25.04.2002 -

 

 

Über die Auswirkungen der Schuldrechtsreform auf das Arbeitsrecht, insbesondere der AGB-Kontrolle, hatten wir bereits vor kurzem berichtet. Das Schuldrechtsreformgesetz hat eine weitere Diskussion ausgelöst, die weitreichende Auswirkungen auf das Arbeitsrecht hat. Es geht dabei um die Anwendung des neuen Verbraucherschutzrechts auch auf das Arbeitsrecht. Durch die Schuldrechtsreform wurden nämlich die bisher in vielen Sondergesetzen geregelten Verbraucherschutzrechte in das Bürgerliche Gesetzbuch integriert.

 

1. Begriffliches

 

Die Diskussion kreist dabei um die Frage, ob der Arbeitnehmer als Verbraucher im Sinne von § 13 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) anzusehen ist. Danach ist ein Verbraucher eine natürliche Person, die ein Rechtsgeschäft zu einem Zwecke abschließt, der weder ihrer gewerblichen noch ihrer selbständigen beruflichen Tätigkeit zugerechnet werden kann.

 

Das Pendant zum Verbraucher ist der Unternehmer, der nach § 14 BGB eine Person ist, die bei Abschluss eines Rechtsgeschäfts in Ausübung ihrer gewerblichen oder selbständigen beruflichen Tätigkeit handelt. Verträge zwischen Unternehmer und Verbraucher sind so genannte Verbraucherverträge, die Sonderbestimmungen zu Gunsten des Verbrauchers auslösen. Dass der Arbeitgeberbegriff sich mit dem des Unternehmers im Sinne von § 14 BGB deckt, ist unstreitig. Problematisch und heiß diskutiert wird hingegen die Frage, ob der Arbeitnehmer als Verbraucher anzusehen ist.

 

2. Arbeitnehmer = Verbraucher?

 

Wendet man einmal § 13 BGB auf den Arbeitnehmer an, sind überraschenderweise alle Voraussetzungen dem Wortlaut nach erfüllt. Der Arbeitnehmer ist eine natürliche Person und schließt einen Arbeitsvertrag weder zu seinen gewerblichen noch zu einer selbständigen beruflichen Tätigkeit ab. Auch wenn dem Arbeitsrechtler die Annahme, der Arbeitnehmer sei Verbraucher, auf den ersten Blick völlig fern liegt, kann der klare Gesetzeswortlaut nur schwerlich umgangen werden. In der arbeitsrechtlichen Literatur finden sich deshalb auch schon erste Stimmen, die den Verbraucherbegriff bejahen.

 

Wie sich das Bundesarbeitsgericht, wenn ihm die Frage denn zur Entscheidung vorliegt, entscheiden wird, ist bislang noch offen. Die Gesetzesintention und auch die Integration des Verbraucherschutzrechts in das BGB sprechen allerdings für eine Bejahung. Wir wollen deshalb die wesentlichen Folgen des Verbraucherbegriffs für das Arbeitsrecht darstellen.

 

3. Folgen des Verbraucherbegriffs

 

·          AGB-Kontrolle

Wir hatten bereits an anderer Stelle darauf hingewiesen, dass die AGB-Kontrolle nur für solche Arbeitsverträge gilt, die für eine Vielzahl von Fällen vorformuliert werden. Individualabreden fallen nicht unter die AGB-Kontrolle, § 305 Abs. 1 BGB.

 

Handelt es sich hingegen um einen Verbrauchervertrag, finden die Vorschriften über die AGB-Kontrolle nach § 310 Abs. 3 BGB ebenfalls umfassend (!) Anwendung. Der Ausschluss der AGB-Kontrolle kann deshalb nicht damit begründet werden, der Arbeitsvertrag sei individuell ausgehandelt worden. Auch in diesem Fall handelt es sich jedenfalls um einen Verbrauchervertrag im Sinne von § 310 Abs. 3. Die AGB-Kontrolle kommt in diesen Fällen nur dann nicht zum Tragen, wenn die allgemeinen Geschäftsbedingungen nicht durch den Arbeitgeber, sondern durch den Arbeitnehmer in den Vertrag eingeführt wurden, § 310 Abs. 3 Nr. 1 BGB.

 

·        Höhe des Zinssatzes?

Die Qualifikation des Arbeitnehmers als Verbraucher entscheidet auch über die Höhe der Verzugszinsen. Ist nämlich der Arbeitnehmer Verbraucher, ist der Zinssatz um 3 % niedriger als bei Nicht-Verbrauchern, § 288 Abs. 1 u. 2 BGB. Wäre also der Arbeitgeber nicht Verbraucher im Sinne des BGB, wären Arbeitsentgeltforderungen nach § 288 Abs. 2 BGB mit einem Zinssatz von 8 % über dem Basiszinssatz zu verzinsen. Ist hingegen der Arbeitnehmer Verbraucher, wäre nur mit 5 % über dem Basiszinssatz zu verzinsen.

 

·            Widerrufsrecht des Arbeitnehmers!

Verbrauchern steht schließlich bei Geschäften, in denen die Gefahr eines Überraschungseffekts besteht, ein Widerrufsrecht zu. Dieses Widerrufsrecht folgt aus § 312 Abs. 1 BGB i.V.m. § 355 BGB. § 312 BGB spricht zwar – für das Arbeitsrecht missverständlich – von Haustürgeschäften, gilt aber für alle Verbraucherverträge. Dies kann arbeitsrechtlich insbesondere im Zusammenhang mit Änderungs- und/oder Aufhebungsverträgen relevant werden. Wird nämlich mit dem Arbeitnehmer im Betrieb ein Aufhebungsvertrag abgeschlossen, handelt es sich dann um ein „Haustürgeschäft“ im Sinne von § 312 Abs. 1 BGB, was das Widerrufsrecht auslöst.

 

Die Gewährung eines Widerrufsrechts in solchen Fällen ist aus mehreren Gründen für das Arbeitsrecht nicht plausibel. Zum einen hat auf diese Weise der Arbeitnehmer die Möglichkeit, zunächst einen Aufhebungsvertrag abzuschließen und so den Ablauf etwaiger für den Arbeitgeber wichtiger (Kündigungs-) Fristen abzuwarten und sich dann durch den späteren Widerruf des Aufhebungsvertrages in eine günstigere Verhandlungsposition zu bringen. Weiterhin scheint die Anwendung des Widerrufsrecht auch für die Fälle nicht gerechtfertigt, in denen der Arbeitnehmer bei Abschluss des Aufhebungsvertrages von einer fachkundigen Person (Rechtsanwalt, Gewerkschaftssekretär) beratend begleitet worden ist.

 

Das für Haustürgeschäfte sinnvolle Widerrufsrecht ist im Arbeitrecht nach unserer Auffassung völlig deplaziert. Jedenfalls für Aufhebungsverträge und Änderungsvereinbarungen sollten die im Arbeitsrecht geltenden Besonderheiten in entsprechender Anwendung des § 310 Abs. 4 Satz 2 BGB angemessen berücksichtigt und ein Widerrufsrecht des Arbeitnehmers verneint werden. Wie die Arbeitsgerichtsbarkeit mit dem neuen Verbraucherbegriff umgehen wird, ist jedoch zurzeit noch offen.

 

Über die weitere Entwicklung auf diesem bedeutsamen und spannenden Gebiet werden wir Sie wie gewohnt zeitnah unterrichten.

 

Quellen:

Hinweis auf folgende erste Stellungnahmen: Bauer/Kock, Arbeitsrechtliche Auswirkungen des neuen Verbraucherschutzrechts, Der Betrieb (DB) 2002, S. 42; Joussen, Arbeitsrecht und Schuldrechtsreform, NZA 2001, S. 745; Däubler, Die Auswirkungen der Schuldrechtsmodernisierung auf das Arbeitsrecht, NZA 2001, S. 1329; Bauer, Neue Spielregeln für Aufhebungs- und Abwicklungsverträge durch das geänderte BGB?, NZA 2002, S. 169; Hümmerich/Holthausen, Der Arbeitnehmer als Verbraucher, NZA 2002, S. 173; Boemke, Höhe der Verzugszinsen für Entgeltforderungen des Arbeitnehmers, Betriebs-Berater (BB) 2002, S. 96

 

Verfasser: Rechtsanwalt Dr. Nicolai Besgen

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