08.09.2010 -

Nach ständiger Rechtsprechung verzichtet der Arbeitgeber auf das Recht zum Ausspruch einer Kündigung durch eine Abmahnung. Dieser Verzicht bezieht sich auf den mit der Abmahnung gerügten Sachverhalt. Das Bundesarbeitsgericht hatte nun zu entscheiden, ob dies auch in dem Fall gilt, wenn weitere Pflichtverletzungen zu den abgemahnten hinzutreten bzw. frühere Pflichtverletzungen dem Arbeitgeber erst nach Ausspruch der Abmahnung bekannt werden (BAG, Urt. v. 26.11.2009 – 2 AZR 751/08).

Der Sachverhalt der Entscheidung:

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer verhaltensbedingten Kündigung. Der klagende Arbeitnehmer war als Barkeeper bei dem beklagten Hotel seit 1996 beschäftigt.

Der Arbeitgeber mahnte den Barkeeper Mitte Dezember 2005 mündlich ab. Mit Schreiben vom 28. Dezember 2005 wurde wegen der Nichtbefolgung einer Anweisung und rufschädigende Äußerungen über den Geschäftsführer und den Direktionsassistenten eine weitere Abmahnung ausgesprochen. Ab dem 28. Dezember 2005 war der Arbeitnehmer dann arbeitsunfähig.

Mit Schreiben vom 29. Dezember 2005 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis außerordentlich, hilfsweise ordentlich mit der Begründung, der Arbeitnehmer habe sich geschäftsschädigend gegenüber Mitarbeitern und Gästen verhalten. Ferner wurde die Kündigung auf eine Missachtung des betrieblichen Alkoholverbotes und den unbefugten, kostenlosen Ausschank von Alkohol an ehemalige Mitarbeiter gestützt.

Der Kläger hat Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat die ihm vorgeworfenen Pflichtverletzungen bestritten. Auch seien sie bereits abgemahnt worden. Mögliche kritische Äußerungen seien sachlich gerechtfertigt und durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Er habe nicht kostenlos Alkohol an Kollegen ausgegeben.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Kündigungsschutzklage stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und zur erneuten Verhandlung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

I. Verzicht auf das Recht zur Kündigung

Zweck einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht eine Sanktion für die begangene Pflichtverletzung, sondern die Vermeidung künftiger Pflichtenverstöße. Die fragliche Pflichtverletzung muss sich deshalb noch für die Zukunft belastend auswirken. Eine entsprechende Prognose ist berechtigt, wenn sich der Arbeitnehmer auch in Zukunft pflichtwidrig verhält. Eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzt deshalb regelmäßig eine einschlägige Abmahnung voraus. Diese dient der Objektivierung der negativen Prognose. Liegt eine solche Abmahnung vor und verletzt der Arbeitgeber gleichwohl erneut seine vertraglichen Pflichten, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch künftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen.

Hieraus folgt, dass im Ausspruch einer Abmahnung regelmäßig der (konkludente) Verzicht auf das Recht zur Kündigung aus den in ihr gerügten Gründen liegt. Der Arbeitgeber gibt mit einer Abmahnung zu erkennen, dass er das Arbeitsverhältnis noch nicht als so gestört ansieht, als dass er es nicht mehr fortsetzen könnte.

Hinweis für die Praxis:

Diese Grundsätze gelten selbst bei schwerwiegenden Pflichtverletzungen. Ist einmal eine Abmahnung ausgesprochen, kann man dann nicht mehr nachträglich auf die mit der Abmahnung gerügten Gründe doch noch eine Kündigung stützen. Das Kündigungsrecht ist verbraucht. Nur bei Hinzutreten neuer Gründe kann gekündigt werden.

II. Kündigungsverzicht erfasst nicht weitere Gründe

Treten weitere Gründe zu den abgemahnten hinzu oder werden sie erst nach dem Ausspruch der Abmahnung bekannt, sind diese vom Kündigungsverzicht nicht erfasst. Der Arbeitgeber kann sie zur Begründung einer Kündigung heranziehen und dabei auf die schon abgemahnten Gründe unterstützend zurückgreifen.

Aber: Kündigt der Arbeitgeber im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit einer vorausgegangenen Abmahnung, kann dies allerdings dafür sprechen, dass die Kündigung in Wirklichkeit wegen der bereits abgemahnten Pflichtverletzung erfolgt, zumal dann, wenn der Arbeitnehmer zwischen Abmahnung und Kündigungserklärung nicht mehr gearbeitet hat. Es ist insbesondere in einem solchen Fall Sache des Arbeitgebers, im Einzelnen darzulegen, dass neue oder später bekannt gewordene Gründe hinzugetreten sind und erst sie seinen Kündigungsentschluss bestimmt haben.

Fazit:

Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts ist zuzustimmen. Der Kündigungsverzicht erfasst allein die mit der Abmahnung gerügten Gründe. Werden später weitere Pflichtverletzungen bekannt, werden diese von dem Kündigungsverzicht nicht erfasst. Dennoch empfehlen wir der Praxis, nicht vorschnell eine Abmahnung auszusprechen, wenn der Sachverhalt noch nicht abschließend aufgeklärt ist. Der Ausspruch einer Abmahnung ist nicht fristgebunden. Welches Sanktionsmittel konkret angemessen ist, sollte erst nach abschließender sorgfältiger Sachverhaltsaufklärung entschieden werden.

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