12.04.2010

Einleitung eines Steuerstrafverfahrens hemmt nur den Ablauf der Festsetzungsverjährung der in der Einleitungsverfügung ausdrücklich genannten und dem Steuerpflichtigen bekannt gegebenen Steueransprüche. Die Hemmungstatbestände der §§ 171 Abs. 5 und Abs. 9 AO wirken nicht kumulativ zusammen

Die steuerverfahrensrechtlichen Festsetzungsverjährungsfristen sind insbesondere im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren wie auch in dem, mit diesem im Zusammenhang stehenden Festsetzungsverfahren des Finanzamts streitträchtige Punkte. Dies nicht zuletzt, da von ihnen die Höhe der nachzuzahlenden Steuern und Zinsen abhängig ist.

Mit Urteil vom 08.07.2009 (Az.: VIII R 5/07) hatte der BFH Gelegenheit umfassend zu dem Verhältnis, in dem die in diesem Zusammenhang maßgeblichen Hemmungstatbestände des § 171 Abs. 5 und 9 AO zueinander stehen, Stellung zu nehmen. Von besonderem Interesse ist die Entscheidung des BFH auch aufgrund der Ausführungen zum Tatbestandsmerkmal „der Ermittlungen einer mit der Steuerfahndung betreuten Dienststelle“.

Die Tatbestände der Festsetzungsverjährung

Gemäß § 169 Abs. 1 Satz 1 AO ist eine Steuerfestsetzung sowie ihre Aufhebung oder Änderung nicht mehr zulässig, wenn die Festsetzungsfrist abgelaufen ist. Die Dauer der Festsetzungsfrist bestimmt sich nach § 169 Abs. 2 AO und beträgt für Einkommensteuern vier Jahre. Soweit Steuern hinterzogen oder leichtfertig verkürzt wurden, verlängert sie sich jedoch auf zehn bzw. fünf Jahre.

Grundsätzlich beginnt die Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, § 170 Abs. 1 Satz 1 AO. Ist allerdings durch den Steuerpflichtigen eine Steuererklärung oder Anmeldung einzureichen, so beginnt sie abweichend von der Grundregel mit der Abgabe bzw. Anmeldung, spätestens jedoch mit Ablauf des dritten Kalenderjahres, das auf das Kalenderjahr folgt, in dem die Steuer entstanden ist.

Für eine Vielzahl von Fällen sieht das Gesetz Tatbestände vor, die − ausgelöst durch verschiedenste Ereignisse − den Ablauf der regulären Festsetzungsfrist hemmen. Steuerstrafrechtlich sind insbesondere die Vorschriften der §§ 171 Abs. 5 und 9 AO von Interesse.

So läuft die Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 5 AO nicht ab, bevor die aufgrund der steuerstrafrechtlichen Ermittlungen zu erlassenen Steuerbescheide unanfechtbar geworden sind, wenn

  • die Zollfahndungsämter oder die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden vor Ablauf der Festsetzungsfrist beim Steuerpflichtigen mit Ermittlungen der Besteuerungsgrundlagen begonnen (§ 171 Abs. 5 Satz 1 AO) oder
  • dem Steuerpflichtigen vor Ablauf der Festsetzungsfrist die Einleitung eines Steuerstrafverfahrens oder des Bußgeldverfahrens wegen einer Steuerordnungswidrigkeit bekannt gegeben worden ist (§ 171 Abs. 5 Satz 1 AO).

Eine Besonderheit gilt im Falle der Abgabe einer Selbstanzeige nach § 371 AO oder einer Berichtigung nach § 153 AO. Wird die Anzeige vor Ablauf der Festsetzungsfrist erstattet, so endet die Festsetzungsfrist nicht vor Ablauf eines Jahres nach Eingang der Anzeige, § 171 Abs. 9 AO. Gehemmt wird der Ablauf der Festsetzungsfrist allerdings nur hinsichtlich der Steueransprüche, die auf Sachverhalten beruhen, die in der Anzeige offenbart sind.

Der Fall

Die Kläger gaben ihre Einkommensteuererklärung 1992 am 13. September 1993 ab

Am 5. November 2003 gab der Kläger eine Selbstanzeige ab und zeigte mit dieser bis zu diesem Zeitpunkt unversteuerte Einkünfte aus Auslandsvermögen an. Am selben Tag fand außerdem eine Besprechung im Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung (SteuFa) statt, an der auch eine Mitarbeiterin der Strafsachen- und Bußgeldstelle (StraBuSt) und der Bevollmächtigten des Klägers teilnahmen. Mit Schreiben vom 12. November 2003 leitete das Finanzamt SteuFa gegenüber den Klägern ein Steuerstrafverfahren wegen des Verdachts der Einkommensteuerhinterziehung 1999 bis 2002 ein. Zugleich forderte es „zur steuerlichen Auswertung entsprechende Aufstellungen und Unterlagen ab dem Veranlagungsjahr 1992 bis 2001“ an. Am 30. Januar 2004 nahm die Steuerfahndung ihre Ermittlungen auf. Die Auswertung der Selbstanzeige erfolgte mit dem streitigen Einkommensteuerbescheid 1992 vom 9. Juni 2005.

Das Finanzgericht gab der Klage mit der Begründung statt, die zehnjährige Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 2 AO sei am 31. Dezember 2003 abgelaufen und eine Hemmung der Verjährung sei bis zu diesem Zeitpunkt nicht erfolgt.

Im Revisionsverfahren vor dem BFH vertrat das beklagte Finanzamt die Auffassung, dass die Anforderung der Unterlagen für 1992 durch das Finanzamt für Steuerstrafsachen und Steuerfahndung im November 2003 eine Ermittlungsmaßnahme der Fahndungsbehörden gewesen sei. Diese habe eine Hemmung der Verjährung gemäß § 171 Abs. 5 Satz 1 AO ausgelöst. Auch der Hemmungstatbestand des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO sei ausgelöst worden. Darüber hinaus habe die Selbstanzeige des Klägers die Festsetzungsfrist gemäß § 171 Abs. 9 AO gehemmt. Denn diese trete kumulativ mit der Hemmung nach § 171 Abs. 5 AO zusammen.

Die Entscheidungsgründe

Der BFH bestätigte die Auffassung des Finanzgerichts.

Im Streitfall hatte sich die Festsetzungsfrist wegen der Steuerhinterziehung auf zehn Jahre verlängerte, regulär endete sie mit Ablauf des 31.12.2003. Durch die Selbstanzeige des Klägers vom 5. November 2003 war der Ablauf der Festsetzungsfrist allerdings bis zum Ablauf des 5. Novembers 2004 gehemmt, § 171 Abs. 9 AO.

Eine weitergehenden Hemmung gemäß § 171 Abs. 5 Satz 2 AO, die das beklagte Finanzamt angenommen hatte, verneinte der BFH. Denn die Einleitung des Steuerstrafverfahrens mit Schreiben vom 12. November 2003 betraf lediglich das Steuerstrafverfahren für die Jahre 1999 bis 2002 und nicht das Jahr 1992.

Auch die Voraussetzungen des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO, so der BFH, lagen nicht vor. Denn das Tätigwerden der StraBuSt stellt keine Ermittlungen der Steuerfahndung dar und dieser auch nicht zuzurechnen. Auch wenn der Landesverordnungsgeber die StraBuSt und die Steuerfahndung in einem eigenständigen Strafsachen-Finanzamt organisatorisch verselbstständigt hat, ändert dies nichts an dem Erfordernis der Trennung der Zuständigkeit der StraBuSt und der Steuerfahndung. Denn nach dem eindeutigen Wortlaut des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO habe der Bundesgesetzgeber, so der BFH, die ausdrückliche Entscheidung getroffen, dass nur Ermittlungen der Steuerfahndungsdienststellen, nicht aber anderer Untergliederungen einer Finanzbehörde, wie z.B. der StraBuSt, der Betriebsprüfungsstelle, der Vollstreckungsstelle, oder Ermittlungen des Finanzamts schlechthin eine Hemmung auslösen können. Die danach zwingend erforderliche Abgrenzung dürfe durch eine wie auch immer geartete Zurechnung nicht unterlaufen werden. Etwas anderes würde sich nur dann ergeben, wenn der Bundesgesetzgeber die Durchbrechung der in § 171 Abs. 5 Satz 1 AO gesetzten Regel selbst anordne. In der AO findet sich aber keine Norm, wonach Ermittlungen anderer Dienststellen der Landesfinanzbehörden der Steuerfahndung als eigene verjährungshemmende Ermittlungen zuzurechnen sind. Vielmehr trennt die AO, wie sich aus den Regelungen in §§ 208 Abs. 3 und 404 AO ergibt, Aufgaben und Befugnisse der mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden streng von den Aufgaben und Befugnissen sonstiger Dienststellen oder des Finanzamts als solchem.

Darüber hinaus stellt der BFH fest, dass eine Selbstanzeige auch nicht als Antrag nach § 171 Abs. 3 AO zu bewerten sei.

Auch eine Kombination des Hemmungstatbestandes des § 171 Abs. 9 AO mit dem des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO lehnt der BFH ab. Zwar hatten die Ermittlungen der Steuerfahndung im Januar 2004 innerhalb der − durch die Selbstanzeige ausgelösten − Jahresfrist des § 171 Abs. 9 AO begonnen. Sie konnten jedoch nicht, nachdem die reguläre Festsetzungsfrist des § 169 Abs. 2 Satz 3 AO abgelaufen war, eine weitergehende Ablaufhemmung auslösen. Eine „Addition“ der Jahresfrist des § 171 Abs. 9 AO und einer weiteren Frist des § 171 Abs. 5 Satz 1 AO erfolgt grundsätzlich nicht. Denn der Hemmungstatbestand des § 171 Abs. 9 AO sei, so der BFH, eine Sonderregelung, die lediglich dazu diene, die Selbstanzeige ohne Zeitdruck auswerten und etwaige Bescheidänderungen vornehmen zu können. Durch die Jahresfrist des § 171 Abs. 9 AO soll zugunsten des reumütigen Steuerpflichtigen Rechtsicherheit herbeiführen geführt werden.

Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung des BFH verdient Zuspruch. Gebietet der BFH den Finanzbehörden doch Einhalt und urteilt, dass dem reumütigen Steuerpflichtigen, der eine Selbstanzeige erstattet, ein Recht auf Rechtsicherheit nach gegebener Prüfungsmöglichkeit der Finanzbehörde zusteht. Die Finanzbehörden müssen auch in diesem Zusammenhang dazu angehalten sein, pflichtgemäß innerhalb eines angemessenen Entscheidungs- und Prüfungszeitraums die entsprechenden Nachversteuerungen durchzuführen. Mit dem Recht auf Rechtsicherheit einher geht auch das Recht auf eine klare und eindeutige Bekanntgabe des Gegenstandes des steuerrechtlichen Ermittlungsverfahrens. Insbesondere der Grundsatz eines fairen Verfahrens soll durch die formell-rechtlichen Anforderungen, die an die Einleitung eines (Steuer)Strafverfahrens gestellt werden, gewährleistet sein. So kann es dann auch nicht sein, dass eine Einleitungsverfügung, nicht ausdrücklich genannte Zeiträume stillschweigend durch die schlichte Aufforderung zur Hereingabe von Unterlagen umfängt.

Das Urteil des BFH zeigt, dass insbesondere der Prüfung der Festsetzungsverjährungen im steuerstrafrechtlichen Ermittlungsverfahren besondere Aufmerksamkeit gewidmet werden muss. Denn von ihnen hängt nicht nur die Höhe der nachzuzahlenden Steuern, sondern auch die Höhe der Nachzahlungs- und Hinterziehungszinsen ab.

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

  • „Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuer­recht“
    (JUVE Handbuch Wirtschafts­kanz­leien 2022/2023)

  • „Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuer­recht“
    (JUVE Handbuch Wirtschafts­kanz­leien 2017-2021)

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