Zwei von den Ländern Baden-Württemberg und Sachsen im Bundesrat eingebrachte Gesetzentwürfe sollen den Bundesländern ermöglichen, Aufgaben der freiwilligen Gerichtsbarkeit, vor allem der Nachlassgerichte, auf Notare zu übertragen. Begründet wird dies – wie so oft – mit einer Entlastung der Justiz und die Einsparung von Kosten. Auf den ersten Blick eine gerade in Zeiten leerer Kassen sinnvolle Überlegung. Auf den zweiten Blick bergen die Gesetzentwürfe aber erhebliche Tücken:

1. Verfassungsrechtliche Problematik

Gemäß Art. 92 GG ist die rechtsprechende Gewalt allein den Richtern anvertraut. Geplant ist daher, einen neuen Art. 98a ins Grundgesetz einzufügen,  um Notaren überhaupt Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit übertragen zu können.

Ob Aufgaben auf Notare übertragbar sind, soll davon abhängen, ob es sich um Entscheidungen handelt, die in Rechtskraft erwachsen (dann Richtervorbehalt) und sonstigen gerichtlichen Aufgaben, beispielsweise die Erteilung eines Erbscheins (dann Übertragbarkeit auf Notare).

Diese Unterscheidung ist bedenklich. Beispielsweise erlangt ein Erbschein keine Rechtskraft, er entfaltet aber erhebliche Rechtsscheinwirkung (vgl. §§ 2366, 2367 BGB). Aus gutem Grund ist die Erteilung eines Erbscheins bei Vorliegen eines Testaments schon heute den Richtern vorbehalten. Nur bei gesetzlicher Erbfolge kann der Rechtspfleger einen Erbschein erteilen (vgl. §§ 3 Nr. 2 c, 16 Abs. 1 Nr. 6 RPflG).Bei Übertragung des Nachlasswesens auf die Notare könnte diese Unterscheidung nicht beibehalten werden.

2.Bundesweite Rechtszersplitterung

Tritt der Gesetzentwurf in Kraft und machen nicht alle Bundesländer von der Möglichkeit Gebrauch, Aufgaben der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare zu übertragen, droht eine bundesweite Rechtszersplitterung. Während in einem Bundesland die Notare Nachlassgericht erster Instanz sein könnten, bliebe in anderen Bundesländern das Amtsgericht zuständig. Für den Bürger wird das Verfahren deutlich unübersichtlicher. Schon innerhalb eines Amtsgerichtsbezirkes wäre es mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden, herauszufinden, wer denn nun beispielsweise für die Erteilung eines Erbscheins zuständig ist. Während es in den meisten Städten nur ein Amtsgericht gibt, sind beispielsweise in Bonn 20 Notare zugelassen, in Frankfurt am Main sogar mehrere hundert Notare. Woher soll der Bürger, der von einem Erbfall betroffen ist, wissen, an wen er sich wenden muss?

3. Erheblich höhere Kosten für den Bürger

Die Übertragung gerichtlicher Aufgaben auf Notare führt auch zu erheblich höheren Kosten für den Bürger als bisher. Denn die Tätigkeit der Notare ist – anders als die der Nachlassgerichte – umsatzsteuerpflichtig. Die mit einer Aufgabenübertragung auf die Notare verbundene Steigerung der Mehrwertsteuereinnahmen wird im Gesetzentwurf auch freimütig eingeräumt (vgl. BR-Drucks. 67/10, S. 4 oben). Für den Bürger bedeutet dies Mehrkosten von – derzeit – 19% gegenüber den jetzigen Gebühren. Diese sollen laut Gesetzesbegründung zwar „durch die Vorteile der Übertragung nachlassgerichtlicher Aufgaben auf die Notare zumindest teilweise wieder ausgeglichen“ werden. Worin diese Vorteile konkret bestehen sollen oder wie diese zu quantifizieren sind, wird nicht näher ausgeführt.

4. Aufgabe der richterlichen Unabhängigkeit

Aufgaben der freiwilligen Gerichtsbarkeit im Bereich des Nachlasswesens gehören zum Kernbereich der Justiz. Sie lassen sich nicht einfach auf andere Stellen übertragen. Rechtssachen aus dem Bereich des Nachlasswesens gehören in die Hände unabhängiger Richter bzw. Rechtspfleger. Diese Unabhängigkeit ist bei Übertragung der Aufgaben auf Notare nicht gewährleistet. Zwar sind Notare Träger eines öffentlichen Amtes. Gleichwohl können auch Notare sich von wirtschaftlichen Interessen nicht vollständig freisprechen. Ein Beispiel mag dies verdeutlichen:

Immobilienunternehmer I streitet mit seiner Schwester S über die Auslegung des Testaments der gemeinsamen Mutter M. Der als Nachlassgericht zuständige Notar N beurkundet regelmäßig die Verträge des I, was ihm beträchtliche Einnahmen bringt.

Nach der Gesetzesbegründung soll der Notar zum ersten Ansprechpartner rund um Testament und Erbfall werden. Dies zeigt, dass hinter dem Gesetzentwurf (zumindest auch) berufspolitische Interessen stecken.

5. Fazit

Für die geplante Aufgabenübertragung der freiwilligen Gerichtsbarkeit auf Notare besteht keine Notwendigkeit. Sie birgt erhebliche Nachteile für den rechtssuchenden Bürger. Zu Recht wird die geplante Gesetzesänderung daher auch von namhaften Verbänden abgelehnt

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