06.09.2010

§ 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 bewirkt eine unzulässige unechte Rückwirkung soweit das Grundstück bereits am 31. März 1999 erworben und die zweijährige Spekulationsfrist bereits abgelaufen war.

Die zehnjährige Spekulationsfrist als solches ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Mit Pressemitteilung vom 19. August 2010 hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) seine Entscheidung zur Frage der Verfassungswidrigkeit der Verlängerung der sog. Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 bekannt gegeben. Durch Beschluss (Az.: 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05) entschieden das BVerfG, dass § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002 wegen Verstoßes gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes teilweise verfassungswidrig ist. Die Verlängerung der Veräußerungsfrist auf zehn Jahre als solche allerdings verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei.

Nach der bis zum 31. Dezember 1998 geltenden Rechtslage unterlagen die Gewinne aus privaten Grundstücksveräußerungsgeschäften der Einkommensteuer, wenn zwischen dem Zeitpunkt der Anschaffung und dem der Veräußerung weniger als zwei Jahre lagen (sog. Spekulationsfrist des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Durch das Steuerentlastungsgesetz 1999/2000/2002 wurde die sog. Spekulationsfrist auf zehn Jahre verlängert. Die Gesetzesänderung trat mit Wirkung zum 31. März 1999 in Kraft.

Durch die Übergangsregelung des § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG regelt der damalige Gesetzgeber, dass die neue zehnjährige Frist erstmals ab dem Veranlagungszeitraum 1999 Geltung haben sollte und unterwarf gleichzeitig, d. h. rückwirkend, auch bereits zu diesem Zeitpunkt erworbenen Grundstücke dem Anwendungsbereich der neuen zehnjährigen Spekulationsfrist, wenn der Vertrag über die Veräußerung erst im Jahre 1999 (oder zu einem späteren Zeitpunkt) abgeschlossen wurde.

Der Streitfall

In den entschiedenen Streitfällen hatten die Kläger die in den Jahren 1990 bzw. 1991 erworbenen Grundstücke (3 Grundstücke) nach Ablauf der alten zweijährigen, jedoch innerhalb der neuen zehnjährigen Spekulationsfrist veräußert. Die notarielle Beurkundung der Verträge erfolgte zum einen vor dem Inkrafttreten der neuen Rechtslage am 26. Februar 1999 bzw.16. März 1999 sowie nach dem Inkrafttreten der neuen Rechtslage am 22. April 1999. Das beklagte Finanzamt hatte in allen drei Fällen die neue zehnjährige Spekulationsfrist zur Anwendung gebracht und den erzielten Veräußerungsgewinn der Besteuerung unterworfen. Hiergegen richteten die Kläger ihre Klagen.

Die vor dem Finanzgericht Köln und dem Bundesfinanzhof erhobenen Klagen führten zur Vorlage beim BVerfG.

Die Entscheidungsgründe

Das BVerfG verneint eine grundsätzlich unzulässige „echte“ Rückwirkung der Regelung des § 23 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i. V. m. § 52 Abs. 39 Satz 1 EStG in der Fassung des Steuerentlastungsgesetzes 1999/2000/2002.

Es entschied jedoch, die Regelung bewirke eine „unechte“ Rückwirkung, soweit das Grundstück im Zeitpunkt der Verkündung der Neuregelung am 31. März 1999 bereits erworben war. Insoweit knüpfe die Anwendung der verlängerten Veräußerungsfrist an einen zurückliegenden Sachverhalt an. Dies sei zwar grundsätzlich nicht unzulässig, mit den grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Grundsätzen des Vertrauensschutzes aber nur vereinbar, wenn die Rückanknüpfung zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt. Diese Voraussetzungen liegen nach der Ansicht des BVerfG allerdings nur teilweise vor.

Soweit die früher geltende zweijährige Spekulationsfrist im Zeitpunkt der Verkündung noch nicht abgelaufen war, begegne ihre Verlängerung keinen verfassungsrechtlichen Bedenken. Das gleiche gelte, soweit die alte Frist zwar bereits abgelaufen war, sich der Zugriff aber auf die erst nach der Verkündung der Neuregelung eintretenden Wertsteigerungen beschränke. Denn die bloße Möglichkeit, Gewinne später steuerfrei vereinnahmen zu können, begründe keine (vertrauens-)rechtlich geschützte Position. Mit Wertsteigerungen könne im Zeitpunkt des Erwerbs nicht sicher gerechnet werden, so dass auch die Enttäuschung der Hoffnung auf künftige steuerfreie Vermögenszuwächse nicht als Beeinträchtigung greifbarer Vermögenswerte zu bewerten sei.

Die Anwendung der verlängerten Spekulationsfrist verstoße aber gegen die verfassungsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes und sei nichtig, soweit ein im Zeitpunkt der Verkündung bereits eingetretener Wertzuwachs der Besteuerung unterworfen werde, der nach der zuvor geltenden Rechtslage bereits steuerfrei realisiert worden sei oder zumindest bis zur Verkündung steuerfrei hätte realisiert werden können, weil die alte Spekulationsfrist bereits abgelaufen war. Insoweit sei bereits eine konkret verfestigte Vermögensposition entstanden, die durch die rückwirkende Verlängerung der Spekulationsfrist nachträglich entwertet werde.

Hinreichend gewichtige Gründe, die geeignet sind, die nachträgliche einkommensteuerrechtliche Belastung bereits entstandener, steuerfrei erworbener Wertzuwächse zu rechtfertigen, sah das BVerfG nicht.

Die vollständige Pressemitteilung finden Sie unter http://www.bundesverfassungsgericht.de/pressemitteilungen/bvg10-064.html

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