OLG Düsseldorf:

Die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen im Sinne der Pflichtteilsstrafklausel („Sollten die Kinder … nach dem Tode ihres Vaters als Erstversterbenden Pflichtteilsansprüche geltend machen, so sollen sie nach dem Tode des Letztversterbenden von uns ebenfalls nur pflichtteilsberechtigt sein, …“) erfordert ein ernsthaftes Verlangen des Pflichtteilsberechtigten gegenüber dem Erben, nicht dessen erfolgreiche Durchsetzung oder die wirksame Ausschlagung des Nacherbes

Worum es geht

Pflichtteilsstrafklauseln oder auch Verwirkungsklauseln

(Bsp: „Sollten die Kinder … nach dem Tode des Erstversterbenden Pflichtteilsansprüche geltend machen, so sollen sie nach dem Tode des Letztversterbenden von uns ebenfalls nur pflichtteilsberechtigt sein, …“)

sanktionieren eine unerwünschte Pflichtteilsforderung beim ersten Erbfall, um sicherzustellen, dass dem überlebenden Ehegatten bis zu seinem Tod der Nachlass ungeschmälert und ungestört verbleibt und dass nicht einer der Abkömmlinge bei der Verteilung des elterlichen Gesamtnachlasses bevorteilt wird. Ihre rechtliche Wirksamkeit wird allgemein nicht in Zweifel gezogen.

Besteht die Sanktion eines Verstoßes in dem Verlust der testamentarischen Zuwendung beim zweiten Erbfall, ist die Einsetzung zum Schlusserben unter eine auflösende Bedingung für den Fall des Pflichtteilsverlangens nach dem Erstversterbenden gestellt.

Welches Verhalten aber erforderlich ist, um die auflösende Bedingung und damit den Verlust der Schlusserbenstellung bei dieser weit verbreiteten Variante der Pflichtteilsstrafklausel auszulösen, hatte jetzt das OLG Düsseldorf zu entscheiden (OLG Düsseldorf: Beschluss vom 18.07.2011 – I-3 Wx 124/11, 3 Wx 124/11)

Der Fall

1.         S ist der Sohn, T die adoptierte Tochter des 2005 verstorbenen E. Herr E war bis zu seinem Tode verheiratet mit F, die 2010 verstarb.

Die Eheleute E und F hatten 1996 ein gemeinschaftliches Testament errichtet. Das 2005 eröffnete Testament enthielt u. A. folgende Bestimmungen:

„…, setzen wir, … uns nunmehr wechselseitig zu alleinigen Erben ein.

…[Vor- und Nacherbschaft]

Sollten die Kinder S und T nach dem Tode ihres Vaters als Erstversterbenden Pflichtteilsansprüche geltend machen, so sollen sie nach dem Tode des Letztversterbenden von uns ebenfalls nur pflichtteilsberechtigt sein, so dass in diesem Fall F … als Überlebende von uns über die Erbregelung nach ihrem Tode frei verfügen kann…“.

2.         Nach dem Tod ihres Vaters 2005 teilte T der Stiefmutter F durch Anwaltsschreiben mit, ihr stehe ein Pflichtteils- und womöglich auch ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zu, wies auf die Auskunftspflicht der F als Erbin hin, fügte einen Vordruck zur Erstellung eines Nachlassverzeichnisses bei, bat unter Fristsetzung um Erteilung des Verzeichnisses und um Beibringung eines Sachverständigengutachtens über den Wert des Grundbesitzes. Mit Anwaltsschrift ließ T sodann mitteilen, sie habe sich nach reiflicher Überlegung dazu entschlossen, die Erbeinsetzung als Nacherbin auszuschlagen und ihren Pflichtteilsanspruch geltend zu machen; die Ausschlagungserklärung werde in Kürze dem Nachlassgericht übersandt. Es werde um Mitteilung gebeten, ob und wann F bereit und in der Lage sei, den Pflichtteil an T auszuzahlen.

Zu der angekündigten Ausschlagung kam es nicht. T verfolgte ihren Pflichtteilsanspruch nicht weiter. Der Pflichtteil wurde in der Folgezeit auch nicht gezahlt und.

3.         Nachdem 2010 auch F verstorben war, beantragte der Bruder S einen Erbschein, wonach seine Stiefmutter F den E als Vorerbin und er (S) seinen Vater E als alleinigen Nacherben beerbt habe. Er machte geltend, seine Schwester T habe nach dem Tode des E Pflichtteilsansprüche geltend gemacht. Daher sei sie von der Erbfolge ausgeschlossen.

4.         T trat dem mit dem Argument entgegen, sie sei durch das Testament zu gleichen Teilen mit S als Nacherbin eingesetzt worden. Pflichtteilsansprüche habe sie nach dem Tode des Erblassers E nicht wirksam geltend gemacht; insbesondere habe sie die Nacherbschaft nicht ausgeschlagen, so dass die Strafklausel aus dem gemeinschaftlichen Testament nicht eingreife.

Die Entscheidung

Das OLG Düsseldorf gab dem S Recht und sah ihn aufgrund des gemeinschaftlichen Testaments als alleinigen Nacherben des E, nachdem die Vorerbin F, seine Stiefmutter, verstorben war.

T war von der (Nach-) Erbfolge nach dem E ausgeschlossen, weil sie als Kind des erstversterbenden Erblassers gegenüber der überlebenden Stiefmutter F das gesetzliche Pflichtteilsrecht nach dem Erstversterbenden E geltend gemacht und hierdurch die testamentarische Sanktionsklausel ausgelöst hatte.

Eine Pflichtteilsklausel kann auch Kinder aus früheren Ehen betreffen, die nur gegenüber einem der testierenden Ehegatten pflichtteilsberechtigt sind.

Die Pflichtteilsklausel wird durch das bewusste Geltendmachen des Pflichtteils in Kenntnis der Klausel ausgelöst. Welches Verhalten im Einzelfall ausreicht, ist mit der Klausel allerdings noch nicht eindeutig festgelegt und richtet sich nach dem durch Auslegung zu ermittelnden Willen des Testierenden.

Im Allgemeinen ist aus der Sicht des Erblassers davon auszugehen, dass der Erblasser mit der Sanktionsklausel seinen überlebenden Ehegatten nicht nur vor einer vorzeitigen Schmälerung der als Einheit gesehenen Erbmasse oder Gefahr einer solchen schützen, sondern ihm auch und gerade die persönlichen Belastungen ersparen wollte, die mit einer Auseinandersetzung mit dem (angeblich) Pflichtteilsberechtigten regelmäßig verbunden sind.

T hatte ihren Pflichtteil nach dem Erblasser im Rechtssinne geltend gemacht und hierdurch ihre Stellung als (Nach-) Erbin des letztversterbenden Ehegatten verwirkt. Dies erfordert nicht mehr als ein ernsthaftes Verlangen des Pflichtteils gegenüber dem Erben, nicht dessen (erfolgreiche, womöglich gerichtliche) Durchsetzung oder die Ausschlagung des Nacherbes.

  • Die Mitteilung der T, dass ihr ein Pflichtteils- und womöglich auch ein Pflichtteilsergänzungsanspruch zustehe,
  • der Hinweis auf die Auskunftspflicht der F als Erbin,
  • die Übersendung eines Vordrucks zur Erstellung eines Nachlassverzeichnisses,
  • die Aufforderung, ein Sachverständigengutachten über den Wert des Grundbesitzes beizubringen,
  • und letztlich die Mitteilung der T, sie habe sich nach reiflicher Überlegung dazu entschlossen, die Erbeinsetzung als Nacherbin auszuschlagen und ihren Pflichtteilsanspruch geltend zu machen, verbunden mit der Anfrage, ob und wann die Vorerbin F bereit und in der Lage sei, den Pflichtteil auszuzahlen,

reichen für ein ernsthaftes Geltendmachen des Pflichtteilsanspruchs im Rechtssinne aus.

Dass T ihr Nacherbe letztlich nicht ausgeschlagen hat, ist dann ohne Belang. Dem Eintritt der Verwirkungsklausel steht nämlich nicht entgegen, dass T entgegen ihrer Ankündigung gegenüber der Vorerbin F eine Ausschlagung gegenüber dem Gericht letztendlich nicht erklärt hat, weswegen es auch zu keiner Pflichtteilszahlung der Vorerbin an T kam. Denn das Geltendmachen des Pflichtteils zur Erfüllung der Verwirkungsklausel ist an keine besondere Form gebunden und erfordert auch nicht die Auszahlung des Pflichtteils, sondern setzt lediglich voraus, dass das Verlangen auf die Ernsthaftigkeit der Entscheidung zur Geltendmachung des Pflichtteils schließen lässt. Die Forderung muss ausdrücklich und ernsthaft gegenüber dem Erben als dem Pflichtteilsbelasteten erhoben werden, wobei es gleichgültig ist, ob dies gerichtlich oder außergerichtlich erfolgt.

Damit aber ist die Bedingung für den Fortfall der Erbeinsetzung der T eingetreten, mit der Folge, dass ihre Erbansprüche aus dem gemeinschaftlichen Testament verwirkt sind, weil sie den Pflichtteil nach ihrem verstorbenen Vater E gegenüber der Vorerbin F als überlebenden Ehegatten bewusst in Kenntnis der Pflichtteilsklausel aus dem gemeinschaftliches Testament geltend gemacht hat.

Der Eintritt der Verwirkungsklausel ist nicht rückwirkend dadurch wieder entfallen, dass T die Ausschlagung nicht erklärt hat. Ein nachträgliches Abstandnehmen von der Pflichtteilsausübung ist unbeachtlich. Es kommt auch nicht darauf an, ob das Erbe durch einen auszuzahlenden Pflichtteil tatsächlich geschmälert wurde.

Hinweise für die Praxis

Hinweis für Pflichtteilsberechtigte

Schnelles Geld ist gutes Geld“, mag es für manche pflichtteilsberechtigten Kinder bei Tod eines Elternteils heißen, wenn sich die Eltern in einem gemeinschaftlichen Testament wechselseitig zu Alleinerben eingesetzt und eine Pflichtteilsstrafklausel aufgenommen haben. Lieber jetzt einen schnellen ersten und später einen zweiten Pflichtteil, als am Ende auf ein ungewisses Erbe hoffen zu müssen. So liegt die Verlockung nahe, den Pflichtteil schon nach dem Tod des ersten Elternteils geltend zu machen.

Aber Vorsicht! Ist der Pflichtteil erst einmal geltend gemacht, gibt es auch bei nachträglich besserer Einsicht grundsätzlich kein Zurück mehr, wie der entschiedene Fall eindrücklich zeigt. Selbst wenn der erst einmal geltend gemachte Pflichtteilsanspruch – aus welchen Gründen auch immer – aufgegeben, nicht weiterverfolgt und auch nicht durchgesetzt wird, und somit auch unerheblich, ob der Pflichtteil ganz oder teilweise ausgezahlt wird, das volle Erbrecht ist am Ende in der Regel verloren.

Bevor der Pflichtteil geltend gemacht wird, gilt es somit auch hier zunächst, Ruhe zu bewahren, sich erst einmal so weit wie möglich über die Zusammensetzung des Nachlasses zu informieren und sich notfalls rechtlich beraten zu lassen. Manchmal ist es dann rechtlich oder wirtschaftlich und zu Teil – auch für den überlebenden Ehegatten – sogar steuerlich vernünftig, trotz bestehender Pflichtteilsstrafklausel den Pflichtteil geltend zu machen; manchmal ist es dagegen aus vielerlei Gründen sinnvoll und geboten, den Pflichtteilsanspruch nicht zu verfolgen. Das hängt je nach Einzelfall auch von der individuellen Familiensituation und der Anzahl der potentiellen Miterben und deren Verhältnis untereinander ab.

Wird „vorsorglich“ oder mit anderen Worten „vorschnell“ schon einmal der Pflichtteilsanspruch geltend gemacht, ist es zu spät. Die Bandbereite der Handlungsoptionen steht einem Pflichtteilsberechtigten dann nicht mehr zur Verfügung – oft einhergehend mit gravierenden erbrechtlichen Nachteilen durch den Verlust der Nacherben- oder Schlusserbenstellung im zweiten Erbgang der Eltern.

Hinweis für Verfasser von Ehegattentestamenten

Aber auch Ehegatten sollten vor dem Hintergrund der Konsequenzen der Entscheidung des OLG Düsseldorf überlegen, was sie mit einer Pflichtteilsstrafklausel eigentlich erreichen wollen.

  • Soll schon das einfache Geltendmachen des Pflichtteils ausreichen, um die Sanktion auszulösen?
  • Wäre es nicht sinnvoller und zum Schutz des überlebenden Ehegatten nicht vielleicht auch völlig ausreichend, die Sanktion an die erfolgreiche Durchsetzung des Anspruchs zu knüpfen und nicht schon an das bloße Geltendmachen?
  • Soll das Kind auch dann sanktioniert werden, wenn es einsichtig ist und den Anspruch mit Rücksicht auf den überlebenden Elternteil fallen lässt?
  • Soll auch dann sanktioniert werden, wenn ein Geltendmachen von Pflichtteilen im Familienkreis steuerlich sinnvoll ist und nicht gegen den Willen des überlebenden Ehegatten erfolgt?

Ggf. führt umgekehrt eine Pflichtteilsbelohnungsklausel für denjenigen, der seinen Pflichtteil nicht geltend macht, zum gewünschten Ziel. Die bekannteste solche Belohnungsklausel ist die sogenannte Jastrow´sche Klausel, die aber auch übers Ziel hinausschießen kann.

Auch hier ist bei Abfassen von Testamenten gründlich nachzudenken, bevor vorschnell Musterklauseln abgeschrieben oder unreflektiert übernommen werden, die dann oft zu ungewollten und wenig sinnvollen bis steuerlich nachteiligen Konsequenzen führen können.

Autor

Bild von  Andreas Jahn
Partner
Andreas Jahn
  • Rechtsanwalt und Steuerberater
  • Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht
Ihr Ansprechpartner für
  • Steuerrechtliche und gesellschaftsrechtliche Begleitung von Unternehmenstransaktionen, Umwandlungen, Umstrukturierungen
  • Erbschaftsteuer und Erbschaftsteuerplanung
  • Steuerrecht der Non-profit-Organisationen, Vereine, Verbände, Stiftungen
  • Familienunternehmen und Familienstiftungen
  • Steuerstrafrecht, Selbstanzeigeberatung

UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME

Sprechblasen

UNVERBINDLICHE KONTAKTAUFNAHME

Sind Sie unsicher, ob Sie mit Ihrer Angelegenheit bei uns richtig sind?
Nehmen Sie gerne unverbindlich Kontakt mit uns auf und schildern uns Ihr Anliegen.
Wir freuen uns auf Ihren Anruf.

Kontakt aufnehmen