28.08.2002 -

Kommt es zu einer betriebsbedingten Kündigung, muss der Arbeitgeber nach §1 Abs. 3 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) soziale Gesichtspunkte ausreichend berücksichtigen, also eine Sozialauswahl durchführen. Dies gilt ausnahmsweise dann nicht, wenn mehrere Unternehmen einen so genannten Gemeinschaftsbetrieb bilden. Mit der für die Praxis äußerst bedeutsamen Frage, welche Anforderungen bei der Sozialauswahl in einem Gemeinschaftsbetrieb zu beachten sind, hatte sich kürzlich das Landesarbeitsgericht Köln (Landesarbeitsgericht Köln, Urt. v. 25. 4. 2001 – 8 (7) Sa 96/01 -, NZA-RR 2002, 422) in einer nun bekannt gewordenen Entscheidung zu beschäftigen.

 

Der Sachverhalt der Entscheidung (verkürzt):

Der klagende Arbeitnehmer war seit 10 Jahren bei dem beklagten Arbeitgeber als Lagerleiter tätig. Bei dem Arbeitgeber handelt es sich um ein Autohaus. Die Besonderheit des Falles liegt nun darin, dass nicht nur ein Autohaus betrieben wird, sondern mehr als 20 Autohäuser gleichen Namens, alle als eigenständige GmbH´s organisiert. Geschäftsführer aller GmbH´s ist ein Ehepaar. Jede örtliche GmbH verfügt darüber hinaus mindestens über einen weiteren Geschäftsführer, der vor Ort für die Geschäfte des örtlichen Unternehmens verantwortlich zeichnet.

 

Die betrieblichen Aktivitäten in einem dieser Autohäuser wurde nun unstreitig zum 31. Dezember 2000 eingestellt. Dem dort beschäftigt klagenden Arbeitnehmer wurde deshalb aus betriebsbedingten Gründen unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist fristgerecht gekündigt.

 

Der Arbeitnehmer berief sich nun auf eine fehlerhafte Sozialauswahl, da auch Arbeitnehmer einer anderen Betriebsstätte berücksichtigt hätten werden müssen. Die Autohäuser bildeten nämlich nach seiner Auffassung einen so genannten Gemeinschaftsbetrieb.

 

Die Entscheidung:

Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat der Berufung des Arbeitnehmers hingegen stattgegeben.

 

I. Definition Gemeinschaftsbetrieb

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts können mehrere Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb bilden (Gemeinschaftsbetrieb). Dies gilt sowohl für das Betriebsverfassungsrecht als auch für das Kündigungsschutzgesetz und hat nun durch das Betriebsverfassungs-Reformgesetz auch in § 1 Abs. 2 Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) seinen gesetzlichen Niederschlag gefunden.

 

Regelmäßig liegt nach der Rechtsprechung ein gemeinschaftlicher Betrieb dann vor, wenn die in einer Betriebsstätte vorhandenen materiellen oder immateriellen Betriebsmittel für den oder die verfolgten arbeitstechnischen Zwecke zusammengefasst, geordnet und gezielt eingesetzt werden. Ferner muss der Einsatz der menschlichen Arbeitskraft von einem einheitlichen Leitungsapparat gesteuert werden.

 

Bedeutsam ist damit, dass der Kern der Arbeitgeberfunktionen im sozialen und personellen Bereich von derselben institutionellen Leitung ausgeübt wird. Dabei schließen auch größere räumliche Entfernungen der einzelnen Unternehmen die Annahme eines Gemeinschaftsbetriebs nicht aus.

 

Beispiele:

– Gemeinsame Nutzung technischer und räumlicher Betriebsmittel

– Personelle, organisatorische und technische Verknüpfung von Arbeitsabläufen wie etwa gemeinsames Sekretariat, gemeinsame Buchhaltung etc.

– Personelle Verflechtungen, insbesondere Personenidentitäten auf Leitungsebene

– Keine getrennten Leitungsstrukturen

 

II. Rechtsfolgen des Gemeinschaftsbetriebs

Liegt ein Gemeinschaftsbetrieb in diesem Sinne vor, hat dies sowohl kündigungsschutzrechtlich als auch betriebsverfassungsrechtlich weitreichende Folgen. Obwohl mehrere Unternehmen rechtlich selbständig bspw. als GmbH organisiert sind, werden sie dennoch als ein Betrieb angesehen.

 

Betriebsverfassungsrechtlich wird deshalb unter anderem für sämtliche Unternehmen auch nur ein Betriebsrat gewählt. Kündigungsschutzrechtlich gilt das Kündigungsschutzgesetz einheitlich für alle Unternehmen im Gemeinschaftsbetrieb, so dass Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten dann in sämtlichen Unternehmen geprüft werden müssen. Auch die Sozialauswahl ist nicht auf den kündigenden Betrieb beschränkt, sondern findet ebenfalls unternehmensübergreifend im Gemeinschaftsbetrieb statt.

 

III. Sozialauswahl im Gemeinschaftsbetrieb: Darlegungs- und Beweislast?

Grundsätzlich trägt stets derjenige die Darlegungs- und Beweislast für die ihm günstigen Tatsachen. Beruft sich also ein Arbeitnehmer auf das Vorliegen eines von mehreren Unternehmen geführten gemeinsamen Betriebs, hat damit er diese für ihn günstige Tatsache zu beweisen.

 

Aber: Da er jedoch in der Regel keine oder nur ungenaue Kenntnisse von dem Inhalt der zwischen den beteiligten Unternehmen getroffenen vertraglichen Vereinbarung hat, dürfen insoweit keine zu strengen Anforderungen an seine Darlegungslast gestellt werden. Es reicht in der Regel aus, wenn er die äußeren Umstände schlüssig darlegt, die für die Annahme sprechen, dass sich mehrere Unternehmen rechtlich über die Führung eines gemeinsamen Betriebs geeinigt haben und dementsprechend arbeitstechnische Zwecke innerhalb der organisatorischen Einheit unter einem einheitlichen Leitungsapparat fortgesetzt verfolgen.

 

Auskunftsverpflichtung des Arbeitgebers!

Behauptet der Arbeitnehmer, dass eine Sozialauswahl nicht ordnungsgemäß stattgefunden hat und gibt ein Arbeitgeber keine oder keine vollständige Auskunft, so kann der Arbeitnehmer bei fehlender eigener Kenntnis die Namen sozial stärkerer Arbeitnehmer nicht nennen. Nach der Rechtsprechung ist es deshalb eine Obliegenheit des Arbeitgebers, seinen Vortrag hinsichtlich dieser Tatsachen zu ergänzen. Andernfalls ist der dem Kenntnisstand des Arbeitnehmers entsprechende und ihm konkreter nicht mögliche Vortrag, soziale Gesichtspunkte seien nicht ausreichend berücksichtigt, als unstreitig anzusehen.

 

Verlagerung der Beweislast

Damit wird die beim Arbeitnehmer liegende Beweislast letztlich doch auf den Arbeitgeber verlagert. Nur der Arbeitgeber ist nämlich in der Lage, die Namen anderer Arbeitnehmer, die in anderen Betriebsstätten arbeiten, konkrete zu benennen. Dem Arbeitnehmer wird dies aufgrund seiner Position regelmäßig nicht möglich sein.

 

Fazit damit:

Die Klage des Arbeitnehmers hatte damit also Erfolg. Eine betriebsübergreifende Sozialauswahl wurde nämlich nicht durchgeführt. Auch ist die Weigerung des Arbeitgebers, im Prozess, weitere Namen zu benennen, zu seinen Lasten gewertet worden.

 

Der gesetzlich nur dürftig geregelte Gemeinschaftsbetrieb ist für die Praxis mit vielen Fallstricken verbunden. Es kann deshalb nur dringend angeraten werden, sich über die Konsequenzen eines Gemeinschaftsbetriebs frühzeitig beraten zu lassen.

 

Verfasser: Dr. Nicolai Besgen, Fachanwalt für Arbeitsrecht

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