24.09.2001 -

Zum 28. Juli 2001 ist das neugefasste Betriebsverfassungsgesetz in Kraft getreten (vgl. dazu Besgen, Das neue Betriebsverfassungsrecht, In: betrieb + personal Beihefter Nr. 2/2001 zu Heft 8/2001). Dort ist in dem neu eingefügten § 21 b BetrVG das so genannte Restmandat des Betriebsrats nunmehr auch gesetzlich verankert worden. Zwar bestand in der arbeitsrechtlichen Literatur und Rechtsprechung auch vor dieser gesetzlichen Klarstellung Einigkeit darüber, dass dem Betriebsrat ein solches Restmandat zukommt. Nicht abschließend geklärt war jedoch die Frage, welchen Grenzen der Betriebsrat bei der Ausübung seines Restmandats unterliegt.

Inhalt und Reichweite dieses Restmandates sind jedoch trotz der gesetzlichen Klarstellung in dem neuen Betriebsverfassungsrecht nicht geklärt. Einer nunmehr veröffentlichen Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts, dass sich mit dieser Frage beschäftigt (5. Oktober 2000 – 1 AZR 48/00 -),kommt deshalb weitreichende Bedeutung zu. Dabei hatte der zuständige 1. Senat insbesondere die Frage zu klären, ob das Restmandat des Betriebsrats auch die Abänderung eines bereits abgeschlossenen Sozialplans zulässt.

I. Grundsätze des Restmandats

Nach ganz herrschender Auffassung sowohl in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts als auch in der arbeitsrechtlichen Literatur steht dem Betriebsrat zur Wahrnehmung seiner Beteiligungsrechte anlässlich einer Betriebsstilllegung auch nach der Beendigung der Arbeitsverhältnisse aller Betriebsratsmitglieder ein Restmandat zu.

Dieses Restmandat betrifft alle im Zusammenhang mit der Betriebsstilllegung ergebenden betriebsverfassungsrechtlichen Beteiligungsrechte und dauert ggf. über den Ablauf der regulären Amtszeit und die tatsächliche Stilllegung des Betriebes hinaus bis zur abschließenden Regelung der mit der Betriebsstilllegung verbundenen Beteiligungsrechte an.

Dem entspricht nun auch die bereits erwähnte Ergänzung des Betriebsverfassungsgesetzes. Der neueingefügte § 21 b BetrVG im Wortlaut:

§ 21 b Restmandat

Geht ein Betrieb durch Stilllegung, Spaltung oder Zusammenlegung unter, so bleibt dessen Betriebsrat solange im Amt, wie dies zur Wahrnehmung der damit im Zusammenhang stehenden Mitwirkungs- und Mitbestimmungsrechte erforderlich ist.

II. Grenzen des Restmandats

Das Restmandat, das von dem Betriebsrat auszuüben ist, der bei der Beendigung des Vollmandates im Amt war, endet erst, wenn im Zusammenhang mit der Betriebsstilllegung keine Verhandlungsgegenstände mehr offen sind. Das Restmandat endet (natürlich) auch dann, wenn kein Betriebsrat mehr bereit ist, das Restmandat auszuüben.

Solange also noch Betriebsräte vorhanden sind, die trotz der rechtlichen Beendigung ihres Arbeitsverhältnisses bereit sind, die mit dem Restmandat verbundenen Funktionen auch nachträglich noch auszuüben, und soweit noch Regelungsgegenstände vorhanden sind, ist die Ausübung des Restmandates damit grundsätzlich zulässig.

III. Restmandat und Verschlechterung von Ansprüchen?

Das Restmandat erfasst auch die bereits ausgeschiedenen Arbeitnehmer insoweit, als sie aus der ursprünglichen Sozialplanregelung noch Ansprüche herleiten können. Damit wird der Grundsatz, nach dem den Betriebsparteien grundsätzlich die Legitimation fehlt, Regelungen gegenüber Arbeitnehmern zu schaffen, deren Arbeitsverhältnisse bereits beendet sind, durchbrochen. Dies rechtfertigt sich nach Auffassung des BAG damit, dass Sozialpläne häufig erst nach der Durchführung der Betriebsänderung und damit nach dem Ausscheiden der von dieser betroffenen Arbeitnehmer zu Stande kommen können und letztlich ihre Wirkung entfalten. Der mit § 112 BetrVG beabsichtigte Schutzzweck würde aber leerlaufen, wenn man eine Regelungsbefugnis des Betriebsrats, die sich auch auf die ausgeschiedenen Arbeitnehmer erstreckt, nicht anerkennen würde. Ein Restmandat liefe dann ins Leere.

Die Legitimation des Restmandats erstreckt sich damit auch auf bereits ausgeschiedene Arbeitnehmer.

IV. Grenzen des Vertrauensschutzes und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes beachten!

Steht damit fest, dass die Betriebspartner grundsätzlich berechtigt sind, in Ausübung ihres Restmandates auch nachträglich noch Regelungen für die bereits ausgeschiedenen Arbeitnehmer zu treffen, greift damit in vollem Umfange auch das so genannte Ablösungsprinzip ein. Dieses Ablösungsprinzip besagt, dass eine neue Regelung die zeitlich ältere insgesamt ersetzt (ablöst). Das Ablösungsprinzip gilt grundsätzlich auch dann, wenn die neue Regelung für die Arbeitnehmer ungünstiger ist. Diese für Betriebsvereinbarungen entwickelte Rechtsprechung gilt dabei nach zutreffender Auffassung des BAG auch für Sozialpläne, die nach § 112 Abs. 1 Satz 3 BetrVG die Wirkung einer Betriebsvereinbarung haben.

Der mit einer solchen verschlechternden Ablösung verbundene Eingriff in bereits begründete Ansprüche (hier die in Aussicht gestellte Sozialplanabfindung) kann jedoch nicht ohne weiteres und schrankenlos beschränkt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts gelten – schon von verfassungs wegen – insoweit die Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und des Vertrauensschutzes, soweit in Besitzstände der betroffenen Arbeitnehmer eingegriffen wird.

Beispiele:

Eine Verschlechterung der bisherigen Regelung wird deshalb insbesondere für zulässig gehalten, wenn die Arbeitnehmer mit einer rückwirkenden Verschlechterung rechnen mussten, wenn die Rechtslage aufgrund der bisherigen Regelung unklar und verworren war, wenn die bisherige Regelung abgelaufen oder wenn eine Anpassung an die geänderten tatsächlichen Verhältnisse wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage erforderlich ist. In all diesen Fällen müssen jedoch die Eingriffe am Zwecke der Maßnahme gemessen geeignet, erforderlich und proportional sein.

 

Fazit:

Trotz der nunmehr erfolgten gesetzlichen Anerkennung des Restmandats in § 21 b BetrVG kommt der Entscheidung des BAG klarstellende Bedeutung auch für die Zukunft zu. Das Restmandat des Betriebsrats ermöglicht die nachträgliche Verschlechterung der in einem bereits ausgehandelten Sozialplan normierten Abfindungsansprüche. Eine solche Verschlechterung auch für die Zukunft hat allerdings die allgemeinen Grenzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

 

Leitsätze:

1. Die Betriebspartner können einen geltenden Sozialplan auch zum Nachteil der betroffenen Arbeitnehmer für die Zukunft ändern; dabei haben sie die Grenzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit zu beachten.

2. Das Restmandat des Betriebsrats (vgl. BAG 12. Januar 2000 – 7 ABR 61/98 – AP BetrVG 1972 § 24 Nr. 5 = EzA BetrVG 1972 § 24 Nr. 2) erfast alle im Zusammenhang mit einer Betriebsstilllegung stehenden beteiligungspflichtigen Gegenstände. Dazu gehört auch die Änderung eines bereits geltenden Sozialplans, solange dieser nicht vollständig abgewickelt ist.

Verfasser: Rechtsanwalt Dr. Nicolai Besgen

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