung, dass Steuern nicht selten verkürzt und steuerpflichtige Einnahmen nicht erklärt werden, nicht genügt um Sammelauskunftsersuchen der Steuerfahndung als „hinreichend veranlasst“ und nicht als Ausforschung „ins Blaue hinein“ erscheinen zu lassen. Seitens der Steuerfahndung erfordere ein Sammelauskunftsersuchen vielmehr die Darlegung einer über die bloße allgemeine Lebenserfahrung hinausgehenden, erhöhten Wahrscheinlichkeit, unbekannte Steuerfälle zu entdecken.

Gemäß § 93 Abs. 1 AO haben die Beteiligten des Steuerverwaltungsverfahrens und andere Personen, die selbst nicht Beteiligte sind, der Finanzbehörde die zur Feststellung eines für die Besteuerung erheblichen Sachverhalts erforderlichen Auskünfte zu erteilen. Die Einholung der Auskunft entspricht der Vernehmung einer Person als Zeuge oder Partei im Prozess und stellt in der Praxis in der Regel eines der bedeutendsten Mittel der Steuerfahndung zur Aufklärung des Sachverhalts dar, §§ 208 Abs. 1 Satz 2, 93 Abs. 1 AO.

I. Der Fall

Klägerin im Streitfall war eine Bank, die Kunden Bonusaktien aus dem sog. zweiten und dritten Börsengang der Deutschen Telekom AG zugeteilt und in deren Depots aufgenommen hatte. Bereits bei der ersten Zuteilung hat sie die betroffenen Kunden darauf hingewiesen, dass die Zuteilungen nach Auffassung des Bundesministeriums für Finanzen (BMF) der Einkommensteuerpflicht unterlägen. In die Erträgnisaufstellung für 2000 nahm die Klägerin die Erträge – 43,40 EUR pro Treueaktie – nicht auf, fügte der Erträgnisaufstellung aber eine Erläuterung bei, in der erneut darauf hingewiesen wurde, dass der vorgenannte Betrag in der Anlage KAP der Einkommensteuererklärung anzugeben sei. Ähnlich waren die Erträgnisaufstellungen für 2002 gestaltet.

Die Steuerfahndungsstelle hatte bei einem Kunden der Klägerin festgestellt, dass dieser Einkünfte aus der Zuteilung von fünf Treueaktien nicht in seiner Steuererklärung für 2000 angegeben hatte. Ferner hat die Steuerfahndungsstelle eines baden-württembergischen Finanzamts bei zwei dortigen Banken Prüfungen durchgeführt und der dem Finanzamt übergeordneten Oberfinanzdirektion (OFD) 1.500 bis 2.000 Kontrollmitteilungen betreffend den Bezug von Treueaktien im Veranlagungszeitraum 2000 übermittelt. Bei dem beklagten Finanzamt führte die Auswertung der Kontrollmitteilungen zu dem Ergebnis, dass zehn Kunden dieser anderen Banken Selbstanzeige erstattet hatten und dass gegen sechs von deren Kunden Ermittlungen eingeleitet wurden. Das durchschnittliche steuerliche Mehrergebnis belieft sich auf rund 190 €.

Im August 2006 hatte das Finanzamt die Klägerin aufgefordert, Name, Anschrift und Geburtsdatum der Depotinhaber mit Wohn- und/oder Geschäftssitz im Freistaat Sachsen, denen Treueaktien der Telekom aus den Tranchen II und III zugeteilt worden waren, sowie die Anzahl der jeweils gutgeschriebenen Treueaktien und den Einbuchungstag mitzuteilen.

II. Die Entscheidung

Der BFH bestätigte die Entscheidung der Vorinstanz und entschied, dass die Steuerfahndungsstelle des Finanzamts im Urteilsfall keinen hinreichenden Anlass zur Einholung der strittigen Auskünfte gehabt habe und seitens der Klägerin keine Pflicht zur Auskunft bestanden habe.

Denn die Rechtmäßigkeit des von dem Finanzamt gestellten Auskunftsersuchens setzt zum einen voraus, dass die Ausbringung eines Auskunftsersuchens im Rahmen der Aufgaben der Steuerfahndung liegt und zum anderen dem Finanzamt die Befugnis zusteht, ein Auskunftsersuchen an den Betroffenen zu richten. Dies hängt nach der Auffassung des BFH zum einen insbesondere davon ab, ob für Ermittlungen des Finanzamts, d. h. im Streitfall die Prüfung, ob durch den Bezug von Bonusaktien angefallene steuerpflichtige Einkünfte von den betroffenen Steuerpflichtigen vollständig erklärt worden sind, ein hinreichender Anlass bestand. Zum anderen muss die Ausbringung des Auskunftsersuchens dem rechtsstaatlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht.

Nach der Rechtsprechung des BFH fehlt ein hinreichender Anlass für ein (Sammel-)Auskunftsersuchen, wenn sich solche Ermittlungen als bloße „Ausforschung“, als Rasterfahndung oder Ermittlung „ins Blaue hinein“ darstellen. Ein hinreichender Ermittlungsanlass liegt allerdings dann vor, wenn aufgrund entweder konkreter Anhaltspunkte oder aufgrund allgemeiner Erfahrung die Möglichkeit einer Steuerverkürzung in Betracht kommt. Voraussetzung ist eine Prognoseentscheidung, die im Ergebnis dazu führt, dass Ermittlungsmaßnahmen zur Aufdeckung steuererheblicher Tatsachen führen können.

Mit Rücksicht auf den ausdrücklichen und unmissverständlichen Hinweis der Klägerin bei der Übersendung der Erträgnisaufstellung, vertrat der BFH die Ansicht, dass das Auskunftsersuchen nur darauf abzielte, diejenigen Steuerpflichtigen zu ermitteln, die hinsichtlich der Bonusaktien Steuern hinterzogen hatten. Zur Rechtfertigung des Auskunftsersuchens genüge allerdings nicht die Begründung, es könne nicht ausgeschlossen werden, dass Kunden eines Bankinstituts Einkünfte aus Kapitalvermögen mit Hinterziehungsvorsatz verschwiegen haben. Denn damit ließe sich jedwedes Auskunftsersuchen über Einkünfte aus bankseitig verwahrtem Kapitalvermögen rechtfertigen. Ein einziger von dem Finanzamt entdeckter Fall einer Steuerhinterziehung eines Kunden einer Bank im Zusammenhang mit den Bonusaktien begründet einen hinreichenden Anlass für ein Sammelauskunftsersuchen keineswegs.

III. Das Fazit

Der BFH setzt den Steuerfahndungsstellen der Finanzämter durch seine Entscheidung eine eindeutige Schranke im Hinblick auf ihre Sachverhaltsermittlungen.

  • Auskünfte, die im Wege eines Auskunftsersuchens erlangt werden, dürfen nicht verwertet werden, wenn sie einem materiell-rechtlichen Verwertungsverbot unterliegen. Ein solches qualifiziertes materielles Verwertungsverbot besteht bei Verletzung des verfassungsrechtlich geschützten Bereichs des Steuerpflichtigen durch die Ermittlungen.
  • Die so ermittelten Tatsachen sind schlechthin und ohne Ausnahme unverwertbar. Verstößt die Finanzbehörde bei ihren Ermittlungen – nur – gegen Verfahrensvorschriften, kann es lediglich zu einem „einfachen“ Verwertungsverbot kommen, wenn die Ermittlungsmaßnahme bzw. das Auskunftsersuchen erfolgreich angefochten oder nach Beendigung der Ermittlung die Rechtswidrigkeit festgestellt worden ist.

Jedem Steuerpflichtigen bleibt – trotz der klaren Worte des BFH – zu empfehlen, die ihm zugesandten Erträgnisaufstellungen genau zu prüfen. Denn auch die durch die Bank – ggf. nur irrtümlich – nicht mit der Abgeltungsteuer belasteten Kapitaleinkünfte unterliegen der Erklärungs- und Einkommensteuerpflicht.

Verfasserin: Rechtsanwältin Dorothée Gierlich, MEYER-KÖRING – Bonn

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