Der 6. Senat des Bundesarbeitsgerichts (BAG) hatte den Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) in zwei Verfahren um eine Vorabentscheidung zur Vereinbarkeit von Entgeltregelungen im Tarifrecht des öffentlichen Dienstes mit dem Verbot der Altersdiskriminierung ersucht (BAG v. 20.05.2010 – 6 AZR 148/09; v. 20.05.2010 – 6 AZR 219/09 (A)). Hierzu hat der EuGH nun entschieden (EuGH v. 08.09.2011 – C 297/10 und C 298/10).
Die erste Frage des Vorentscheidungsersuchens des BAG ging konkret darum, ob eine tarifliche Entgeltregelung für die Angestellten im öffentlichen Dienst, die wie § 27 BAT in Verbindung mit dem Vergütungstarifvertrag Nr. 35 zum BAT die Grundvergütung in den einzelnen Vergütungsgruppen nach Lebensaltersstufen bemisst, auch unter Berücksichtigung des primärrechtlich gewährleisteten Rechts der Tarifvertragsparteien auf Kollektivverhandlungen gegen das primärrechtliche Verbot der Diskriminierung wegen Alters verstoße (Artikel 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sowie Artikel 2 und 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27.11.2000). Hintergrund der Vorlagefrage war ein Verfahren aus dem Land Berlin, wo der BAT im Wesentlichen noch bis zum 31.03.2010 Anwendung fand. Der EuGH entschied, dass das Verbot der Diskriminierung wegen Alters dahingehend auszulegen sei, dass es einer in einem Tarifvertrag vorgesehenen Maßnahme entgegenstehe, wonach sich innerhalb der jeweiligen Vergütungsgruppe die Grundvergütung eines Angestellten bei dessen Einstellung nach dem Alter bemesse. Insoweit, so der EuGH, beeinträchtige die Tatsache, dass das Unionsrecht einer solchen Regelung entgegenstehe, auch nicht das in Artikel 28 der Charta anerkannte Recht, Tarifverträge auszuhandeln und zu schließen.
In dem Verfahren C 297/10 gegen das Eisenbahn-Bundesamt ging es um die Frage, ob die Überleitung aus dem BAT in den TVöD, der im Gegensatz zum BAT keine Lebensaltersstufen mehr kennt, altersdiskriminierend gewesen sei. Im Rahmen der Überleitung in das neue System des TVöD erreichte nämlich die ursprüngliche Lebensaltersstufe im Wege der Besitzstandswahrung Berücksichtigung. Das BAG wollte vom EuGH zum einen wissen, ob das durch den TVÜ-Bund für den Übergang vom Vergütungssystem des BAT zum System des TVöD geschaffene System der vorübergehenden Einstufung eine Ungleichbehandlung wegen Alters bedeute, und zum anderen, ob sich dieses System damit rechtfertigen ließe, dass die Sozialpartner die Besitzstände der Angestellten bei der Vergütung wahren wollten. Der EuGH entschied hierzu, dass das System der Überführung in den TVöD eine Sachlage fortführe, dass Angestellte allein wegen ihres Einstellungsalters eine geringere Vergütung erhielten als ältere Angestellte, obwohl sie sich in einer vergleichbaren Situation befänden. Daraus, so der EuGH, ergebe sich, dass im Rahmen sowohl des TVÜ-Bund als auch des TVöD einige Angestellte, die von diesem Übergang der Vergütungssysteme betroffen waren, unmittelbar altersdiskriminiert würden. Allerdings stellte der EuGH gleichzeitig fest, dass die Sozialpartner im Rahmen der Aushandlung des TVöD und des TVÜ-Bund durch die Ungleichbehandlung ein legitimes Ziel verfolgten und diese zur Erreichung des Ziels auch angemessenen und erforderlich gewesen sei. Das Ziel der Sozialpartner sei nämlich gewesen, dass bei der Neueinstufung der Angestellten in das neue tarifliche Vergütungssystem sichergestellt würde, dass der Besitzstand der Angestellten gewahrt und ihre bisherige Vergütung erhalten bliebe. Der EuGH sieht die Wahrung des Besitzstandes einer Personengruppe als einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses an, der eine solche Einschränkung rechtfertige, vorausgesetzt, dass die einschränkende Maßnahme nicht über das zur Wahrung des Besitzstandes Erforderliche hinaus gehe. Die Beibehaltung der bisherigen Vergütung – so wie durch die Sozialpartner ausgehandelt -, sollte Einkommensverluste verhindern und sei ausschlaggebend dafür gewesen, dass die Sozialpartner den Wechsel von dem System des BAT zu dem des TVöD überhaupt vollziehen konnten. Dies sei, so der EuGH, ein legitimes Ziel. Auch stellte der EuGH fest, dass die Mittel zu Erreichung dieses Zieles angemessen und erforderlich gewesen seien, da die entsprechenden Regelungen Übergangscharakter hatten und zeitlich befristet waren. Insofern stellte der EuGH fest, dass Artikel 2 und 6 Abs. 1 der Richtlinie 2000/78 sowie Artikel 28 der Charta dahingehend auszulegen seien, dass sie dem Übergangssystem vom BAT in den TVöD nicht entgegenstünden.
Fazit:
- Im Ergebnis bedeutet dies, dass die Staffelung der Grundvergütung nach Lebensaltersstufen im BAT altersdiskriminierend ist. Auf den Haushalt des Landes Berlin könnten deshalb erhebliche Belastungen zukommen.
- Das System der Überführung der Angestellten aus dem BAT in den TVöD erfolgte europarechtskonform. Den öffentlichen Haushalten bleiben insofern weitere Belastungen erspart.
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