02.08.2011

In einer soeben veröffentlichten Entscheidung – XII ZR 94/09 – hat der BGH seine Rechtsprechung zu der Frage bestätigt, ab wann ein geschiedener Ehegatte neben der Betreuung eines Kindes ganztags berufstätig sein muss. In dem Verfahren ging es um die Frage, ob und ggf. in welcher Höhe ein geschiedener Ehemann weiter Ehegattenunterhalt an seine frühere Ehefrau zahlen muss, bei der ein gemeinsames Kind lebt. Der Ehemann wollte erreichen, dass die Unterhaltspflicht entfiel, weil die geschiedene Ehefrau nach seiner Ansicht neben der Betreuung des gemeinsamen Kindes ganztags berufstätig sein konnte und musste. Beim Familiengericht und beim Oberlandesgericht hatte er keinen Erfolg gehabt. Beide hatten entschieden, dass im Hinblick auf das Alter des Kindes nur eine Halbtagstätigkeit verlangt werden könne, eine Ganztagstätigkeit sei in der Regel erst ab dem achten Geburtstag des Kindes zumutbar. Der BGH hat demgegenüber seine frühere Rechtsprechung bestätigt, dass auf das Alter des Kindes nur in den ersten drei Lebensjahren abgestellt werden dürfe, und hat deshalb die Entscheidung des Oberlandesgerichts aufgehoben sowie das Verfahren an das Oberlandesgericht zur weiteren Aufklärung zurückverwiesen.

Der BGH hat dabei erneut folgendermaßen argumentiert:

  • Bis zum dritten Geburtstag des gemeinsamen Kindes ist der Elternteil, bei dem das Kind lebt, nicht zu irgendeiner Berufstätigkeit verpflichtet. Der betreuende Elternteil hat für diese Zeit –Zahlungsfähigkeit des anderen Elternteils unterstellt – einen gesicherten Anspruch auf den sogenannten Basisunterhalt, so dass ihm nie entgegengehalten werden kann, er müsse sich durch eigene Berufstätigkeit ganz oder teilweise selbst unterhalten.
  • Für die Zeit ab dem dritten Geburtstag des gemeinsamen Kindes fällt der Anspruch auf Betreuungsunterhalt nicht etwa automatisch weg, wie das oft angenommen wird. Vielmehr kann durchaus weiter ein Anspruch bestehen. Allerdings spielt jetzt das Alter des Kindes keine entscheidende Rolle mehr für die Frage, ob und in welchem Umfang eine Berufstätigkeit ausgeübt werden muss. Die Antwort hierauf richtet sich vielmehr nach den Umständen des Einzelfalls; eine Pauschalantwort, die sich fast ausschließlich am Alter des Kindes orientiert, ist – anders als nach dem früheren Recht – nicht mehr zulässig.
  • Abzustellen ist vielmehr darauf, ob im Interesse des Kindes („kindbezogene Gründe“) weiter Betreuungsunterhalt zu zahlen ist oder im Hinblick auf eine besondere nacheheliche Solidarität („elternbezogene Gründe“). Das lässt sich nicht schematisch feststellen, sondern nur nach den individuellen Verhältnissen des konkreten Einzelfalls.
  • Kindbezogene Gründe können z.B. vorliegen, wenn es keine Möglichkeit gibt, das Kind auswärts betreuen zu lassen, also etwa in einer Ganztagsschule oder in einem Hort. Soweit es um den Unterhalt geht, kann sich nämlich – so der BGH – kein Elternteil auf den Standpunkt stellen, dass er das Kind in jedem Fall selbst betreuen dürfe; vielmehr muss in der Regel eine Fremdbetreuung in Anspruch genommen werden. Ein kindbezogener Grund kann auch darin bestehen, dass das Kind aus besonderen Gründen – z.B. Erkrankung – noch länger persönlich betreut werden muss.
  • Elternbezogene Gründe können sich z.B. daraus ergeben, dass sich aus einer Ganztagstätigkeit und der Betreuung des Kindes, soweit dieses nicht fremdbetreut wird, eine unzumutbare Belastung ergibt, etwa wenn zur Arbeitszeit noch erhebliche Fahrzeiten zwischen Wohnung und Arbeitsstelle hinzukommen. Es ist auch denkbar, dass sich der betreuende Elternteil jedenfalls teilweise oder für einen gewissen Zeitraum darauf berufen kann, die Eltern seien sich vor der Trennung darüber einig gewesen, dass das gemeinsame Kind in erster Linie durch diesen Elternteil und nicht auswärts betreut werden solle; daraus kann sich ggf. ein Vertrauenstatbestand ergeben.
  • Wenn sich der betreuende Elternteil auf solche kind- oder elternbezogenen Gründe beruft, kann er das nicht pauschal tun, sondern muss diese Gründe im Detail darlegen und ggf. auch beweisen. Ein Beispiel: Wenn behauptet wird, das Kind könne nicht in Kindergarten, Hort, Ganztagsschule o.ä. betreut werden, so reicht diese allgemeine Behauptung nicht. Vielmehr muss ganz konkret dargestellt werden, was der betreuende Elternteil unternommen hat, um eine Fremdbetreuung zu erreichen, und warum das nicht gelungen ist.

Auch aus dieser weiteren BGH-Entscheidung ergibt sich, dass ein Anspruch auf Ehegattenunterhalt in Form des sogenannten Betreuungsunterhalts nach Scheidung durchaus auch noch bestehen kann, wenn das betreute Kind älter als drei Jahre ist. Nur kann man es sich bei der Begründung des Anspruchs nicht mehr so leicht machen wie nach dem früheren Recht und nur auf das Alter des Kindes verweisen. Es ist vielmehr erforderlich, ganz präzise darzustellen, aus welchen besonderen Gründen eine Ganztagstätigkeit neben der Betreuung des gemeinsamen Kindes nicht möglich oder nicht zumutbar ist.

Zusätzlich muss stets geprüft werden, ob nicht ein Anspruch auf Unterhalt ganz unabhängig vom Umfang der geschuldeten Berufstätigkeit allein deshalb besteht, weil der betreuende Elternteil, selbst wenn er ganztags tätig wäre, deutlich weniger als der andere verdienen würde (Aufstockungsunterhalt). In diesem Zusammenhang müssen auch die etwa anfallenden Kosten der auswärtigen Betreuung des Kindes berücksichtigt werden. Genauso kann ein Anspruch bestehen, wenn der betreuende Elternteil trotz aller Bemühungen keine Arbeitsstelle findet oder seine Teilzeittätigkeit nicht ausbauen kann.

Die rechtliche Situation ist mit den Änderungen des Unterhaltsrechts für geschiedene Eheleute deutlich komplizierter geworden. Auf eine intensive anwaltliche Beratung sollte man also nicht verzichten.

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