Der unter anderem für das Verkehrsunfallrecht zuständige VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 19. März 2002 (VI ZR 333/00) entschieden, dass Inline-Skates keine Fahrzeuge im Sinne der Straßenverkehrsordnung darstellen, sondern – unter Einschränkungen – als ähnliche Fortbewegungsmittel im Sinne von § 24 Abs. 1 StVO zu behandeln sind. Eine rechtliche Einordnung als Fahrzeuge hätte die Inline-Skater grundsätzlich zur Benutzung der Fahrbahn verpflichtet.
Der Sachverhalt:
Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall geltend, bei dem sie auf einer Straße im außerörtlichen Bereich auf Inline-Skates in einer langgezogenen Linkskurve mit dem ihr auf einem Motorroller entgegenkommenden Beklagten zusammenstieß und sich schwere Verletzungen zuzog. Die Straße ist dort knapp fünf Meter breit und hat keinen Rad- oder Fußgängerweg. Der linke Fahrbahnrand wies zur Unfallzeit zahlreiche Unebenheiten auf. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit an der Unfallstelle betrug 30 km/h. Die Klägerin hat behauptet, sie sei nach Passieren des Ortsausgangsschildes sofort in einem Bogen auf die – von ihr aus gesehen – linke Fahrbahnhälfte gefahren und habe sich dann in deren Mitte weiterbewegt.
Das Berufungsgericht hatte einen Anspruch der Klägerin auf Ersatz ihres materiellen Schadens aus § 7 Abs. 1 StVG dem Grunde nach nur zu 40% für gerechtfertigt erklärt und die Klage im übrigen wegen Mitverschuldens der Klägerin abgewiesen. Es hat die Auffassung vertreten, der Klägerin sei zur Last zu legen, dass sie nicht – wie es § 2 Abs. 1 und 2 StVO für Fahrzeuge vorschreibe – die rechte Fahrbahn benutzt habe. Hierzu sei sie verpflichtet gewesen, weil Inline-Skates als Fahrzeuge und nicht als „ähnliche Fortbewegungsmittel“ nach § 24 Abs. 1 StVO in Verbindung mit § 25 StVO nach den für Fußgänger geltenden Regeln zu behandeln seien. § 25 Abs. 1 S.3 StVO erlaubt nur bei Fehlen von Gehweg und Seitenstreifen die Benutzung der Straße und schreibt in einem solchen Fall außerhalb geschlossener Ortschaften, wenn zumutbar, das gehen bzw. fortbewegen am linken Fahrbahnrand vor.
Die Entscheidung:
Der BGH hat die angefochtene Entscheidung im Endergebnis bestätigt. Er hat sich dabei jedoch nicht der Auffassung des Berufungsgerichts über die rechtliche Einordnung der Inline-Skates angeschlossen. Nach der Auffassung des BGH sind Inline-Skates keine Fahrzeuge im Sinne der Straßenverkehrsordnung, sondern als ähnliche Fortbewegungsmittel im Sinne von § 24 Abs. 1 StVO zu behandeln. Sie entsprächen allerdings nicht in jeder Hinsicht den dort ausdrücklich aufgezählten oder herkömmlicher Weise hierzu gerechneten „ähnlichen Fortbewegungsmitteln“. Der Senat führte hierzu folgendes an:
„Inline-Skates haben zwar auch nur ein geringes Eigengewicht und sind üblicherweise nicht mit Beleuchtungen und mehrfachen Bremssystemen ausgestattet. Inline-Skater können jedoch die Geschwindigkeit von Fahrradfahrern erreichen und sind damit deutlich schneller als Fußgänger, wobei – in starkem Maße abhängig vom Können – die Bremswege erheblich länger sind als bei Fahrrädern. Eine Regelung durch den Gesetzgeber ist deshalb wünschenswert. Bis zu einer ausdrücklichen Regelung muss die Einordnung der Inline-Skates nach geltendem Recht so erfolgen, dass eine möglichst geringe gegenseitige Gefährdung oder Behinderung aller Verkehrsteilnehmer gewährleistet ist. Durch die Einordnung der Inline-Skates in § 24 StVO kann den für Inline-Skater bestehenden und von ihnen ausgehenden Gefahren derzeit noch am ehesten begegnet werden. Dies entspricht auch den Ergebnissen des Abschlußberichts eines vom Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen in Auftrag gegebenen Forschungsprojektes „Nutzung von Inline-Skates im Straßenverkehr“, in dem hervorgehoben worden ist, dass Inline-Skater auf der Fahrbahn mit der derzeitigen technischen Ausrüstung stärker gefährdet sind als im Seitenraum einer Straße und die Verträglichkeit mit dem Fahrradverkehr geringer ist als die mit dem Fußgängerverkehr. Dies spricht entscheidend dagegen, sie durch eine rechtliche Einordnung als Fahrzeuge grundsätzlich zur Benutzung der Fahrbahn zu verpflichten, was aufgrund des im Vergleich zu Radfahrern größeren Breitenbedarfs, der (etwas) geringeren Durchschnittsgeschwindigkeit und des längeren Bremsweges der Inline-Skater zu größeren Behinderungen und Gefährdungen des Fahrzeugverkehrs und ihrer selbst führen könnte. Demgegenüber zeigt die bisherige Erfahrung, dass Inline-Skater durch Anpassung ihrer Geschwindigkeit an die jeweilige konkrete Situation und an ihr Fahrkönnen die entsprechenden Wege mangels derzeit bestehender sinnvoller Alternativen gemeinsam mit Fußgängern nutzen können.“
Nach Ansicht der Richter des BGH trifft die Klägerin dennoch ein Mitverschulden am Unfall in Höhe von 60%:
„Selbst wenn mithin Inline-Skates nicht als Fahrzeuge zu behandeln sind, hält das Berufungsurteil den Angriffen der Revision im Ergebnis stand. Im vorliegenden Fall wies der linke Fahrbahnrand zur Unfallzeit zahlreiche Unebenheiten auf. Nach ihrem eigenen Sachvortrag fuhr die Klägerin auch tatsächlich nicht am linken Fahrbahnrand, wie es grundsätzlich für Fußgänger vorgeschrieben ist, sondern mitten auf der Fahrbahn des Gegenverkehrs. Das aber war ihr schon im Hinblick auf ihre Pflichten aus § 1 Abs. 2 StVO gegenüber den ihr entgegenkommenden Fahrzeugen keinesfalls gestattet. Vielmehr wäre sie – wenn sie auf ein Skaten an der Unfallörtlichkeit nicht gänzlich verzichten wollte – unter den hier gegebenen Umständen jedenfalls gehalten gewesen, die rechte Fahrbahnseite zu benutzen. Da sie dies nicht beachtet hat, musste sie sich ein Mitverschulden anrechnen lassen, dessen Bemessung durch das Berufungsgericht keine Rechtsfehler erkennen ließ.“
Anmerkung:
Ob Inline-Skater somit generell verpflichtet und berechtigt sind, bei Vorhandensein von Gehweg oder Seitenstreifen diesen in angepasster Fahrweise mit den Fußgängern zu benutzen, geht aus dem Urteil nicht eindeutig hervor. Dies ist bei nicht völlig überfüllten Gehwegen, auf denen ein die Fußgänger nicht gefährdendes Fortbewegen mit den Inline-Skates noch möglich ist, wohl aber zu bejahen. Sind Gehwege oder Seitenstreifen nicht vorhanden, so haben Inline-Skater jedenfalls zur Vermeidung einer Mitschuld bei einem Unfall aufgrund ihrer höheren Geschwindigkeit – wie Fahrradfahrer – den rechten Fahrbahnrand zu benutzen. Denn gem. § 1 Abs. 2 StVO hat sich jeder Verkehrteilnehmer so zu verhalten, dass kein anderer geschädigt, gefährdet oder mehr, als nach den Umständen unvermeidbar, behindert oder belästigt wird.
Verfasser: Daniel Möller
Quelle: Pressestelle des BGH
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