25.01.2011 -

Der EuGH hat sich in einer weiteren Entscheidung erneut mit Urlaubsberechnungsfragen befasst. In einer weiteren Entscheidung hatte sich der EuGH nun mit der Frage zu befassen, ob die bisherige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bei Übergang von Vollzeit in Teilzeit europarechtswidrig ist (EuGH, Urt. v. 22.04.2010 – C-486/08, NZA 2010, 557). Die Entscheidung wird in der Literatur unterschiedlich gedeutet. Wir möchten die wesentlichen Kernaussagen der Entscheidung und ihre betrieblichen Auswirkungen nachfolgend vorstellen.

Der Fall (verkürzt):

Der Fall spielt in Tirol/Österreich. Die Aussagen des EuGH betreffen allerdings grundsätzlich die Auslegung der Arbeitszeitrichtlinie, die auch für Deutschland uneingeschränkt Anwendung findet.

Im Tiroler Landes-Vertragsbedienstetengesetz ist in § 55 Abs. 5 Folgendes geregelt:

Bei einer Änderung des Beschäftigungsausmaßes ist das Ausmaß des noch nicht verbrauchten Erholungsurlaubs an das neue Beschäftigungsausmaß aliquot (anteilig) anzupassen.

Der Zentralbetriebsrat eines Tiroler Landeskrankenhauses hatte hierzu die Frage aufgeworfen, ob diese Vorschrift mit europarechtlichen Regelungen vereinbar ist. Das Landgericht Innsbruck legte deshalb dem EuGH die Frage vor, ob § 55 Abs. 5 Unionsrecht entgegensteht.

Die Entscheidung:

Der EuGH hat diese Vorlagefrage bejaht und entschieden, dass

„… das einschlägige Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass es einer nationalen Regelung wie § 55 Abs. 5 L-VBG entgegensteht, wonach bei einer Änderung des Beschäftigungsausmaßes das Ausmaß des noch nicht verbrauchten Urlaubs in der Weise angepasst wird, dass der von einem Vollzeit auf Teilzeit übergegangenen Arbeitnehmer in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworbene Urlaubsanspruch, dessen Ausübung dem Arbeitnehmer während dieser Zeit nicht möglich war, reduziert wird oder der Arbeitnehmer diesen Urlaub nunmehr mit einem geringeren Urlaubsentgelt verbrauchen kann.“

I. Bezahlter Jahresurlaub als besonders bedeutsamer Unionsgrundsatz

Der EuGH hat zunächst klargestellt, dass nach seiner ständigen Rechtsprechung der Anspruch jedes Arbeitnehmers auf bezahlten Jahresurlaub als ein besonders bedeutsamer Grundsatz des Sozialrechts der Union anzusehen ist. Hiervon dürfen nicht abgewichen werden!

II. Nachholbare Ruhezeit

Ferner steht nach Auffassung des EuGH fest, dass mit dem Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub bezweckt wird, es dem Arbeitnehmer zu ermöglichen, sich zu erholen und über einen Zeitraum für Entspannung und Freizeit zu verfügen. Diese Ruhezeit verliere nicht dadurch ihre Bedeutung, dass sie nicht im eigentlichen Bezugszeitraum, sondern zu einer späteren Zeit genommen wird. Auch dann könne noch die positive Wirkung des bezahlten Jahresurlaubs für die Sicherheit und die Gesundheit des Arbeitnehmers eintreten.

III. Wechsel von Vollzeit auf Teilzeit

Aus diesen zuvor genannten Grundsätzen schließt der EuGH, dass die Inanspruchnahme des Jahresurlaubs zu einer späteren Zeit als den Bezugszeitraum in keiner Beziehung zu der in dieser späteren Zeit vom Arbeitnehmer erbrachten Arbeitszeit steht. Folglich darf durch eine Veränderung, insbesondere Verringerung, der Arbeitszeit beim Übergang von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung der Anspruch auf Jahresurlaub, den der Arbeitnehmer in der Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworben hat, nicht gemindert werden.

Hinweis für die Praxis:

Der EuGH hat allerdings ebenfalls ausdrücklich klargestellt, dass für die Zeit der Teilzeitbeschäftigung der Anspruch auf Jahresurlaub reduziert werden kann. Denn für diese Zeit ist die Minderung des Anspruchs auf Jahresurlaub gegenüber dem bei Vollzeitbeschäftigung bestehenden Anspruch aus sachlichen Gründen gerechtfertigt. Hingegen dürfe dieser Grundsatz nicht nachträglich auf einen Anspruch auf Jahresurlaub angewandt werden, der in einer Zeit der Vollzeitbeschäftigung erworben wurde.

IV. Keine Urlaubsentgeltminderung

Der EuGH hat schließlich ausdrücklich klargestellt, dass die vorstehenden Regelungen entsprechend auch für das Urlaubsentgelt gelten. Der Urlaub darf also bei einem Wechsel von einer Vollzeit- zu einer Teilzeitbeschäftigung nicht reduziert werden und der Arbeitnehmer darf diesen während der Vollzeit erworbenen Urlaub später auch nur mit dem im zustehenden vollen Urlaubsentgelt aus seiner Vollzeittätigkeit verbrauchen. Es ist also unzulässig, den Urlaub später auch mit einem geringeren Urlaubsentgelt, eben dem dann geltenden Teilzeitgehalt, zu vergüten.

Fazit:

Wechselt ein Arbeitnehmer von Vollzeit auf Teilzeit, dürfen die während der Vollzeit erworbenen Urlaubsansprüche nicht gekürzt werden. Der Arbeitnehmer darf wegen des Wechsels in Teilzeit nicht schlechter, aber auch nicht besser gestellt werden. Dies steht in Einklang mit der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts. Die Rechtsprechung des EuGH bezieht sich auf den gesetzlichen Mindesturlaub von vier Wochen (20 Tage in der Fünf-Tages-Woche). Dieser vierwöchige Urlaubsanspruch muss gewährleistet bleiben. Wechselt bspw. ein Arbeitnehmer von einer Fünf-Tages-Woche auf eine Drei-Tages-Woche, muss der Urlaubsanspruch der Drei-Tages-Woche anteilig umgerechnet werden: Wer nur drei Tage arbeitet muss für eine freie Woche auch nur drei Tage Urlaub nehmen. Nach diesem Prinzip verfährt aber bereits das Bundesarbeitsgericht (vgl. BAG, Urt. v. 28.04.1998 – 9 AZR 314/97, NZA 1999, 156).

Neu an der Rechtsprechung des EuGH ist vielmehr die Urlaubsentgeltberechnung. Wird nach einer Arbeitszeitverringerung ein vorher entstandener Urlaubsanspruch erfüllt, ist das Urlaubsentgelt nach der vorherigen höheren Arbeitszeit zu bemessen. Etwas anderes würde nur dann gelten, wenn es dem Arbeitnehmer bereits vorher möglich war, seinen Urlaub zu nehmen und er diesen bewusst nicht realisiert hat. Über diese Frage, die vom EuGH lediglich abstrakt entschieden wurde, wird es in der Praxis sicherlich noch einigen Streit geben. Wir werden über die weitere Entwicklung berichten.

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