Es begann mit einem Wirbelsturm. Nachdem der Hurrikan „Katrina“ über Louisiana gefegt war, verbauten im Zuge der Reparaturarbeiten Hausbesitzer über 250.000 Tonnen Gipsplatten aus China, die schwefelhaltige, übelriechende, gesundheitsschädliche Dämpfe absondern. Ihre Produkthaftungsklagen gegen die Hersteller wurden erheblich dadurch behindert, dass die Zustellung der Klageschriften in China immer wieder scheiterte. Die förmliche Zustellung einer Klage ist ein hoheitlicher Akt, der auf Ersuchen des Prozessstaats nur mit ausdrücklicher Billigung des Zustellungsstaates ausgeführt werden kann. Grenzüberschreitende Zustellungen sind weltweit vor allem durch das Haager Zustellungsübereinkommen von 1965 geregelt, an dem sowohl die USA als auch China beteiligt sind – doch die chinesischen Behörden gehen erfahrungsgemäß mit Zustellvorgängen aus den USA sehr eigenwillig um, nicht zuletzt wegen der erheblichen Dimensionen von Verurteilungen zu Strafschadenersatz in US-Produkthaftungsfällen.

Den „Chinese Drywall“-Skandal nahmen drei US-Senatoren bereits 2009 zum Anlass, einen Gesetzentwurf in den Kongress einzubringen, der Hersteller von in den USA vertriebenen fehlerhaften Produkten das Fürchten lehren dürfte. Wenig überraschend ist, dass der „Foreign Manufacturers Legal Accountability Act of 2009“ (http://frwebgate.access.gpo.gov/cgi-bin/getdoc.cgi?dbname=111_cong_bills&docid=f:s1606is.txt.pdf), also das Gesetz über die rechtliche Verantwortlichkeit ausländischer Hersteller, nach offizieller Lesart nur zu einer Gleichbehandlung ausländischer mit US-Produzenten führen soll – denn immerhin profitieren, so eine Pressemitteilung des US-Justizministeriums, die ausländischen Hersteller ja auch von ihrer Marktteilnahme in den USA.

Doch tatsächlich dürfte bei dem Vorhaben eher eine gehörige Stigmatisierung, wenn nicht Diskriminierung der Importhersteller herauskommen. So werden nach einer kurzen Einführungsfrist jegliche Hersteller von covered products (das sind neben chemischen und biologischen Produkten sowie Pestiziden auch sämtliche Verbrauchererzeugnisse im Sinne der amerikanischen Verbraucherschutzgesetze!) einen Zustellungsbevollmächtigten für sämtliche zivil- und ordnungsrechtlichen Klagen – nicht nur solche in Produkthaftungssachen! – zu benennen und registrieren haben; lediglich Kleinsthersteller können, müssen aber nicht, ausgenommen werden. Dieser Bevollmächtigte hat in einem US-Bundesstaat ansässig zu sein, der zu Import, Vertrieb oder Verkauf der Produkte einen wesentlichen Bezug aufweist. Und: wer einen solchen Prozessagenten registrieren lässt, unterwirft sein Unternehmen zugleich unwiderruflich der Gerichtsbarkeit der Staats- und Bundesgerichte in dem Bundesstaat, wo der Bevollmächtigte ansässig ist, verzichtet also auch weitgehend auf den Einwand der gerichtlichen Unzuständigkeit. Wer der Verpflichtung nicht nachkommt, unterliegt einem absoluten Importverbot.

Kaum überraschend, dass das Gesetzesvorhaben gerade in Deutschland und Europa auf heftigen Widerspruch stößt. Wie die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ am 13.10.2010 berichtet, hat die EU-Vertretung in Washington die Sprecherin des amerikanischen Repräsentantenhauses, Pelosi, bereits vor der Gefahr eines Exportstopps kleiner und mittlerer Unternehmen in die USA gewarnt. „Germany Trade and Invest“ befürchtet nach demselben Bericht, die ohnehin bei Schadenersatzklagen schon klägerfreundliche US-amerikanische Rechtsordnung werde nun für Kläger noch attraktiver, während die Prozessrisiken für ausländische Unternehmen weiter steigen. Auch auf der Ebene der WTO dürfte insbesondere das in dem Gesetz angedrohte Importverbot für Konfliktstoff sorgen.

Gegen die Auswirkungen des Gesetzes, das sich momentan noch zur Beratung in verschiedenen Ausschüssen des Kongresses befindet, dürfte kein juristisches Kraut gewachsen sein. Insbesondere Gerichtsstandsvereinbarungen oder Schiedsgerichtsklauseln als die Standard-Schutzvorkehrungen im internationalen Rechtsverkehr helfen hier natürlich nicht weiter, weil die potentiellen Kläger ja keine Vertragspartner, sondern beliebige Betroffene sind. Dem neuen Gegenwind aus den USA dürfte nur politischer Druck entgegenzusetzen sein. Ob, wann und in welcher Form vor allem die großen Exportstaaten hier reagieren, ist mit Interesse abzuwarten – ebenso wie die Antwort der Produkthaftungsversicherer, deren Prämien für USA-Risiken bereits jetzt astronomische Höhen erreicht haben.

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