03.03.2002 -

 

Bei der Privatisierung öffentlicher Einrichtungen stellt sich stets die Frage, wie mit den betroffenen Beamten zu verfahren ist. Regelmäßig bleiben die auf Probe oder Lebenszeit berufenen Beamten weiterhin in ihrem Beamtenstatus, werden aber dennoch bei dem nunmehr privatisierten Rechtsträger beschäftigt. In einem für die Praxis bedeutsamen Urteil hatte sich das BAG nun mit der Frage zu beschäftigen, ob bei einem von seinem öffentlichen Dienstherrn beurlaubten Beamten zusätzlich neben dem Beamtenverhältnis ein Arbeitsverhältnis mit der privaten Einrichtung zu Stande gekommen ist (27.06.2001 – 5 AZR 424/99).

 

Der Sachverhalt der Entscheidung:

Der klagende Arbeitnehmer war im Jahre 1970 als Bauassessor und Beamter auf Probe in die Dienste der Stadt H. und dort in die als Eigenbetrieb geführten Stadtwerke eingetreten. Im Rahmen der Privatisierung der Stadtwerke schlossen die Stadt und der neugegründete private Rechtsträger einen Personalüberleitungsvertrag. Der neue private Rechtsträger (im Folgenden Stadtwerke AG) trat in alle Arbeitsverträge mit den von dem Übergang betroffenen Arbeitern und Angestellten der Stadt ein. Die bis dahin in dem Eigenbetrieb tätigen Beamten wurde ihr von der Stadt „zur Dienstleistung zugeteilt“.

 

In dem Vertrag heißt es ferner:

„Die Stadtwerke AG verpflichtet sich, die Beamten für die Zeit der Zuteilung entsprechend ihrem jeweiligen Rechtsstand zu beschäftigen. Die Übertragung einer höherwertigen Tätigkeit bedarf der Zustimmung der Stadt; die Stadt verpflichtet sich, die sich daraus ergebenden beamten- und besoldungsrechtlichen Folgerungen sobald als möglich zu ziehen. …

Die Stadtwerke AG erstattet der Stadt die Bezüge und sonstigen Leistungen für die … genannten Personen und alle sonstigen unmittelbaren und mittelbaren Aufwendungen für Betriebsangehörige, frühere Betriebsangehörige und ihre Hinterbliebenen.“

 

Zwei Jahre nach der Privatisierung wurde der Kläger von der Stadt als Baurat in das Beamtenverhältnis auf Lebenszeit berufen. Später wurde er dann – wiederum von der Stadt – im Juni 1975 zum Baudirektor mit einer Planstelle nach Besoldungsgruppe A 15 ernannt.

 

Die Stadtwerke AG bewerteten im Jahre 1980 die Tätigkeiten des Klägers nach Vergütungsgruppe BAT I und zahlten ihm die Differenz zu seiner Besoldungsgruppe als „widerrufliche Ausgleichszulage“. In der Folgezeit gewährte man ihm monatliche Überstundenpauschalen und auch weitere Gehaltszulagen. 1994 wurde er zum Leiter der Hauptabteilung Wassergewinnung ernannt; 1995 erhielt er Gesamtprokura. Ein Schreiben der Stadtwerke AG an den Kläger Ende 1995 hat unter anderem die Überschrift „Nebenabrede zum Arbeitsvertrag“.

 

Die Stadtwerke AG sprach dem Kläger wegen Untreue im Jahre 1997 eine fristlose Kündigung aus. In dem Schreiben heißt es:

„Vorsorgliche außerordentliche Kündigung des eventuellen Arbeitsverhältnisses

…. Auch wenn wir davon ausgehen, dass zwischen Ihnen und uns kein Arbeitsverhältnis begründet ist, da Sie Beamter der Stadt sind, kündigen wir Ihnen vorsorglich zur Wahrung unserer Rechte das eventuelle konkludent bestehende Arbeitsverhältnis fristlos und mit sofortiger Wirkung wegen Untreue.“

 

Der Kläger erhob gegen die Kündigung Kündigungsschutzklage. Er hat die Auffassung vertreten, zwischen ihm und der Stadtwerke AG sei ein Arbeitsverhältnis begründet worden, das durch die ausgesprochene Kündigung nicht beendet worden sei.

 

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. In der Berufung hat das Landesarbeitsgericht hingegen die Klage abgewiesen mit der Begründung, dass ein Arbeitsverhältnis wegen des fortbestehenden Beamtenverhältnisses und dem in dem Personalüberleitungstarifvertrages zum Ausdruck gekommenen entgegenstehenden Willen nicht zu Stande gekommen ist.

 

Die Entscheidung des BAG:

Das Bundesarbeitsgericht hat sich in der Revision der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht angeschlossen und die Sache zur erneuten Verhandlung zurückgewiesen.

 

I. Nebeneinander von Arbeitsverhältnis und Beamtenverhältnis möglich?

Das BAG hat zunächst festgestellt, dass die Gleichzeitigkeit von Beamten- und Arbeitsverhältnis grundsätzlich nicht ausgeschlossen ist. Ein öffentlicher Dienstherr kann die bei ihm tätigen Beamten beurlauben. Ein mit seinem Einverständnis beurlaubter Beamter unterliegt dann gegenüber seinem öffentlichen Dienstherr keinen Dienstleistungspflichten mehr; ihm ist kein amtsgemäßer Aufgabenbereich mehr übertragen. Die Begründung eines Arbeitsverhältnisses neben dem fortbestehenden Beamtenverhältnis führt deshalb nicht zu einer Pflichtenkollision, sondern ist grundsätzlich möglich.

 

Soweit deshalb mit beurlaubten Beamten ein Arbeitsvertrag geschlossen wird, bestehen dagegen keine Bedenken.

 

II. Vorliegen eines Arbeitsverhältnisses Frage des Einzelfalles?

Soweit ein ausdrücklicher Arbeitsvertrag jedoch nicht geschlossen wird, ist die Frage, ob neben dem fortbestehenden Beamtenverhältnis zusätzlich ein Arbeitsverhältnis zu einem privaten Arbeitgeber begründet worden ist, anhand der jeweiligen Umstände des Einzelfalles zu beantworten.

 

1. Fortzahlung der Dienstbezüge?

Wird ein Beamter ohne Fortzahlung seiner Dienstbezüge beurlaubt, wird der Wille zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses regelmäßig vorliegen. Nur auf diese Weise lässt sich etwa eine Verpflichtung des privaten Arbeitgebers zur Vergütungszahlung begründen.

 

Werden hingegen die Beamtenbezüge auch bei der Beurlaubung fortgezahlt, ist ein entsprechender rechtsgeschäftlicher Wille zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses vielfach weniger eindeutig. Dies gilt umso mehr dann, wenn die Aufgaben des beurlaubten Beamten bei der privaten Einrichtung seinen Dienstpflichten als Beamter entsprechen oder diesen jedenfalls gleichwertig sind.

 

2. Übertragung höherwertiger Aufgaben als Kriterium!

Werden dem beurlaubten Beamten bei dem privaten Arbeitgeber hingegen höherwertige Aufgaben übertragen und wird er zu Diensten herangezogen, zu denen er als Beamter nicht verpflichtet ist, reicht ein aus seiner beamtenrechtlichen Stellung abgeleitetes Weisungsrecht regelmäßig nicht mehr als. Da in solchen Fällen mit der Übertragung höherwertiger Aufgaben stets aber auch der Wille des Arbeitgebers einhergeht, von dem „Beamten“ die Erfüllung der damit verbundenen Aufgaben und Pflichten verlangen zu können, ist in solchen Fällen davon auszugehen, dass beide Seiten eine rechtliche Grundlage in Gestalt eines Arbeitsvertrages mit entsprechendem Inhalt stillschweigend abgeschlossen haben. Eine solche konkludent geschlossene Vereinbarung kann schon dann angenommen werden, wenn dem „Beamten“ höhere Aufgaben übertragen werden und dieser die ihm übertragenen Dienste dann auch tatsächlich verrichtet.

 

III. Lösung des Falles

Diese Kriterien waren vorliegend erfüllt. Zwar kann zunächst davon ausgegangen werden, dass jedenfalls in den ersten Jahren ein Arbeitsverhältnis noch nicht begründet worden ist. Spätestens aber mit der Betrauung höherwertiger Aufgaben, der Beförderung zum leitenden Angestellten und auch der Übertragung der Gesamtprokura ist jedoch neben dem Beamtenverhältnis zusätzlich ein Arbeitsvertrag vereinbart worden. Selbst wenn man in dem Schreiben der Stadtwerke AG, das mit „Nebenabrede zum Arbeitsvertrag“ überschrieben war, keine eigenständige Vereinbarung sehen möchte, stellt es sich jedenfalls als „Bestätigung“ der bestehenden arbeitsvertraglichen Beziehungen der Parteien dar.

 

Zusammenfassend stand damit nach Auffassung des BAG fest, dass zwischen den Parteien zusätzlich zu dem Beamtenverhältnis ein Arbeitsverhältnis zu Stande gekommen ist und deshalb die Gründe der ausgesprochen fristlosen Kündigung von dem Landesarbeitsgericht nochmals im Einzelnen geprüft werden müssen.

 

Leitsatz der Entscheidung:

Wird ein Beamter von seinem öffentlichen Dienstherrn unter Fortzahlung des Gehalts „zur Dienstleistung“ bei einer privaten Einrichtung beurlaubt, kann – je nach den Umständen des Einzelfalles – neben dem Beamtenverhältnis ein Arbeitsverhältnis mit der privaten Einrichtung zu Stande kommen.

 

 

Hinweis für die Praxis:

Die Frage, ob neben einem Beamtenverhältnis ein Arbeitsverhältnis begründet wird, hat auch für die Frage der Wahlberechtigung nach § 7 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) besondere Bedeutung. Wahlberechtigt sind nämlich nur Arbeitnehmer, nicht aber Beamte. Die Klärung der rechtlichen Beziehungen ist deshalb auch für die Frage der Wahlberechtigung bedeutsam.

 

Soweit deshalb öffentliche Betriebe mit dort tätigen Beamten privatisiert werden, empfehlen wir, die rechtlichen Beziehungen auf eine gesicherte vertragliche Grundlage zu stellen, um spätere Rechtsstreitigkeiten sowohl über die Frage der Wahlberechtigung nach dem BetrVG als auch hinsichtlich des Arbeitnehmerstatus` zu vermeiden.

  

Verfasser: Rechtsanwalt Dr. Nicolai Besgen

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