21.07.2010 -

Die Entscheidungen des BAG zum Recht des Betriebsübergangs und zu der wichtigen Vorschrift des § 613a BGB reißen nicht ab. Allein im Jahre 2009 finden sich 81 Treffer in der Rechtsprechungsdatenbank juris zu BAG-Urteilen mit dem Stichwort Betriebsübergang. Dies hängt auch damit zusammen, dass die Praxis immer wieder neue Wege sucht, um die Rechtsfolgen des § 613a BGB zu vermeiden. Wir möchten in diesem Zusammenhang auf eine Entscheidung des BAG hinweisen, die schon im Jahre 2008 verkündet wurde (BAG, Urt. v. 21.5.2008 – 8 AZR 481/07). Der beklagte Arbeitgeber hatte mit einer interessanten Fallgestaltung dieses Ziel verfolgt, war dann allerdings beim Bundesarbeitsgericht, das einen Betriebsübergang in letzter Instanz bejahte, gescheitert. Die Entscheidung ist praxisrelevant und macht deutlich, dass ein Betriebsübergang regelmäßig nicht durch Umgehungsvereinbarungen und neue vertragliche Gestaltungen ausgeschlossen werden kann. Maßgeblich ist stets der mit solchen Gestaltungen verfolgte eigentliche Zweck.

Der Fall (verkürzt):

Ein Kreiskrankenhaus beschloss im Jahre 2003, eine Service GmbH zu gründen, welche u.a. die im Krankenhaus tätigen Reinigungskräfte übernehmen sollte. Mit den Beschäftigten im Servicebereich schloss man Aufhebungsverträge. Gleichzeitig wurden mit dem neuen Arbeitgeber, der Service GmbH, neue Arbeitsverträge vereinbart, die keine Bezugnahme auf die bisher geltenden Arbeitsvertragsbedingungen (insbesondere öffentliches Dienstrecht) enthalten sollten. Die bisherige Vergütung sollte so lange weitergewährt werden bis die Vergütungen im Bereich des privaten Gebäudereinigerhandwerks die Höhe dieser bisherigen Vergütung erreicht haben werde (so genanntes Aufzehrungsmodell).

Mit den Klägerinnen wurden dann Aufhebungsverträge geschlossen. Am selben Tage des Abschlusses dieser Aufhebungsverträge wurden mit der Service GmbH neue Arbeitsverträge vereinbart. Der Inhalt der Arbeitsverträge wurde in diesen neuen Verträgen wie folgt festgeschrieben:

Die Mitarbeiterin wird in der Service GmbH eingestellt und ist damit einverstanden, die Arbeitsleistung für das Kommunalunternehmen Kreiskrankenhäuser im Rahmen eines Gestellungsvertrages zu erbringen.“

Ferner wurde vereinbart, dass die Beschäftigungsjahre im vorherigen Arbeitsverhältnis im Kreiskrankenhaus auf die jeweiligen Kündigungsfristen und auf zu zahlende Abfindungen angerechnet werden.

Der Service GmbH wurde ferner die Erlaubnis zur erwerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung von der Bundesanstalt für Arbeit erteilt.

Die Klägerinnen halten die mit dem Kommunalunternehmen geschlossenen Aufhebungsverträge wegen Umgehung des § 613a BGB für nichtig. Die zwischen dem Kommunalunternehmen Kreiskrankenhaus und der beklagten Service GmbH getroffenen Vereinbarungen hätten zu einem Betriebsübergang geführt. Das Verhalten des bisherigen Arbeitgebers sei von Anfang an darauf ausgerichtet gewesen, den unabdingbaren Anspruch aus § 613a BGB auf Kontinuität ihrer Arbeitsverhältnisse zu umgehen.

Sie haben daher beantragt, die beklagte Service GmbH zu verurteilen, sie auf der Grundlage der mit dem Kommunalunternehmen Kreiskrankenhaus geschlossenen Arbeitsverträge weiter zu beschäftigen.

Das Arbeitsgericht hat den Klagen stattgegeben. Auf die Berufung des Arbeitgebers hat das Landesarbeitsgericht hingegen die Klage abgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht einen Betriebsübergang bejaht und damit die Auflösungsverträge wegen Umgehung des § 613a BGB für nichtig erklärt.

I. Voraussetzungen eines Betriebsübergangs

Die Rechtsprechung zu den Voraussetzungen eines Betriebsübergangs ist nahezu unübersehbar. Erforderlich sind stets die Wahrung der Identität der betreffenden wirtschaftlichen Einheit und der Übergang eines Betriebs oder Betriebsteils auf einen anderen Inhaber. Hingegen stellt die bloße Fortführung der Tätigkeit durch einen anderen Auftragnehmer keinen Betriebsübergang dar, sondern lediglich eine unbeachtliche Funktionsnachfolge.

Gerade bei betriebsmittelarmen und dienstleistungsorientierten Branchen und Arbeitszwecken, bei denen es wesentlich auf die menschliche Arbeitskraft ankommt, kann auch eine Gesamtheit von Arbeitnehmern, die durch ihre gemeinsame Tätigkeit dauerhaft verbunden ist, eine wirtschaftliche Einheit in diesem Sinne darstellen. Die Wahrung der Identität der wirtschaftlichen Einheit ist anzunehmen, wenn der neue Betriebsinhaber nicht nur die betreffende Tätigkeit weiterführt, sondern auch einen nach Zahl und Sachkunde wesentlichen Teil des Personals übernimmt, das sein Vorgänger gezielt bei dieser Tätigkeit eingesetzt hat.

Voraussetzung für einen Betriebsteilübergang ist, dass ein selbständig übergangsfähiger Betriebsteil vorliegt. Dies setzt voraus, dass innerhalb des betrieblichen Gesamtzwecks ein Teilzweck verfolgt wird. Die Wahrung eines Teilzwecks führt zu einer selbständigen übergangsfähigen Einheit, wenn eine organisierte Gesamtheit von Personen und Sachen vorliegt.

In diesem Sinne hat das Bundesarbeitsgericht klargestellt, dass die in den Krankenhäusern zu erbringenden Reinigungsarbeiten einen übergangsfähigen Betriebsteil darstellen. Reinigungsarbeiten stellen eine Teilorganisation dar. Für diese Tätigkeiten werden nur bestimmte Arbeitnehmer eingesetzt. Ihnen ist ein konkret abgegrenztes Aufgabengebiet, nämlich die Reinigung des Krankenhauses, zugewiesen. Dafür bestehen für sie genaue Anweisungen bezüglich Art und Umfang der Reinigungstätigkeiten. Außerdem stellt ihnen das Krankenhaus die erforderlichen Reinigungsgeräte und -mittel zur Verfügung.

II. Arbeitnehmerüberlassung hindert Betriebsübergang nicht!

Dem Betriebsübergang steht nicht entgegen, dass es sich bei der beklagten Service GmbH um ein so genanntes Leiharbeitsunternehmen im Sinne des § 1a AÜG handelt. Grundsätzlich liegt zwar kein Betriebsübergang vor, wenn der Erwerber die übernommene wirtschaftliche Einheit nicht im Wesentlichen unverändert fortführt und damit nicht ihre wirtschaftliche Einheit wahrt. Die Service GmbH verlieh ihre Mitarbeiter aber gerade nicht „am freien Markt“. Gegenstand des Gestellungsvertrages war gerade die Erbringung von Serviceleistungen und die Gestellung von Personal an die Kreiskrankenhäuser. Alleiniger Betriebszweck der Service GmbH war es, Serviceleistungen für die Kreiskrankenhäuser zu erbringen oder diesen Personal zu stellen.

Dass die Arbeitsgeräte und Reinigungsmittel, welche die Reinigungskräfte benützen, im Eigentum des Kreiskrankenhaus stehen, hindert die Annahme eines Betriebsteilübergangs nicht. Zum einen kommt diesen nur eine untergeordnete Bedeutung zu. Zum anderen muss auch hier – wie bei der Auftragsübernahme – gelten, dass allein der Umstand, dass die verwendeten sächlichen Betriebsmittel vom Auftraggeber gestellt werden, einen Betriebsübergang nicht ausschließt.

Hinweis für die Praxis:

Die Fallkonstellation ist also so zu behandeln, wie wenn ein Reinigungsunternehmen alle Reinigungskräfte des Kommunalunternehmens übernommen hätte und als einzige Betriebstätigkeit mit diesen Reinigungskräften aufgrund eines mit dem Kommunalunternehmen geschlossenen Reinigungsvertrages die Reinigungsarbeiten für dieses in derselben Weise wie bisher erledigen würde. Allein die Tatsache, dass die Service GmbH nicht als Reinigungsunternehmen, sondern als ein Unternehmen der Arbeitnehmerüberlassung gegründet worden ist, hindert die Annahme eines Teilbetriebsübergangs nicht.

III. Nichtigkeit der Aufhebungsverträge

Die geschlossenen Aufhebungsverträge sind wegen Umgehung des § 613a BGB nichtig. Dies folgt aus § 134 BGB. Nach der Rechtsprechung des 8. Senats des Bundesarbeitsgerichts sind Vertragsgestaltungen, deren objektive Zielsetzung in der Beseitigung der Kontinuität des Arbeitsverhältnisses bei gleichzeitigem Erhalt des Arbeitsplatzes besteht, nichtig. Der § 613a BGB wird insbesondere dann umgangen, wenn im Falle eines Betriebsübergangs zugleich mit dem Abschluss eines Aufhebungsvertrages mit dem bisherigen Arbeitgeber ein neues Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsübernehmer vereinbart wird. Die Betriebsübergangsvorschrift gewährt einen Schutz vor einer Veränderung des Arbeitsvertragsinhalts ohne sachlichen Grund.

Fazit:

Die Entscheidung lässt sich wie folgt zusammenfassen: Wer einen Betriebsübergang veranlasst, kann die Rechtsfolgen nicht ausschließen! Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts schützt Arbeitnehmer vor gesellschaftsrechtlichen oder sonstigen Vertragsgestaltungen, die einen Betriebsübergang umgehen oder ausschließen. Bei der Vertragsgestaltung haben Berater hierauf zu achten. Wird die Identität der betreffenden wirtschaftlichen Einheit gewahrt, gleich auf welche Weise, greifen die Schutzmechanismen des § 613a BGB und diesem Schutz entgegenstehende Vereinbarungen sind nichtig.

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