03.08.2010

 

Leitsatz:

Säumniszuschläge, die auf einer materiell rechtswidrigen und deswegen auf Grund eines Rechtsbehelfs des Steuerpflichtigen geänderten Jahressteuerfestsetzung beruhen, sind aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen, wenn der Steuerpflichtige insoweit die AdV der Vorauszahlungsbescheide erreicht hat und die – weitere – AdV dieser Beträge nach Ergehen des Jahressteuerbescheides allein an den Regelungen der §§ 361 Abs. 2 Satz 4 AO und 69 Abs. 2 Satz 8 FGO scheitert (BFH-Urteil vom 20.5.2010, V R 42/08).

 

I.       Worum es geht – Säumniszuschläge (§ 240 AO) und deren Erlass (§ 227 AO)

1.      Säumniszuschläge

Wird eine Steuer nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages entrichtet, so ist gemäß § 240 Abs. 1 Satz 1 AO für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des abgerundeten rückständigen Steuerbetrags zu entrichten; abzurunden ist auf den nächsten durch 50 Euro teilbaren Betrag.

Nach ständiger Rechtsprechung sind Säumniszuschläge ein Druckmittel eigener Art, das den Steuerschuldner zur rechtzeitigen Zahlung anhalten soll. Darüber hinaus verfolgt § 240 AO den Zweck, vom Steuerpflichtigen eine Gegenleistung für das Hinausschieben der Zahlung fälliger Steuern zu erhalten. Durch Säumniszuschläge werden schließlich auch die Verwaltungsaufwendungen abgegolten, die bei den verwaltenden Körperschaften dadurch entstehen, dass Steuerpflichtige eine fällige Steuer nicht oder nicht fristgemäß zahlen (BFH 30.03.2006, V R 2/04, BStBl 2006 II S. 612).

2.      Säumniszuschläge trotz unrechtmäßiger Steuerfestsetzung

Obwohl der Säumniszuschlag nach § 3 Abs. 4 AO eine steuerliche Nebenleistung ist, bleiben Änderungen der Bemessungsgrundlage unberücksichtigt. Maßgebend ist allein die Höhe der festgesetzten (bzw. angemeldeten) Steuer, die bei Fälligkeit nicht erfüllt worden ist. Nachträgliche Erhöhungen der Bemessungsgrundlage bleiben deshalb genauso unberücksichtigt wie deren nachträgliche Ermäßigung (§ 240 Abs. 1 Satz 4 AO).

Der Gesetzgeber hat mit der ausdrücklichen Regelung in § 240 Abs. 1 Satz 4 AO bewusst in Kauf genommen, dass Säumniszuschläge auch dann zu entrichten sind, wenn sich die Steuerfestsetzung später als unrechtmäßig erweist. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat diese Regelung vor allem deswegen bestätigt, weil dem Rechtsschutzbedürfnis des Steuerpflichtigen durch die Möglichkeit des einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Steuerfestsetzung selbst hinreichend Genüge getan ist (BVerfG-Beschluss vom 30. Januar 1986 2 BvR 1336/85).

Deshalb kommt ein Erlass aus sachlichen Billigkeitsgründen (§ 227 AO) nicht allein deshalb in Betracht, weil die Steuerfestsetzung zu Gunsten des Steuerpflichtigen herabgesetzt worden ist oder möglicherweise geändert werden wird.

3.      Erlass der Säumniszuschläge im Einzelfall nach AdV-Antrag

Die Erhebung der Säumniszuschläge ist aber dann eine unbillige Härte i.S. des § 227 AO, wenn das Rechtsmittel des Steuerpflichtigen gegen die Steuerfestsetzung Erfolg hatte und der Steuerpflichtige gegenüber der Finanzbehörde alles getan hat, um im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die Aussetzung der Vollziehung (AdV, §§ 361 AO und 69 FGO) eines Steuerbescheids zu erreichen, und diese, obwohl an sich möglich und geboten, von der Finanzbehörde abgelehnt wurde.

Was aber, wenn die beantragte AdV allein deshalb nicht möglich erscheint, weil ihr die Regelung des § 361 Abs. 2 Satz 4 AO entgegensteht?

Gemäß § 361 Abs. 2 Satz 4 AO sind bei Steuerbescheiden die Aussetzung und die Aufhebung der Vollziehung auf die festgesetzte Steuer, vermindert um die anzurechnenden Steuerabzugsbeträge, um die anzurechnende Körperschaftsteuer und um die festgesetzten Vorauszahlungen beschränkt. Nach dem Wortlaut der Norm kann hinsichtlich des Betrags der Jahressteuer, der den Vorauszahlungen entspricht, keine AdV gewährt werden. Entspricht die Vorauszahlung der Jahressteuer, käme demnach gar keine AdV in Betracht. Ist die AdV dann noch „an sich möglich und geboten“, was Voraussetzung für den Erlass wäre?

Genau das ist die Frage, mit der sich der BFH jetzt zu beschäftigen hatte.

 

II.      Der Fall – eine prozessuale Odyssee

Das klagende Unternehmen wehrte sich gegen die ergangenen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheide und die späteren Umsatzsteuerjahresbescheide. Die festgesetzte Jahresumsatzsteuer entsprach der Summe der vom Finanzamt (FA) festgesetzten monatlichen Vorauszahlungen. Dem AdV-Antrag über die Vorauszahlungsbescheide gab das FA statt, lehnte aber später den weiteren AdV-Antrag für die Jahressteuerbescheide ab. Auf Antrag der Klägerin setzte das Finanzgericht (FG) die Vollziehung aus. Auf Beschwerde des FA hob der Bundesfinanzhof (BFH) diese Entscheidung wieder auf und lehnte den Antrag auf AdV ab. Eine hiergegen von der Klägerin erhobene Verfassungsbeschwerde wurde nicht zur Entscheidung angenommen.

In der Hauptsache (Klage gegen die Jahressteuerfestsetzungen) hat letztlich der BFH der Klage stattgegeben.

Den daraufhin gestellten Antrag auf Erlass der zwischen Ablehnung der AdV und Zahlung der festgesetzten Steuern erhobenen Säumniszuschläge (rund € 837.000,00) lehnte das FA ab und den hiergegen eingelegten Einspruch wies es zurück. Die dagegen erhobene Klage hatte keinen Erfolg.

Zur Begründung seines Urteils hat das FG im Wesentlichen ausgeführt, die Erhebung von Säumniszuschlägen widerspreche auch dann nicht der Billigkeit, wenn die Steuerforderung später aufgehoben worden sei, denn der Gesetzgeber habe in § 240 Abs. 1 Satz 4 der Abgabenordnung (AO) ausdrücklich geregelt, dass spätere Ermäßigungen der festgesetzten Steuer nicht zu berücksichtigen seien. Er habe damit in Kauf genommen, dass Säumniszuschläge auf unberechtigte Steuerforderungen zu zahlen seien. Etwas anderes gelte nach der Rechtsprechung des BFH nur dann, wenn das Rechtsmittel gegen die Steuerfestsetzung Erfolg gehabt habe und der Steuerpflichtige alles getan habe, um die AdV zu erreichen und diese von der Finanzbehörde „obwohl möglich und geboten“ abgelehnt worden sei. Das sei jedoch nicht der Fall, denn eine AdV in Höhe der in den Vorauszahlungsbescheiden festgesetzten Steuer nach § 361 Abs. 2 Satz 4 FGO sei rechtlich nicht möglich gewesen.

Die hiergegen eingelegte Revision zum BFH war erfolgreich.

III.     Die Entscheidung

Das FG hat das Vorliegen der Voraussetzungen eines Erlasses der Säumniszuschläge nach § 227 AO zu Unrecht abgelehnt. Säumniszuschläge, die auf einer materiell rechtswidrigen und deswegen aufgrund eines Rechtsbehelfs des Steuerpflichtigen geänderten Jahressteuerfestsetzung beruhen, sind aus sachlichen Billigkeitsgründen zu erlassen, wenn der Steuerpflichtige insoweit die AdV der Vorauszahlungsbescheide erreicht hat und die – weitere – AdV dieser Beträge nach Ergehen des Jahressteuerbescheides allein an den Regelungen der §§ 361 Abs. 2 Satz 4 AO und 69 Abs. 2 Satz 8 FGO scheitert.

Ein Erlass von Säumniszuschlägen aus sachlichen Billigkeitsgründen ist geboten, wenn ihre Einziehung im Einzelfall, insbesondere mit Rücksicht auf den Zweck der Säumniszuschläge, nicht zu rechtfertigen ist, obwohl der Sachverhalt zwar den gesetzlichen Tatbestand erfüllt, die Erhebung der Säumniszuschläge aber den Wertungen des Gesetzgebers zuwiderläuft. Diese Voraussetzungen lagen nach Auffassung des BFH vor.

Wegen § 240 Abs. 1 Satz 4 AO komme ein Erlass verwirkter Säumniszuschläge aus sachlichen Billigkeitsgründen zwar nicht allein deshalb in Betracht, weil die Steuerfestsetzung zugunsten des Steuerpflichtigen herabgesetzt worden ist oder möglicherweise geändert werden wird. Dagegen ist nach ständiger Rechtsprechung die Erhebung der Säumniszuschläge dann eine unbillige Härte i.S. des § 227 AO, wenn das Rechtsmittel des Steuerpflichtigen gegen die Steuerfestsetzung Erfolg hatte und der Steuerpflichtige gegenüber der Finanzbehörde alles getan hat, um die AdV eines Steuerbescheids zu erreichen, und diese, obwohl an sich möglich und geboten, von der Finanzbehörde abgelehnt wurde.

Hier hatte die Klägerin hat alles getan, um die AdV der rechtswidrigen Umsatzsteuerjahresbescheide zu erreichen. Deren Aussetzung war sachlich dem Grunde nach auch möglich und geboten, wie der spätere Erfolg in der Hauptsachklage zeigte. Die AdV der Umsatzsteuerjahresbescheide war allein deshalb nicht möglich gewesen, weil ihr die Regelung des § 361 Abs. 2 Satz 4 AO entgegenstand.

Unter Darstellung des vom Gesetzgeber mit § 361 Abs. 2 Satz 4 AO verfolgten Gesetzeszwecks sah der BFH in der Erhebung von Säumniszuschlägen einen Gesetzesüberhang, wenn die Erhebung zwar auf einer

entsprechenden Beschränkung der AdV bei Erlass eines Jahresbescheides beruht. Dies begründe für den Steuerpflichtigen einen Anspruch auf Erlass der Säumniszuschläge aus sachlichen Billigkeitsgründen.

Das dem FA eingeräumte Ermessen bei der Entscheidung über den Erlassantrag kann nach Auffassung des BFH in derartigen Fällen nur in der Weise fehlerfrei ausgeübt werden, dass die verwirkten Säumniszuschläge zu erlassen sind (Ermessensreduzierung auf Null).

IV.     Praxistipps:

  • Sind Sie mit Steuervorauszahlungsbescheiden und den darauf basierenden Jahressteuerbescheiden nicht einverstanden, greifen sie beide mit Einsprüchen an und beantragen Sie immer auch AdV, sowohl beim Finanzamt als auch später beim Finanzgericht. Denn nur ausgesetzte Bescheide können keine Säumniszuschläge auslösen.
  • Vermeiden Sie die Festsetzung von Säumniszuschlägen, die mit 1% pro Monat empfindlich ausfallen, indem Sie entweder vorsorglich zahlen oder Stundung beantragen (Stundungszinsen 0,5% pro Monat).
  • Werden Säumniszuschläge gegen Sie festgesetzt, obwohl Sie sich in einem (aussichtsreichen) Rechtsbehelfsverfahren befinden, setzen sie sich hiergegen zur Wehr, beanstanden Sie die Festsetzung und greifen die ergehenden Bescheide mit Einsprüchen an.
  • Beantragen Sie, dass Ihnen die Säumniszuschläge aus sachlichen oder persönlichen Gründen der Billigkeit halber erlassen werden. Denkbare Gründe sind:
    • Wenn das Rechtsmittel des Steuerpflichtigen gegen die Steuerfestsetzung Erfolg hatte und der Steuerpflichtige gegenüber der Finanzbehörde alles getan hat, um die AdV eines Steuerbescheids zu erreichen, und diese, obwohl an sich möglich und geboten, von der Finanzbehörde abgelehnt wurde. Das gilt auch, wenn die Ablehnung des AdV-Antrags nach Ergehen des Jahressteuerbescheides aufgrund der Regelungen der §§ 361 Abs. 2 Satz 4 AO und 69 Abs. 2 Satz 8 FGO erfolgte (s.o.).
    • Die rechtzeitige Zahlung von Steuern wegen Überschuldung und Zahlungsunfähigkeit war unmöglich, denn dann hat die Ausübung des mit der Erhebung von Säumniszuschlägen beabsichtigten Zahlungsdrucks ihren Sinn verloren.
    • Wenn das FA eine Ratenzahlung als Maßnahme i.S. von § 258 AO eingeräumt hat, um auf die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen für eine längere Zeitspanne Rücksicht zu nehmen. Richten sich in diesem Falle die vereinbarten Raten nach der äußersten Grenze der Zahlungsfähigkeit des Steuerpflichtigen, so kann davon ausgegangen werden, dass die Säumniszuschläge als Druckmittel hinsichtlich der Zahlung des gesamten Steuerbetrages ihren Zweck verlieren.
    • Bei Steuerfälligkeit war eine Erlasssituation gegeben, denn auch dann entfällt für die Erhebung der Säumniszuschläge als Druckmittel zur Zahlung der Sinn, zumal bei Gewährung des Erlasses Säumniszuschläge nicht angefallen wären.
    • Wenn die einstweilige Verschonung von der Zwangsvollstreckung anstelle einer – an sich möglichen oder gebotenen – Stundung gewährt wurde.
    • Sie waren bisher immer pünktlicher Steuerzahler. Das erstmalige Versehen eines pünktlichen Steuerzahlers ist ein Verschulden des Steuerpflichtigen, das grundsätzlich noch keine Billigkeitsmaßnahme rechtfertigt. Liegt zusätzlich eine lediglich kurzfristige Fristüberschreitung vor, kann die Einziehung von Säumniszuschlägen insgesamt als unbillig angesehen werden. Allerdings ist bei einer längerfristigen Säumnis für einen teilweisen Erlass wegen eines offenbaren Versehens kein Raum.

 

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

  • „Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuer­recht“
    (JUVE Handbuch Wirtschafts­kanz­leien 2022/2023)

  • „Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuer­recht“
    (JUVE Handbuch Wirtschafts­kanz­leien 2017-2021)

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