18.05.2010 -

Die Mitglieder des Betriebsrats haben nach § 34 Abs. 3 BetrVG das Recht, die Unterlagen des Betriebsrats und seiner Ausschüsse jederzeit einzusehen. Das Bundesarbeitsgericht hatte sich nun in einem Grundsatzbeschluss mit der Frage zu befassen, ob sich dieses Recht auch auf elektronische Ordner und die E-Mailkonten des Betriebsrats bezieht (BAG, Beschl. v. 12.8.2009 – 7 ABR 15/08, DB 2009, 2439 = NZA 2009, 1218). Der 7. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat dieses Recht umfassend bejaht.

Der Fall:

Die Antragsteller in dem Beschlussverfahren sind vier Mitglieder des aus 17 Mitgliedern bestehenden Betriebsrats. Die vier Antragsteller wurden durch die Liste „Belegschaftsallianz“ in den Betriebsrat gewählt. Die weiteren Betriebsratsmitglieder gehören sämtlich der Liste der IG BCE an.

Die Arbeitgeberin stellte dem Betriebsrat in ihrem EDV-System einen geschützten Datenbereich unter einem bestimmten Pfad zur Verfügung. Dort legte der Betriebsrat durch seine Sekretärin mehrere Ordner („Folder“) und Unterordner an, in denen er die mit seiner Tätigkeit in Zusammenhang stehenden Daten abspeichert. Die Ordner enthalten unter anderem Arbeitsdateien der Betriebsratssekretärin und das E-Mailkonto des Betriebsrats.

Der Betriebsrat fasste unter dem Tagesordnungspunkt „Beschlussfassung über die Zugriffsrechte aller Betriebsräte auf den BR-Folder“ einstimmig folgenden Beschluss:

„1. Alle ordentlichen Ausschussmitglieder haben für ihren Ausschuss betreffenden Folder, Lese- und Schreibrechte.

2. Alle Ersatzmitglieder des jeweiligen Ausschusses haben Leserechte auf den entsprechenden Folder.„

Ausdruckeder gespeicherten Dokumente werden in Akten abgelegt und sind dort für alle Betriebsratsmitglieder im Büro der Betriebsratssekretärin einzusehen. Über einen unbeschränkten Zugriff zu allen Ordnern im Datenbereich verfügen nur der Vorsitzende, der Stellvertreter sowie die Systemadministratorin.

Die vier Antragsteller haben die Ansicht vertreten, sie müssen jederzeit in die Datenbestände des Betriebsrats Einsicht nehmen können. Demgegenüber vertritt der Betriebsrat die Auffassung, bei den elektronisch gespeicherten Daten handele es sich nicht um Unterlagen, die vom Einsichtsrecht der Betriebsratsmitglieder umfasst seien. Aus datenschutzrechtlichen Gründen sei die Einräumung allgemeiner Zugriffsrechte für alle Betriebsratsmitglieder nicht zulässig. Vielmehr werde das Einsichtsrecht dadurch gewährleistet, dass die im Büro der Sekretärin des Betriebsrats verwahrten Ausdrucke eingesehen werden könnten. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben den Anträgen überwiegend stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt.

I. Begriff der „Unterlagen“

Die Anspruchsgrundlage findet sich in § 34 Abs. 3 BetrVG. Nach dieser Vorschrift haben „die Mitglieder des Betriebsrats das Recht, die Unterlagen des Betriebsrats und seiner Ausschüsse jederzeit einzusehen“. Dateien die im E-Mailaccount des Betriebsrats abgespeicherten Daten sind Unterlagen im Sinne des § 34 Abs. 3 BetrVG. Zu den Unterlagen des Betriebsrats gehören nach dem Wortlaut und dem Zweck des Gesetzes nicht nur die Sitzungsniederschriften, sondern sämtliche Aufzeichnungen und Materialien, die der Betriebsrat oder ein Ausschuss angefertigt hat und die ständig zur Verfügung stehen. Dies gilt unabhängig davon, ob diese Aufzeichnungen in Papierform verkörpert oder in Dateiform elektronisch auf Datenträgern gespeichert sind. Der Begriff der Unterlagen in § 34 Abs. 3 BetrVG entspricht dem des § 80 Abs. 2 Satz 2 BetrVG. Für diese Vorschrift ist anerkannt, dass sich das Auskunftsrecht des Betriebsrats auch auf Informationen bezieht, die der Arbeitgeber auf Datenträgern abgespeichert hat.

Zu den Unterlagen zählt insbesondere auch das E-Mailkonto des Betriebsrats, unter dem er seine Korrespondenz führt.

II. Leserecht auf elektronischem Weg

Das Einsichtnahmerecht in diese „Unterlagen“ umfasst zugleich das Leserecht auf elektronischem Wege. Andernfalls hätten bestimmte Betriebsratsmitglieder einen Informationsvorsprung. Einen Ausdruck der Dateien und Abheften in Ordnern stellt einen mit dem Wortlaut des Gesetzes nicht zu vereinbarenden Zwischenschritt dar, der technisch nicht erforderlich ist. Ein jederzeitiges elektronisches Einsichtsrecht kann sämtlichen Mitgliedern ohne großen Aufwand gewährt werden. Im Gegensatz zu einer Kommunikation in Papierform müssen eingehende Poststücke nicht erst geöffnet, in einem Eingangsfach gesammelt oder nach einem System abgelegt werden, damit sie dort eingesehen werden können. Sie können vielmehr auf elektronischem Weg sofort zur Verfügung gestellt werden. Den Betriebsratsmitgliedern muss lediglich der Zugang zu dem Server des Betriebsrats gewährt werden, in gleicher Weise wie dies für den Vorsitzenden des Betriebsrats gilt.

Hinweis für die Praxis:

§ 34 Abs. 3 BetrVG soll sicherstellen, dass sich jedes Betriebsratsmitglied ohne zeitliche Verzögerung über die Vorgänge im Betriebsrat informieren kann. Mitglieder des Organs mit unbeschränktem elektronischem Leserecht verfügen gegenüber Betriebsratsmitgliedern, denen dieses Recht verwehrt ist, über einen erheblichen Informationsvorsprung, der mit dem Gesetzeszweck nicht zu vereinbaren ist. Zudem bietet die elektronische Datenverarbeitung eine schnellere Orientierung, da das Suchen und Auffinden von bestimmten Dokumenten auf elektronischem Weg mit Hilfe von Suchfunktionen wesentlich erleichtert wird. Besonders zum Tragen kommt der Informationsvorsprung, wenn nur bestimmte Mitglieder des Betriebsrats das jederzeitige Leserecht des E-Mailkontos haben, weil sich die Korrespondenz über E-mails durch ihre Unmittelbarkeit auszeichnet.

III. Kontrollfunktion

Schließlich bezweckt das Recht auf jederzeitige Information, dass das einzelne Mitglied jederzeit die Aufgabenwahrnehmung der anderen Betriebsratsmitglieder kontrollieren kann. Verwaltet der Betriebsrat seine Dokumente in elektronischer Form, lässt sich dieses Kontrollrecht nur bei einer elektronischen Einsichtnahme effektiv ausüben. Elektronisch gespeicherte Daten sind leicht abzuändern. Ob der Ausdruck einer Datei vollständig ist und ihren aktuellen Stand wiedergibt, kann nur durch ein Abgleich mit dem Inhalt der Datei selbst festgestellt werden. Das Kontrollrecht erstreckt sich auch auf die Tätigkeiten des Vorsitzenden, der den Betriebsrat nach § 26 Abs. 2 Satz 1 BetrVG im Rahmen der gefassten Beschlüsse nach außen vertritt. Mit dieser Zielrichtung dient § 34 Abs. 3 BetrVG automatisch auch dem Minderheitenschutz.

Hinweis für die Praxis:

Das Einsichtsrecht einzelner Mitglieder des Betriebsrats ist unabdingbar. Es kann weder durch die Geschäftsordnung noch durch einen Beschluss des Betriebsrats eingeschränkt werden.

Fazit:

Das Bundesarbeitsgericht schafft für die betriebliche Praxis Rechtssicherheit. Das elektronische Leserecht steht allen Betriebsratsmitgliedern gleichermaßen zu. Unterlagen sind dabei (natürlich) auch elektronische Dateien und das E-Mailkonto des Betriebsrats. Gruppierungen in größeren Betriebsräten, die sich in der Mehrheit befinden, können der Minderheit Informationen nicht vorenthalten. Im Verhältnis der Betriebsratsmitglieder untereinander darf es keine Wissensnachteile geben. Dies stellt eine Behinderung der Ausübung des Betriebsratsamtes dar (vgl. auch § 79 Abs. 1 Satz 3 BetrVG). Dem Bundesarbeitsgericht ist in vollem Umfange zuzustimmen.

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