08.08.2010 -

Die Verdachtskündigung ist eine Besonderheit des Arbeitsrechts. Trotz nicht nachgewiesener Tat kann arbeitsrechtlich auch der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen Verfehlung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen. Die Verdachtskündigung unterliegt strengen Wirksamkeitsanforderungen. Notwendige Voraussetzung ist stets die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers, damit sich dieser zu den Vorwürfen äußern kann. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hatte nun einen Fall zu entscheiden, in dem der Arbeitnehmer zu diesem Anhörungsgespräch unter einem Vorwand „gelockt“ wurde (LAG Düsseldorf, Beschl. v. 25.6.2009 – 5 Ta BV 87/09). Die Entscheidung macht deutlich, dass nicht jede Anhörung ausreichend ist. Vielmehr muss der Arbeitgeber bestimmte Vorgaben einhalten, um sich später auf eine wirksame Anhörung berufen zu können.

Der Fall (verkürzt):

Die Beteiligten des Rechtsstreits streiten in einem Zustimmungsersetzungsverfahren nach § 103 Abs. 2 BetrVG über die Frage, ob die verweigerte Zustimmung des Betriebsrats (des Antragsgegners) zur beabsichtigten Kündigung eines Betriebsratsmitglieds zu ersetzen ist. (Vgl. Nicolai Besgen, Fristlose Kündigung von Betriebsratsmitgliedern – Fallstricke des Zustimmungsersetzungsverfahrens nach § 103 BetrVG, B+P Heft 3/2010, 163 ff.).

Die Vorwürfe gegen den Betriebsrat richteten sich darauf, in der Nacht vom 29. Februar 2008 zum 1. März 2008 im EDV-System der Arbeitgeberin ein so genanntes Schadprogramm installiert zu haben, das sämtliche Passwörter der Nutzer einschließlich der Administrator-Passwörter änderte. Die Arbeitgeberin schaltete, weil sie eine Computersabotage vermutete, frühzeitig die Kriminalpolizei ein und versuchte in der Folgezeit mit Hilfe von IT-Spezialisten eines Computerunternehmens, den Verursacher und dessen Vorgehensweise ausfindig zu machen. Aufgrund der Feststellungen der eingesetzten Experten kam bei der Arbeitgeberin der Verdacht auf, dass ein Betriebsratsmitglied die Sabotagehandlungen begangen haben könnte.

Am 17. März 2008 versuchte die Arbeitgeberin, das Betriebsratsmitglied zu dem Vorwurf anzuhören. Das Zustandekommen und der Ablauf des Anhörungsgesprächs sind zwischen allen Beteiligten streitig.

Das Betriebsratsmitglied behauptete, unter einem Vorwand in das Büro des Geschäftsführers gelockt worden zu sein. Er sei nämlich vom Leiter der IT-Abteilung aufgefordert worden, mit ihm und einem weiteren Mitarbeiter den Geschäftsführer aufzusuchen, um dessen Sorge zu besprechen, dass das pünktliche Erscheinen der aktuellen Ausgabe der Zeitung möglicherweise gefährdet sei. Im Büro hätten sich aber die beiden Mitarbeiter entfernt und er habe sich dann dem Personalleiter, dem Geschäftsführer und einem Rechtsanwalt konfrontiert gesehen. Ihm habe sich dann offenbart, dass es sich offensichtlich nicht – wie vorgetäuscht – um eine dienstliche Besprechung, sondern um ein Personalgespräch handele.

Das Betriebsratsmitglied verließ das Büro, um sich zum Büro des Betriebsratsvorsitzenden zu begeben. Dorthin seien ihm die drei Vertreter der Arbeitgeberin gefolgt und hätten eine Bitte des Betriebsrats, ihm zunächst ein persönliches Gespräch mit dem Betriebsratsvorsitzenden zu ermöglichen, verweigert.

Im Anschluss wurden dann die sofortige Freistellung und ein Hausverbot ausgesprochen. Das Angebot des Geschäftsführers, die Anhörung in den Räumen der Anwaltskanzlei nachzuholen, habe das Betriebsratsmitglied abgelehnt.

Der Betriebsrat verweigerte dann die Zustimmung der Arbeitgeberin zur fristlosen Kündigung des Betriebsratsmitglieds. Daraufhin leitete die Arbeitgeberin das Zustimmungsersetzungsverfahren ein. Das Arbeitsgericht hat den Zustimmungsantrag in der 1. Instanz zurückgewiesen.

Die Entscheidung:

Das Landesarbeitsgericht hat die Entscheidung der Vorinstanz im Beschwerdeverfahren bestätigt. Beide Instanzen haben die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers für unwirksam gehalten.

I. Anhörung des Arbeitnehmers bei Verdachtskündigung Wirksamkeitsvoraussetzung

Eine Verdachtskündigung liegt dann vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines – nicht erwiesenen – strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. Eine Verdachtskündigung ist dann zulässig, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellung gegeben hat.

II. Inhalt der Anhörung

Der Umfang der Anhörung richtet sich allein nach den Umständen des Einzelfalles. Sie muss allerdings nicht den Anforderungen genügen, die an eine Anhörung des Betriebsrats nach § 102 BetrVG gestellt werden. Die Betriebsratsanhörung und die Anhörung des Arbeitnehmers im Rahmen einer Verdachtskündigung dienen jeweils anderen Zwecken und sind schon deshalb im Ansatz nicht vergleichbar.

Aber: Es reicht dennoch grundsätzlich nicht aus, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer im Rahmen einer Anhörung zu einer Verdachtskündigung lediglich mit einer allgemein gehaltenen Wertung konfrontiert. Die Anhörung muss sich auf einen greifbaren Sachverhalt beziehen.

Hinweis für die Praxis:

Ist der Arbeitnehmer von vornherein nicht bereit, sich auf die gegen ihn erhobenen Vorwürfe einzulassen und nach seinen Kräften an der Aufklärung mitzuwirken, muss die Anhörung nicht weiter betrieben werden. Eine solche Anhörung des Arbeitnehmers wäre vielmehr überflüssig, weil sie zur Aufklärung des Sachverhalts und zur Willensbildung des Arbeitgebers nichts beitragen kann.

III. Falschinformationen zum Inhalt des Anhörungsgesprächs

Bei einer Verdachtskündigung besteht in besonderem Maße die Gefahr, dass der Arbeitnehmer zu Unrecht beschuldigt wird. Daher ist die Erfüllung der Aufklärungspflicht Wirksamkeitsvoraussetzung für die Kündigung. Das Landesarbeitsgericht hat hierzu festgestellt, dass dem Betriebsratsmitglied mit Hilfe und Unterstützung anderer Mitarbeiter der Eindruck vermittelt wurde, dass er sich lediglich zu einem Fachgespräch in das Büro des Geschäftsführers einzufinden hätte. Er wurde also letztlich unter Falschinformationen in das Büro „gelockt“. Arbeitnehmer müssen sich aber zu einem konkreten Verdachtsvorwurf äußern können. Sie müssen Verdachtsgründe entkräften und ggf. auch Entlastungstatsachen anführen können. Bei Vorspiegelung falscher Tatsachen über den Inhalt eines Personalgesprächs kann sich der Arbeitnehmer nicht vorbereiten. Dies gilt umso mehr, wenn sich der Arbeitnehmer dann „von jetzt auf gleich“ drei gesprächsbereiten und offensichtlich auch gut vorbereiteten Vertretern des Arbeitgebers gegenüber sieht, mit denen er nicht zu rechnen brauchte. Aus diesen Gründen besteht auch keinerlei Pflicht, sich in die Räumlichkeiten einer Anwaltskanzlei zu begeben.

Hinweis für die Praxis:

Im Rahmen einer Verdachtskündigung sollte der Arbeitnehmer unter Benennung der wesentlichen Vorwürfe zu einem Personalgespräch eingeladen werden. Den Mitarbeiter unter Falschinformationen zu einem „normalen Personalgespräch“ zu bitten, um dann in diesem Gespräch die eigentliche Anhörung durchzuführen, ist, wie die vorliegende Entscheidung zeigt, mit ganz erheblichen Risiken behaftet. Die Kündigung scheitert dann bereits an der fehlerhaften Anhörung. Alle Fristen sind dann abgelaufen. Diese Fehler können nicht mehr geheilt werden.

Fazit:

Der Ausspruch einer fristlosen Verdachtskündigung unterliegt zahlreichen Formalia und Wirksamkeitsvoraussetzungen. An die ordnungsgemäße und vor allem auch beweisbare Anhörung des Arbeitnehmers sind besondere Sorgfaltsanforderungen zu stellen. Wer hier mit Tricks arbeitet, um etwaige Fehler auszuräumen, wird im späteren Prozess bestraft. Nur die offene und transparente Anhörung erfüllt ihren Zweck und wird in der Rechtsprechung anerkannt.

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