06.01.2011 -

Der Arbeitgeber hat nach § 40 BetrVG die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten zu tragen. Hierzu gehören auch die erforderlichen Aufwendungen einzelner Betriebsratsmitglieder. Aufwendungen der persönlichen Lebensführungen sind grundsätzlich nicht erstattungsfähig. Das Bundesarbeitsgericht hat nun entschieden, dass Kinderbetreuungskosten eines alleinerziehenden Betriebsratsmitglieds dennoch bei Vorliegen bestimmter Voraussetzungen erstattungsfähig sind (BAG, Beschluss v. 23.06.2010 – 7 ABR 103/08).

Der Fall:

Die klagende Antragstellerin ist als Lagerarbeiterin beschäftigt, zuletzt in Teilzeit in einem Umfang von 87 Stunden monatlich. Sie ist nach ihrem Arbeitsvertrag verpflichtet, sich „unter Berücksichtigung der Zumutbarkeitsgrundsätze ggf. in eine andere Abteilung oder Betriebsstätte versetzen zu lassen“ und „über die vertragliche oder tarifvertragliche Arbeitszeit hinausgehende Arbeit sowie Nacht-, Sonn- und Feiertagsarbeit im Rahmen der gesetzlichen und tariflichen Bestimmungen zu leisten“. Sie war im Jahre 2005 Vorsitzende des beteiligten Betriebsrats. Zugleich war sie Mitglied des am Sitz der Arbeitgeberin errichteten Gesamtbetriebsrats. In der Zeit vom 20. bis zum 22. Juni 2005 nahm sie an einer Sitzung des Gesamtbetriebsrats am Sitz des Arbeitgebers, der 500 km von ihrem Betrieb entfernt ist, teil und besuchte dort anschließend vom 22. bis zum 24. Juni 2005 eine Betriebsräteversammlung. Auch einen Monat später vom 19. bis zum 22. Juli 2005 nahm sie an einer Sitzung des Gesamtbetriebsrats teil.

Die Antragstellerin hat neben zwei Kindern, die im Jahre 2005 11 und 12 Jahre alt waren, eine volljährige Tochter, die ebenfalls in ihrem Haushalt wohnt. Diese hatte in der Vergangenheit ihre beiden minderjährigen Geschwister schon einmal betreut, lehnte dies aber für die Abwesenheitszeiten ihrer Mutter im Juni und Juli 2005 unter Hinweis auf ihre Erfahrungen bei der früheren Betreuung ab.

Die Arbeitnehmerin ließ daraufhin ihre beiden minderjährigen Kinder ganztägig sowie über Nacht betreuen und vereinbarte mit der Betreuungskraft eine Tagespauschale von 30,00 € pro Kind. Während der insgesamt 10-tägigen Abwesenheit entstanden ihr dadurch Kosten in Höhe von 600,00 €.

Sie hat nun die Auffassung vertreten, die Arbeitgeberin müsse ihr die durch die Betreuung ihrer Kinder entstandenen Kosten nach § 40 Abs. 1 BetrVG erstatten. Andernfalls entstünden ihr Nachteile, die geeignet seien, sie an der Ausübung ihres Mandats zu behindern.
Die Arbeitgeberin hat beantragt, den Zahlungsantrag über 600,00 € zuzüglich Zinsen abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, Kinderbetreuungskosten seien Aufwendungen der persönlichen Lebensführung und als solche nicht erstattungsfähig.

Das Arbeitsgericht hat dem Antrag stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat ihn hingegen im Beschwerdeverfahren abgewiesen.

Die Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht hat die Rechtsbeschwerde für begründet angesehen und den Arbeitgeber verpflichtet, die Kinderbetreuungskosten in Höhe von 600,00 € nebst Zinsen zu erstatten.

I. Durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehende Kosten

Der Arbeitgeber hat nach § 40 Abs. 1 BetrVG die durch die Tätigkeit des Betriebsrats entstehenden Kosten zu übernehmen. Entsprechendes gilt nach § 51 Abs. 1 BetrVG für den Gesamtbetriebsrat. Zu den vom Arbeitgeber zu tragenden Kosten gehören nicht nur die dem Gremium entstehenden Aufwendungen. Vielmehr hat der Arbeitgeber auch die erforderlichen Aufwendungen einzelner Betriebsratsmitglieder zu erstatten, die diesen durch die Wahrnehmung ihrer betriebsverfassungsrechtlichen Aufgaben entstehen.

Vom Arbeitgeber nicht zu erstatten sind daher Kosten, die dem Betriebsratsmitglied unabhängig von seiner Betriebsratstätigkeit auch durch die Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten entstanden wären. Andernfalls würde das Betriebsratsmitglied wegen seiner Betriebsratstätigkeit begünstigt. Dies wäre mit dem in § 78 S. 2 BetrVG normierten Begünstigungsverbot unvereinbar.

II. Nicht nur unmittelbare Aufwendungen

Durch die Betriebsratstätigkeit versucht sind nicht nur die unmittelbaren Aufwendungen wie die bei der Wahrnehmung auswärtiger Betriebsratsaufgaben angefallenen Fahrt- und Übernachtungskosten. Vielmehr können hierzu auch Kosten gehören, die einem Betriebsratsmitglied dadurch entstehen, dass die Wahrnehmung seiner Betriebsratstätigkeit mit der Erfüllung einer anderen ihm obliegenden Pflicht kollidiert und er zur Lösung dieser Pflichtenkollision finanzielle Mittel aufwenden muss.

Hinweis für die Praxis:

Eine Pflicht des Arbeitgebers zur Tragung derartiger Kosten kann dabei nicht allein mit dem Hinweis verneint werden, das in einer Pflichtenkollision stehende Betriebsratsmitglied könne sich gem. § 25 Abs. 1 S. 2 BetrVG für verhindert erklären. Die Erfüllung von Betriebsratsaufgaben steht nicht im Belieben der einzelnen Betriebsratsmitglieder. Diese sind hierzu vielmehr gesetzlich verpflichtet und können im Falle einer groben Verletzung ihrer Pflichten nach § 23 Abs. 1 S. 1 BetrVG aus dem Betriebsrat ausgeschlossen werden.

III. Kosten der persönlichen Lebensführung?

Unter § 40 Abs. 1 BetrVG fallen allerdings nicht alle Aufwendungen eines einzelnen Betriebsratsmitglieds, die nur irgendwie im Zusammenhang mit seiner Betriebsratsmitgliedschaft bestehen. Insbesondere besteht grundsätzlich kein Anspruch auf Erstattung von Kosten, die dem Bereich der persönlichen Lebensführung zuzuordnen sind. Ein Arbeitnehmer, der Betriebsratsaufgaben übernimmt, muss wissen, dass deren Erfüllung mit persönlichen Verpflichtungen kollidieren kann. Die Lösung eines solchen Konfliktes obliegt grundsätzlich nicht dem Arbeitgeber. Das Betriebsratsmitglied kann daher von dem Arbeitgeber jedenfalls ohne Hinzutreten besonderer Umstände auch nicht die Erstattung von Mehraufwendungen verlangen, die ihm durch eine zumindest auch persönlich veranlasste Pflichtenkollision entstehen.

IV. Erstattung von Kinderbetreuungskosten

Bei der Pflege und Betreuung minderjähriger Kinder ist aber nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts die grundlegende Wertentscheidung in Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG zu beachten. Nach dieser Verfassungsnorm sind Pflege und Erziehung der Kinder „das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht“. Dieses Elternrecht hat nicht nur Grundrechtscharakter, sondern zugleich eine die gesamte staatliche Ordnung und damit auch die Gerichte bindende Richtlinienfunktion. Der Staat hat daher dafür Sorge zu tragen, dass es Eltern gleichermaßen möglich ist, Familientätigkeit und Erwerbstätigkeit miteinander zu verbinden. Dies steht einem Verständnis des § 40 Abs. 1 BetrVG entgegen, nach dem es ausschließlich Sache des Betriebsratsmitglieds ist, auf eigene Kosten den Konflikt zwischen den betriebsverfassungsrechtlichen Pflichten und der nach Art. 6 GG privilegierten Pflicht zur Pflege und Betreuung minderjähriger Kinder zu lösen.

Aber: Dies bedeutet nicht, dass ein Betriebsratsmitglied vom Arbeitgeber stets die Erstattung der während der Betriebsratstätigkeit anfallenden Fremdbetreuungskosten verlangen könnte. Vielmehr ist auch hier erforderlich, dass die Kosten gerade durch die Wahrnehmung von Betriebsratsaufgaben entstanden sind und bei Erfüllung der arbeitsvertraglichen Verpflichtung nicht entstanden wären. Die Erstattung von Kinderbetreuungskosten für Zeiten, in denen das Betriebsratsmitglied ohne die Erfüllung von Betriebsratsaufgaben zur Arbeitsleistung verpflichtet wäre, kann es daher nicht vom Arbeitgeber verlangen. Gleiches gilt für Zeiten, in denen der Arbeitgeber von dem Betriebsratsmitglied berechtigterweise Mehrarbeit verlangen könnte.

Hinweis für die Praxis:

Das Betriebsratsmitglied hat bei seiner Entscheidung, den Arbeitgeber mit den Fremdbetreuungskosten zu belasten, auch dessen Kostenbelange zu berücksichtigen. Der Betriebsrat ist daher verpflichtet, den Arbeitgeber nur mit Kosten zu belasten, die er der Sache nach für angemessen halten darf. Er hat darauf bedacht zu sein, die durch seine Tätigkeit verursachten Kosten auf das notwendige Maß zu beschränken. Diese Pflicht gilt auch für das einzelne Betriebsratsmitglied.

Fazit:

Im vorliegenden Fall waren die Kosten daher zu erstatten. Die Teilnahme an den Sitzungen gehörte zu den gesetzlichen Aufgaben der Betriebsrätin. Die Sitzungen des Gesamtbetriebsrats waren 500 km von ihrem Wohnort entfernt, so dass die Fremdbetreuung notwendig und erforderlich war. Andere Betreuungsmöglichkeiten gab es nicht. Insbesondere gab es keine Verpflichtung der volljährigen Tochter, die Betreuung zu übernehmen. Die Tagespauschale war angemessen und nicht erhöht.

Die Wertungen des Betriebsverfassungsgesetzes und auch des Grundgesetzes führen hier also zu einem Anspruch auf Kosten aus der persönlichen Lebensführung. Das Ergebnis mag für Arbeitgeber unbefriedigend sein, entspricht aber der geltenden Gesetzeslage.

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