11.01.2002 -

Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden: Ein Arbeitnehmer kann vom Arbeitgeber nach Urlaubserteilung nicht aus dem Urlaub zurückgerufen werden. Das ist – soweit der gesetzliche Urlaubsanspruch betroffen ist – nicht einmal möglich, wenn ein solches Rückrufrecht vereinbart war; denn ein Rückrufrecht ist in diesem Fall wegen Verstoßes gegen zwingendes Urlaubsrecht nichtig.

 

Das Urlaubsentgelt als Arbeitsentgelt, das während des Urlaubs des Arbeitnehmers gezahlt wird, ist ebenso wie dieses und im gleichen Umfang pfändbar.

 

 

Gerade in der Urlaubszeit ist die Gefahr besonders groß, dass es in einem Betrieb zu Personalengpässen kommt. Dass der Arbeitgeber in einem solchen Fall nicht berechtigt ist, einen Arbeitnehmer aus seinem bereits genehmigten Erholungsurlaub zurückrufen, hat das Bundesarbeitsgericht nun mit Urteil vom 20.6.2000 (9 AZR 404/99 und 405/99, NJW 2001, 460 f.) erstmals entschieden.

 

Zugleich wurde die vom Bundesarbeitsgericht bis dahin offengelassene Frage geklärt, ob Urlaubsentgeltansprüche überhaupt der Pfändung unterworfen sind. Die Richter des Neunten Senats hielten das Urlaubsentgelt für nichts anderes als das Arbeitsentgelt, das während des Urlaubs des Arbeitnehmers gezahlt werde, weshalb es ebenso wie dieses pfändbar sei. Somit kann also grundsätzlich gegen eine Urlaubsentgeltforderung aufgerechnet werden.  

 

 

Der Entscheidung lag folgender Sachverhalt zugrunde:

 

Der Kläger war seit 1996 bei der Beklagten als Softwareentwickler tätig. Wegen einer Ende 1997 von der Beklagten verhängten Urlaubssperre standen dem Kläger im Jahre 1998 noch beachtliche Resturlaubs- und Freizeitansprüche aufgrund geleisteter Überstunden zu. Am 21. April 1998 kündigte er das Arbeitsverhältnis zum 30. Juni 1998. Auf seinen Wunsch bewilligte ihm die Beklagte für Mai und Juni 1998 Urlaub. Nach der Behauptung der Beklagten hatte sie den Urlaub jedoch nur auf Grund der Zusage des Klägers gewährt, dass er bei betrieblichen Schwierigkeiten mit den von ihm zuletzt bearbeiteten Aufträgen auf ihre Mitteilung hin seinen Urlaub abbreche und seine Arbeit wieder aufnehme. Nach Urlaubsantritt hatte die Beklagte den Kläger dann mehrmals vergeblich zur Arbeitsaufnahme wegen dringend erforderlicher Programmierarbeiten aufgefordert und ihm daraufhin das Arbeitsverhältnis am 3. Juni1998 fristlos gekündigt und dem Kläger das ihm für Mai und Juni 1998 zustehende Arbeitsentgelt wegen Aufrechnung mit Schadensersatzansprüchen nur in Höhe des Pfändungsfreibetrages ausgezahlt.

 

Der Kläger hat geltend gemacht, die Kündigung sei rechtsunwirksam und hat von der Beklagten Urlaubsentgelt für Mai und Juni 1998 verlangt. Die Beklagte hat dem entgegengehalten, dass der Kläger schon deshalb keine Vergütungsansprüche habe, da er ihr schadensersatzpflichtig sei. Denn auf Grund seiner Weigerung habe sie die für den Kläger bestimmten Arbeiten fremd vergeben und hierfür mehr als 8000 DM aufwenden müssen.

 

Nachdem bereits das Arbeitsgericht Münster und das Landesarbeitsgericht Hamm (Urt. v. 10. Mai 1999 – 19 Sa 2336/98; LAGE, § 7 BUrlG Nr.36) der Klage stattgegeben hatten, wies nun der Neunte Senat des Bundesarbeitsgerichts die Revision der Beklagten zurück und entschied, dass die fristlose Kündigung der Beklagten  unwirksam ist, da der Kläger keine Arbeitsvertragspflichten verletzt hat. Ein Schadensersatzanspruch der Beklagten gegen den Kläger bestehe nicht.

 

 

Der Senat begründete sein Urteil wie folgt:

 

Der Arbeitgeber könne den Arbeitnehmer deshalb nicht aus dem Urlaub zurückrufen, da er dem Arbeitnehmer nach § 1 BUrlG (Bundesurlaubsgesetz) Erholungsurlaub schulde. Zur Erfüllung dieses Anspruches auf Erholungsurlaub habe der Arbeitgeber den Arbeitnehmer daher nach § 1 BUrlG von der Arbeit freizustellen und dem Arbeitnehmer uneingeschränkt zu ermöglichen, die ihm auf Grund des Urlaubsanspruches zustehende Freizeit selbstbestimmt zu nutzen. Das sei aber dann nicht gewährleistet, wenn der Arbeitnehmer trotz der Freistellung ständig damit rechnen müsse, zur Arbeit abgerufen zu werden. Denn eine derartige Arbeitsbereitschaft lasse sich mit der Gewährung des gesetzlichen Erholungsurlaubs nicht vereinbaren, wodurch der Anspruch des Arbeitnehmers in einem solchen Fall nicht erfüllt werde. Der Arbeitgeber müsse sich somit vor der Urlaubserteilung entscheiden, ob dem Arbeitnehmer Urlaub gewährt oder er den Urlaubswunsch des Arbeitnehmers etwa wegen dringender betrieblicher Belange i.S. von § 7 I BUrlG ablehne. Habe er den Arbeitnehmer jedoch bereits freigestellt und somit die Leistungszeit bestimmt, in der der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers i.S. von § 362 BGB erfüllt werden soll, und dies auch dem Arbeitnehmer mitgeteilt, so habe der Arbeitgeber als Schuldner des Anspruchs die für die Erfüllung dieses Anspruchs erforderliche Leistung/Erfüllungshandlung i.S. von § 7 I BUrlG vorgenommen. An diese Erklärung sei der Arbeitgeber gebunden und könne den Arbeitnehmer nicht aus dem Urlaub zurückrufen.

 

Eine Vereinbarung, in der sich der Arbeitnehmer gleichwohl verpflichtet, den Urlaub abzubrechen und die Arbeit wieder aufzunehmen, verstößt nach Ansicht des BAG gegen § 13 I BUrlG und ist deshalb nichtig. Denn danach könne weder durch die Tarifparteien noch durch einzelvertragliche Abrede von § 1 BUrlG zu Ungunsten des Arbeitnehmers abgewichen werden. Unerheblich hierfür sei, ob der Urlaub von vornherein im Einvernehmen mit dem Arbeitnehmer unter Vorbehalt gewährt wird oder ob er zunächst vorbehaltlos bewilligt wird und sich der Arbeitgeber erst zeitlich später – vor Urlaubsantritt – verpflichtet, dem Arbeitgeber auf dessen verlangen zur Arbeitsleistung zur Verfügung zu stehen. Denn in beiden Fällen bewirke das vereinbarte Recht des Arbeitgebers zum Rückruf des Arbeitnehmers aus dem Urlaub, dass der Arbeitnehmer für die Dauer der Freistellung entgegen § 1 BUrlG nicht uneingeschränkt von seiner Arbeitspflicht befreit werde. Dies könne jedoch nicht rechtwirksam vereinbart werden.

 

 

Der Senat folgt mit seiner Entscheidung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts insoweit, dass ein einmal erteilter Urlaub nur in Ausnahmefällen einseitig widerrufen werden kann und der im Urlaub befindliche Arbeitnehmer nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet ist. (BAG, BB 1982, 993 f.: BAG AP Nr. 12 zu § 123 GewO).“ Das Bundesarbeitsgericht lässt in seinem Urteil allerdings offen, ob der Arbeitgeber zumindest bei „unvorhersehbaren und zwingenden Notwendigkeiten, welche einen anderen Ausweg nicht zulassen“ (so BAG, Urt. v. 19.12.1991 – 2 AZR 367/91, RzK I 6a Nr.82), eine Rückkehr des Arbeitnehmers aus dem Urlaub verlangen kann. Die Beklagte hatte hierfür keine Tatsachen vorgetragen, so dass das Gericht hierüber nicht zu befinden hatte.

 

Nach diesem Urteil ist Arbeitgebern folglich dringend zu raten, Urlaubswünsche unter Berücksichtigung eines sich möglicherweise ergebenden erhöhten Personalbedarfs genau zu prüfen, bevor sie genehmigt werden. Das Rückrufverbot beschränkt sich indes lediglich auf die Freistellung zur Erfüllung des gesetzlichen Urlaubsanspruchs, da nur dieser unter den Schutz des § 13 I BUrlG fällt. Nur insoweit ist auch eine Abrede, die einen Rückruf zulässt, nichtig. Stellt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer hingegen zur Erfüllung eines vertraglichen Urlaubsanspruchs und des Überstundenausgleichs frei, so können die Parteien nach dem Grundsatz der Vertragsfreiheit (§§ 241, 305 BGB) frei vereinbaren, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer aus dem Urlaub zurückholen kann. Fällt eine Freistellung gesetzlicher und vertraglicher Urlaubsansprüche zusammen, so muss zuvor explizit bestimmt werden, wann der gesetzliche Urlaubsanspruch erfüllt werden soll, da andernfalls die Erfüllung des Anspruchs auf den gesetzlichen Mindesturlaub von dem Zufall abhängt, ob der Arbeitgeber von einem ihm eingeräumten Rückrufrecht Gebrauch macht.

 

 

 

 

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