08.06.2011 -

Ausschlussfristen können berechtigte Ansprüche schon nach kurzer Zeit zu Fall bringen. Dies gilt gerade dann, wenn die Ausschlussfristen nicht im Arbeitsvertrag vereinbart sind, sondern lediglich im anwendbaren Tarifvertrag. Oftmals werden diese Fristen übersehen und verhindern dann die Geltendmachung von Lohnansprüchen. Besonders tückisch sind dabei die so genannten zweistufigen Ausschlussfristen. Danach müssen Ansprüche in einer ersten Stufe geltend gemacht werden und bei Ablehnung in einer kurzen zweiten Stufe zusätzlich gerichtlich eingeklagt werden. Das Bundesarbeitsgericht hatte sich nun mit der Frage zu befassen, wie die vorbehaltlose Mitteilung eines Arbeitgebers über den Stand eines Arbeitszeitkontos zu werten ist und ob Ausschlussfristen eine solche Mitteilung erfassen können (BAG, Urteil v. 28.07.2010 – 5 AZR 521/09).

Der Fall (verkürzt):

Die Parteien streiten über die Auszahlung eines Guthabens auf einem Arbeitszeitkonto. Der Kläger schied zum 14. Mai 2008 bei seinem Arbeitgeber aus. Auf das Arbeitsverhältnis fand der allgemeinverbindliche Bundesrahmentarifvertrag für das Baugewerbe (BRTV-Bau) Anwendung. In § 15 BRTV-Bau sind für den Verfall von Ansprüchen zweistufige Ausschlussfristen vorgesehen.

Im Zeitraum von Mai bis einschließlich September 2006 erhielt der Kläger neben seiner Lohnabrechnung, auf der das Arbeitszeitkonto mit „null“ Stunden und „null“ Euro geführt wurde, jeweils ein Zusatzblatt „Bestandteil der Lohnabrechnung“, welches den tatsächlichen Stand seines individuellen Arbeitszeitguthabens wiedergab. Zum 1. Oktober 2006 belief sich dieses auf 90 Stunden.

Ab Oktober 2006 wies die Beklagte das nun als Arbeitszeit-/Geldkonto bezeichnete Ausgleichskonto auf den jeweiligen monatlichen Lohnabrechnungen aus. In der Abrechnung für Oktober 2006 wurde ein Guthaben von lediglich 1,26 Stunden mitgeteilt.

Knapp drei Monate nach seinem Ausscheiden begehrte der Kläger am 5. August 2008 mit seiner an diesem Tag eingereichten Klage nach vorhergehender erfolgloser außergerichtlicher schriftlicher Geltendmachung vom 4. Juli 2008 unter Fristsetzung die Vergütung für 90 Stunden zu je 12,50 € brutto.

Der Arbeitgeber ist der Auffassung, der Anspruch sei verfallen.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und den Anspruch zugesprochen.

I. Arbeitszeitkonto = Vergütungsanspruch

Ein Arbeitszeitkonto drückt aus, in welchem Umfang der Arbeitnehmer Arbeit geleistet hat und deshalb Vergütung beanspruchen kann, bzw. in welchem Umfang er noch Arbeitsleistung für die vereinbarte Vergütung erbringen muss. Da dieses Zeitguthaben nur in anderer Form den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers ausdrückt, genügt für die Schlüssigkeit einer Klage, die auf Ausgleich des Guthabens auf einem Arbeitszeitkonto gerichtet ist, dass der Kläger die Vereinbarung eines Arbeitszeitkontos und das Bestehen eines Guthabens darlegt. Der Sache nach handelt es sich um den Vergütungsanspruch für vorgeleistete Arbeit.

Hier hatte der Kläger das Zusatzblatt „Bestandteil der Lohnabrechnung“ für September 2006 vorgelegt. Dieses gab den Stand seines individuellen Ausgleichskontos wieder. Danach belief sich sein Guthaben per 1. Oktober 2006 auf 90 Stunden. Dieses Guthaben ist wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit 1.125,00 € brutto entsprechend 12,50 € brutto je Arbeitsstunde zu vergüten. Für diesen Zahlungsanspruch ist es unerheblich, dass der Arbeitgeber das Guthaben nicht in Geld, sondern in Lohnstunden ausgewiesen hatte.

II. Keine Anwendung der Ausschlussfristen!  

Der Anspruch auf eine Zeitgutschrift bedurfte keiner Geltendmachung im Sinne des § 15 BRTV-Bau. Eine einmal in einer schriftlichen Lohnabrechnung des Arbeitgebers ausgewiesene Lohnforderung ist streitlos gestellt und muss nicht noch einmal schriftlich geltend gemacht werden. Das folgt aus dem Zweck von Ausschlussfristen. Der Gläubiger soll durch diese angehalten werden, die Begründetheit und Erfolgsaussichten seiner Ansprüche zu prüfen. Er soll den Schuldner innerhalb der maßgebenden Fristen darauf hinweisen, ob und welche Ansprüche im Einzelnen noch erhoben werden. Der Schuldner soll sich darauf verlassen können, nach Ablauf der Verfallfrist nicht mehr in Anspruch genommen zu werden.

Mit der Zuleitung einer vorbehaltlosen Lohnabrechnung ist dieser Zweck der Ausschlussfrist erreicht, ohne dass es einer weiteren Geltendmachung bedarf. Die Obliegenheit zur Geltendmachung lebt auch nicht wieder auf, wenn der Arbeitgeber die Forderung später bestreitet.

Hinweis für die Praxis:

Diese Grundsätze sind auf die Ausweisung von Guthabenstunden in ein vom Arbeitgeber für den einzelnen Arbeitnehmer geführten Arbeitszeitkonto zu übertragen. Der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers wird hier nur in anderer Form ausgedrückt. Die vorbehaltlose Mitteilung eines Arbeitgebers an den Arbeitnehmer über den Stand des Arbeitszeitkontos stellt dessen Saldo ebenso streitlos wie eine Lohn- oder Gehaltsmitteilung eine Geldforderung. Einer weiteren Geltendmachung bedarf es dann nicht mehr.

Fazit:

Hiernach musste der Kläger im vorliegenden Verfahren die Abgeltung der Guthabenstunden weder im Oktober 2006 noch später schriftlich oder gerichtlich geltend machen, denn das Guthaben war bereits streitlos gestellt. Da die erste Stufe der Ausschlussfrist nicht einzuhalten war, war der Kläger auch nicht gehalten, den Anspruch innerhalb der tariflich geregelten Frist gerichtlich geltend zu machen. Die Fristen liefen erst mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Die für diesen Fall anwendbaren Ausschlussfristen wurden aber gewahrt.

Die Rechtsprechung zu Ausschlussfristen ist regelmäßig restriktiv und sehr formal. Im vorliegenden Fall hat das Bundesarbeitsgericht allerdings mit der sehr großzügigen Annahme, dass vorbehaltslose Mitteilungen über den Stand eines Arbeitszeitkontos keine weitere Geltendmachung verlangen, die Anwendung der Ausschlussfristen ausgehebelt.

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