11.08.2010 -

Arbeitnehmern können Leistungen im Arbeitsverhältnis auch durch das Entstehen der so genannten betrieblichen Übung beanspruchen. Nach früherer Rechtsprechung war auch die so genannte gegenläufige betriebliche Übung möglich. Das Bundesarbeitsgericht hat diese Rechtsprechung aufgegeben und seine neuen Grundsätze nochmals in einer aktuellen Entscheidung bekräftigt (BAG, Urt. v. 25.11.2009 – 10 AZR779/08).Trotz des sehr speziellen Sachverhalts, den wir hier nur verkürzt wiedergeben, hat die Entscheidung grundsätzliche Bedeutung. Wir möchten daher die Kernaussagen für die Praxis zusammengefasst erläutern.

Der Fall (verkürzt):

Die Parteien streiten über ein Treuegeld für das Jahr 2007 und die Feststellung, dass dem klagenden Arbeitnehmer eine solche Leistung auch in Zukunft dauerhaft zusteht.

Der Arbeitnehmer ist bei dem Arbeitgeber bzw. seinen Rechtsvorgängern bereits seit 1985 beschäftigt. Der Betrieb gehörte bis zur „Wende“ einem volkseigenen Betrieb. Später wechselten die Eigentümer. Der jetzt beklagte Arbeitgeber erwarb im Mai 2001 alle Geschäftsanteile.

In einer so genannten Musterbetriebsordnung war betreffend Dienstjubiläen unter anderem die Zahlung von Treuegeldern geregelt. Frühere Versuche, diese Musterbetriebsordnung als Betriebsvereinbarung abzuschließen, waren gescheitert.

Im Jahre 2003 schrieb der Arbeitgeber an den Betriebsratsvorsitzenden die Kündigung der Musterbetriebsordnung. Die daraus folgende Einstellung der Treuegeldleistungen war spätestens im Dezember 2003 im Betrieb allgemein bekannt. Ab Januar 2004 zahlte der Arbeitgeber an alle Arbeitnehmer weder Treuegelder noch Jubiläumsgelder.

Im Jahr 2004 hätten 839 Arbeitnehmer Treuegeld beanspruchen können, geklagt hatten aber nur 98 Arbeitnehmer; im Jahr 2005 waren 865 Arbeitnehmer treuegeldberechtigt, von denen nur 65 geklagt hatten und im Jahr 2006 hatten von 792 berechtigten Mitarbeitern nur 39 geklagt.

Der Arbeitgeber argumentierte, dass hierdurch eine negative betriebliche Übung entstanden sei. Der überwiegende Teil der Arbeitnehmer habe die Einstellung der Zahlungen widerspruchslos hingenommen. Mit der geänderten betrieblichen Handhabung habe sie auch dem hier klagenden Arbeitnehmer ein auf Einstellung der Leistung gerichtetes Änderungsangebot unterbreitet. Dieses Angebot habe der Kläger angenommen, da er der Einstellung der Treuegeldzahlungen in den Jahren 2004 bis 2006 nicht widersprochen habe.

Das Bundesarbeitsgericht hat bereits in Parallelurteilen anderen Klägern die Zahlungen auf Treuegeld und auch Jubiläumsgeld aus betrieblicher Übung zugesprochen und den entsprechen Anträgen für die Zukunft stattgegeben.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des beklagten Arbeitgebers zurückgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt und klargestellt, dass dem Arbeitnehmer ein Anspruch auf das geltend gemachte Treuegeld unter dem Gesichtspunkt der betrieblichen Übung zusteht und dies auch für die Zukunft festgestellt.

I. Keine kollektivrechtliche Grundlage

Das Bundesarbeitsgericht hat zunächst die Rechtsgrundlage der Zahlungsverpflichtung geprüft. Der Anspruch auf Zahlung des Treuegeldes beruht auf einer betrieblichen Übung. Der Arbeitgeber hat durch die regelmäßige vorbehaltslose Zahlung entsprechend den Regeln der Musterbetriebsordnung diese Ansprüche begründet. Eine Betriebsvereinbarung sollte zwar abgeschlossen werden, wurde aber gerade nicht vereinbart. Damit richtet sich das Schicksal der Zahlungsverpflichtung allein nach den Regelungen zur betrieblichen Übung.

II. Keine negative betriebliche Übung

Die frühere Rechtsprechung zur so genannten negativen oder gegenläufigen betrieblichen Übung hat das Bundesarbeitsgericht ausdrücklich aufgegeben. Mit dem Inkrafttreten der AGB-Kontrolle seit 1. Januar 2002 können die zuvor aufgestellten Grundsätze zur Verschlechterung oder Beseitigung vertraglicher Ansprüche von Arbeitnehmern auf Sonderzahlungen aufgrund einer gegenläufigen betrieblichen Übung nicht mehr aufrecht erhalten bleiben. Durch eine betriebliche Übung erwerben Arbeitnehmer vertragliche Ansprüche auf die üblich gewordenen Leistungen.

Hinweis für die Praxis:

Der so entstandene Rechtsanspruch aufgrund betrieblicher Übung ist kein vertraglicher Anspruch. Der Arbeitgeber kann ihn daher genauso wenig wie ein durch ausdrückliche arbeitsvertragliche Abrede begründeten Anspruch des Arbeitnehmers unter erleichterten Voraussetzungen zu Fall bringen.

III. Vertragliche Abänderung?

Vertragliche Regelungen können einvernehmlich durch Angebot und Annahme abgeändert werden. Dieses Prinzip kann auch auf die betriebliche Übung weiterhin angewandt werden. Der Arbeitgeber muss dann allerdings ausdrücklich oder konkludent ein annahmefähiges Angebot abgeben. Die bloße Einstellung von Leistungen und die begleitende Kündigung einer nicht existenten Betriebsvereinbarung reichen hierzu nicht aus. Erfüllt der Arbeitgeber bestimmte Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis nicht, gibt er damit nicht ohne Weiteres die rechtsgeschäftliche Erklärung ab, er wolle das Arbeitsverhältnis zu geänderten Bedingungen fortsetzen. Ein solches Verhalten müssen die Arbeitnehmer nicht als Vertragsangebot verstehen.

IV. Bloßes Schweigen reicht nicht aus

Selbst wenn die Nichtzahlung des Treugeldes und des Jubiläumsgeldes gegenüber den jeweils Anspruchsberechtigten als Angebot bewertet werden könnte, hatte der Kläger dies nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts nicht durch bloßes Schweigen angenommen. Der Arbeitgeber hatte keinen Anlass, die zeitweise Nichtgeltendmachung der Ansprüche als Einverständnis mit einem Wegfall der Ansprüche aufzufassen. Das Schweigen gegenüber einem Angebot auf Verschlechterung eines Vertrags ist grundsätzlich keine Annahme eines solchen Angebotes (vgl. § 151 BGB). Das gilt bei einer widerspruchslosen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer jedenfalls dann, wenn sich die angetragene Änderung nicht unmittelbar im Arbeitsverhältnis auswirkt.

Hinweis für die Praxis:

Nur die tatsächliche Praktizierung geänderter Vertragsbedingungen kann eine konkludente Erklärung sein, die einer Annahme gleichkommt. Hieran fehlte es im vorliegenden Fall.

V. Dreimalige Nichtgeltendmachung nicht ausreichend

Das Bundesarbeitsgericht hat in der bereits zitierten Entscheidung vom 18. März 2009 und vorliegend nochmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es mit der AGB-Kontrolle (vgl. das Klauselverbot für fingierte Erklärungen in § 308 Nr. 5 BGB) nicht zu vereinbaren ist, anzunehmen, dass eine dreimalige Nichtgeltendmachung einer aufgrund betrieblichen Übung entstandenen Forderung die Verpflichtung des Arbeitgebers beenden kann. Mit anderen Worten: Die dreimalige vorbehaltslose Gewährung von Leistungen kann zwar eine betriebliche Übung begründen, umgekehrt kann aber die dreimalige Nichtgeltendmachung eine betriebliche Übung nicht mehr beseitigen.

Fazit:

Nach diesen strengen Voraussetzungen ist die negative betriebliche Übung praktisch nicht mehr existent. Ansprüche aus einer betrieblichen Übung können nur noch durch eine einverständliche Vertragsänderung beseitigt werden. Möglich ist natürlich auch die Änderungskündigung, wobei dann die strengen und meist nicht vorliegenden Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes zu beachten sind.

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