17.12.2009 -

 

Die Rechtsprechung des EuGH und auch des BAG zum Betriebsübergang wird ständig fortentwickelt und präzisiert. Im Anschluss an die wichtige Entscheidung des EuGH vom 12. Februar 2009 (EuGH, Urt. v. 12.2.2009 – C-466/07) hat nun das Bundesarbeitsgericht seine Rechtsprechung zur Auftrags- bzw. Funktionsnachfolge präzisiert und fortgeführt (BAG, Urt. v. 22.1.2009 – 8 AZR 158/07). Das Urteil ist für die betriebliche Praxis besonders hilfreich. Die Beurteilung, ob der Verlust eines Dienstleistungsauftrages bereits einen Betriebsübergang darstellt, wird nach dieser Rechtsprechung konkreter möglich sein.

 

Der Fall:

Der klagende Arbeitnehmer war seit Oktober 2000 als Haustechniker bei seinem Arbeitgeber beschäftigt. Der Arbeitgeber hatte insgesamt 19 Mitarbeiter angestellt. Es wurden Dienstleistungen für einen Teilbereich des Universitätsklinikums Charité erbracht.

Das Klinikum Charité traf im Sommer 2005 die Entscheidung, für alle Einzelstandorte des Klinikums und alle Aufgaben des Facility Managements nur noch einen Gesamtauftrag zu vergeben. Dafür wurde eine neue Gesellschaft gegründet, die Beklagte zu 2). Dem Arbeitgeber des Mitarbeiters, der Beklagten zu 1) wurde im Anschluss angekündigt, künftig den Dienstleistungsauftrag nicht mehr zu erhalten und im Dezember 2005 wurde der Dienstleistungsauftrag dann in der Tat zum 31. März 2006 gekündigt.

Die Beklagte zu 1) kündigte daraufhin ihren Mitarbeitern, darunter auch dem Kläger, das Arbeitsverhältnis ebenfalls zum 31. März 2006. Die Beklagte zu 2) nahm mit etwa 1.900 Beschäftigten ab dem 1. Januar 2006 ihre Tätigkeit auf. Die Aufgaben aus dem Dienstleistungsauftrag der Beklagten zu 1) übernahm sie nach Auslaufen des Vertrages ab dem 1. April 2006. Allein in der Betriebstechnik, in der der Kläger tätig war, wurden von der Beklagten zu 2) nunmehr ca. 340 Arbeitnehmer beschäftigt. Von den 19 Mitarbeitern der Beklagten zu 1), wurden sechs frühere Mitarbeiter von der Beklagten zu 2) neu eingestellt.

Der Mitarbeiter hat die Auffassung vertreten, die Kündigung sei wegen eines Betriebsübergangs auf die Beklagte zu 2) nach § 613a Abs. 4 BGB unwirksam. Er hat deshalb mit seiner Klage zum einen die Unwirksamkeit der Kündigung beantragt und zum anderen die Feststellung, dass sein Arbeitsverhältnis auf die Beklagte zu 2) übergangen sei und mit ihr fortbestehe.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers blieb auch vor dem Landesarbeitsgericht ohne Erfolg.

 

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hatte das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt.

 

I. Problematik des Falles

Die Entscheidung der Beklagten zu 1) ihren Betrieb wegen des Verlustes des Dienstleistungsauftrages mit dem Klinikum stillzulegen, stellt einen betriebsbedingten Kündigungsgrund dar. Werden alle Mitarbeiter eines Betriebs wegen Betriebsstilllegung gekündigt, bedarf es keiner Sozialauswahl. Die Kündigung konnte daher nur noch wegen eines etwaigen Betriebsübergangs auf die Beklagte zu 2) gem. § 613a Abs. 4 BGB unwirksam sein. Genau dies machte der Kläger geltend.

Die Klage ist daher nur dann erfolgreich, wenn der bloße Verlust des Dienstleistungsauftrages bereits einen Betriebsübergang darstellt. Das Bundesarbeitsgericht hat sehr präzise herausgearbeitet, welche Grundsätze insoweit gelten.

 

II. Voraussetzungen eines Betriebsübergangs

Der Betriebsübergang setzt den rechtsgeschäftlichen Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils auf einen anderen Inhaber voraus. Erforderlich ist die Wahrung der Identität der betreffenden wirtschaftlichen Einheit. Maßgeblich sind jeweils die besonderen Umstände des Einzelfalles. Besondere Teilaspekte der Gesamtwürdigung sind namentlich die Art des betreffenden Unternehmens oder Betriebs, der etwaige Übergang der materiellen Betriebsmittel wie Gebäude oder bewegliche Güter, der Wert der immateriellen Aktiva im Zeitpunkt des Übergangs, die etwaige Übernahme der Hauptbelegschaft, der etwaige Übergang der Kundschaft sowie der Grad der Ähnlichkeit zwischen den vor und nach dem Übergang verrichteten Tätigkeiten und die Dauer einer eventuellen Unterbrechung dieser Tätigkeit. Die Identität der Einheit kann sich auch aus anderen Merkmalen, wie am Personal, ihren Führungskräften, ihrer Arbeitsorganisation, ihren Betriebsmethoden und ggf. den ihr zur Verfügung stehenden Betriebsmitteln ergeben.

 

Hinweis für die Praxis:

Den für das Vorliegen eines Betriebsübergangs maßgeblichen Kriterien kommt je nach der ausgeübten Tätigkeit und je nach den Produktions- und Betriebsmethoden unterschiedliches Gewicht zu.

 

III. Besonderheiten in betriebsmittelarmen Betrieben

In Branchen, in denen es im Wesentlichen auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, kann auch eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch eine gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden ist, eine wirtschaftliche Einheit darstellen. Dies ist vor allem z.B. im Reinigungs- oder Bewachungsgewerbe der Fall. Die Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit ist in diesem Fall anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit (Funktion) weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt bei dieser Tätigkeit eingesetzt hatte.

 

Hinweis für die Praxis:

Wie viele Mitarbeiter übernommen werden müssen, hängt stark vom Einzelfall ab. Grundsätzlich gilt, dass bei Arbeitnehmern mit geringem Qualifikationsgrad grundsätzlich eine hohe Zahl von ihnen weiterbeschäftigt werden muss. Das Bundesarbeitsgericht hat für Reinigungsaufgaben festgestellt, dass 2/3 der Beschäftigten noch nicht ausreichen, 85 % hingegen den Betriebsübergang auslösen können. Zeichnen sich hingegen die Mitarbeiter durch Spezialwissen und besondere Qualifikation aus, kann auch schon ein geringerer Prozentanteil ausreichen.

 

IV. Funktionsnachfolge führt nicht zum Betriebsübergang

Die Fortführung der Tätigkeit durch einen anderen Auftragnehmer, so genannte Funktionsnachfolge, führt nicht zu einem Betriebsübergang. Dies gilt ebenso für die reine Auftragsnachfolge. Die wirtschaftliche Einheit, die zur Rechtsfolge des Betriebsübergangs führt, darf nicht als bloße Tätigkeit verstanden werden. Der bloße Verlust eines Auftrages an einen Mitbewerber stellt daher für sich genommen keinen Betriebsübergang dar. Die Neuvergabe eines Auftrages ist zunächst nur die Folge des Wettbewerbs auf dem freien Dienstleistungsmarkt. Eine Tätigkeit in diesem Sinne ist noch keine wirtschaftliche Einheit.

 

Hinweis für die Praxis:

Diese reine Lehre gilt allerdings nur für betriebsmittelarme Betriebe. Dort, wo die wirtschaftliche Einheit durch die menschliche Arbeitskraft und nicht durch Betriebsmittel geprägt wird, führen der Auftragsverlust und die Auftragsnachfolge durch einen neuen Dienstleister in der Tat nicht zu einem Betriebsübergang. In betriebsmittelgeprägten Betrieben ist dies aber nicht der Fall. Dazu sogleich.

 

V. Aber: Funktionsnachfolge in betriebsmittelgeprägten Betrieben kann Betriebsübergang auslösen!

Kommt es in einem betriebsmittelgeprägten Betrieb zu einer reinen Funktionsnachfolge, können die Rechtsfolgen eines Betriebsübergangs dennoch ausgelöst werden. Ausgangspunkt dieser neuen Sichtweise war die Rechtsprechung des EuGH aus Dezember 2005. Sächliche Betriebsmittel sind im Rahmen einer Auftragsneuvergabe dann wesentlich, wenn bei wertender Betrachtungsweise ihr Einsatz den eigentlichen Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs ausmacht und sie somit unverzichtbar zur auftragsgemäßen Verrichtung der Tätigkeit sind. Es kommt dann auch nicht darauf an, ob die Betriebsmittel dem Vorgänger gehörten oder nur vom Auftraggeber zur Verfügung gestellt wurden.

Mit anderen Worten:Hat der Auftraggeber bestimmte Betriebsmittel zur Verfügung gestellt, damit der Auftragnehmer mit diesen Betriebsmitteln arbeitet und tätig wird, und werden diese Betriebsmittel dann dem Auftragsnachfolger ebenfalls zur Verfügung gestellt, kann es zu einem Betriebsübergang kommen.

Aber: Das Bundesarbeitsgericht hat in der vorliegenden Entscheidung herausgearbeitet, dass ein Betriebsübergang nur bei einem Fortbestand einer organisatorischen Zusammenfassung und ihrer funktionellen Verknüpfung vorliegt. Hieran fehlte es im vorliegenden Fall aus vielen und unterschiedlichen Gründen. Von Bedeutung war vor allem, dass die Beklagte zu 2) mit ca. 1.900 Beschäftigten andere, umfassendere Aufgaben in einer wesentlich veränderten organisatorischen Zusammenfassung von Ressourcen als vorher die Beklagte zu 1) erbrachte. Die Beklagte zu 1) hatte lediglich mit 19 Arbeitnehmern in einem bestimmten Teilbetrieb bestimmte Teilleistungen zu erbringen. Die Beklagte zu 2) war aber mit 1.900 Beschäftigten für die gesamte Charité zuständig. Für die Beklagte zu 2) stellten daher die früher von der Beklagten zu 1) zu bewältigenden Aufgaben nur noch einen kleinen Teil des Auftragsvolumens dar. „Den“ Arbeitsplatz des Klägers gab es bei der Beklagten zu 2) nicht mehr. Zudem handelte es sich nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts nicht um einen betriebsmittelgeprägten Betrieb. Die technischen Anlagen waren lediglich das Objekt, an dem der Betriebszweck verwirklicht wurde. Für die nur „an“ den Anlagen zu erbringenden Tätigkeiten machten die Anlagen selbst bei wertender Betrachtungsweise nicht den eigentlichen Kern des zur Wertschöpfung erforderlichen Funktionszusammenhangs aus.

 

Hinweis für die Praxis:

Da es sich um einen betriebsmittelarmen Betrieb handelte und eine wesentliche Anzahl von Arbeitnehmern nicht übernommen wurde, kam es nicht zu einem Betriebsübergang. Vielmehr lag lediglich eine bloße Funktions- bzw. Auftragsnachfolge vor. Die Entscheidung macht allerdings deutlich, dass die Gefahr eines Betriebsübergangs auch bei der Auftragsnachfolge drohen kann. Es ist daher sehr genau und sorgfältig im Einzelfall zu prüfen, ob es sich um einen betriebsmittelgeprägten Betrieb handelt.

 

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

  • TOP-Wirtschafts­kanzlei für Arbeits­recht
    (FOCUS SPEZIAL 2024, 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Kanzlei für Arbeitsrecht
    (WirtschaftsWoche 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Anwältin für Arbeitsrecht: Ebba Herfs-Röttgen
    (WirtschaftsWoche, 2023, 2022, 2021, 2020)

  • TOP-Anwalt für Arbeitsrecht: Prof. Dr. Nicolai Besgen
    (WirtschaftsWoche 2023, 2020)

Autor

Bild von Prof. Dr. Nicolai Besgen
Partner
Prof. Dr. Nicolai Besgen
  • Rechtsanwalt
  • Fachanwalt für Arbeitsrecht

UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME

Sprechblasen

UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME

Sind Sie unsicher, ob Sie mit Ihrer Angelegenheit bei uns richtig sind?
Nehmen Sie gerne unverbindlich Kontakt mit uns auf und schildern uns Ihr Anliegen.
Wir freuen uns auf Ihren Anruf.

Kontakt aufnehmen