23.11.2011 -

Bei der Spielsucht handelt es sich um einen krankhaften Zustand, ähnlich der Alkoholabhängigkeit. Das Landesarbeitsgericht Hamm hatte sich in einem aktuellen Urteil mit der Frage dar Darlegungs- und Beweislast zu befassen (LAG Hamm, Urteil v. 03.02.2011 – 8 Sa 1373/10). Die Entscheidung befasst sich weniger mit den kündigungsrechtlichen Voraussetzungen einer personenbedingten Kündigung als vielmehr mit der Verteilung der Darlegungs- und Beweislast im Prozess.

Der Fall (verkürzt):

Der klagende Arbeitnehmer war als gewerblicher Mitarbeiter bei der Beklagten seit 1989 beschäftigt. Das mit ihm bestehende Arbeitsverhältnis wurde am 26. Juni zum 31. Dezember 2009 gekündigt.

Die Kündigung wurde mit der Begründung ausgesprochen, der Arbeitnehmer habe im Zeitraum vom 25. Mai bis zum 22. Juni 2009 unentschuldigt gefehlt. Er sei bereits zuvor am 8. April wegen unentschuldigten Fehlens abgemahnt worden und in einem Gespräch vom 17. April 2009 nach erneutem unentschuldigtem Fehlen eindringlich aufgefordert worden, seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nachzukommen.

Das Arbeitsgericht hat die Kündigung für unwirksam erklärt und der Kündigungsschutzklage stattgegeben.

Die Entscheidung:

I. Verteilung der Darlegungs- und Beweislast

Kündigungsgründe sind bekanntlich umfassend vom Arbeitgeber vorzutragen und zu beweisen. Im vorliegenden Fall stützte der Arbeitgeber seine Kündigung auf das unentschuldigte wiederholte und dauerhafte Fehlen.

Will der Arbeitnehmer sich gegen den Vorwurf des unentschuldigten Fehlens verteidigen, so hat er die hierfür maßgeblichen Tatsachen im Rahmen der so genannten „sekundären Behauptungslast“ gem. § 138 Abs. 2 ZPO so konkret darzulegen, wie es ihm nach den Umständen möglich und zumutbar ist. Allein diesen Tatsachenvortrag hat der Arbeitgeber sodann aufgrund der gesetzlichen Beweislastverteilung wiederum zu widerlegen, um den Nachweis des unentschuldigten Fehlens zu führen.

II. Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründe

Im vorliegenden Fall war vor allem problematisch, welche Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitnehmers zu stellen sind, welcher sich auf einen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund beruft. Hier muss unterschieden werden: Macht der Arbeitnehmer mit seinem Verteidigungsvorbringen Gründe geltend, welche einen äußeren Geschehensablauf betreffen, Gegenstand der eigenen Wahrnehmung waren und welche ihm den Umständen nach erinnerlich sein müssen, so kann eine schlagwortartige und pauschale Erklärung nicht genügen. Scheidet demgegenüber nach den Besonderheiten des Verteidigungsvorbringens eine eigene Wahrnehmung und vollständige Erinnerung aus oder sind Wahrnehmung und Erinnerung krankheitsbedingt beeinträchtigt, führt dies nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Hamm zwangsläufig zu einer entsprechenden Abschwächung der Darlegungslast. Allein der Umstand, dass in einem solchen Fall die Aufklärung des wahren Sacherhalts erschwert oder unmöglich sein kann und dementsprechend die Nachteile der Unaufklärbarkeit nach den Regeln der gesetzlichen Beweislastverteilung den Arbeitgeber treffen, vermag nach dem Landesarbeitsgericht hieran nichts zu ändern.

Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitnehmer durch Vorlage von ärztlichen Bescheinigungen seiner Ärztin vom 10. Dezember und der Diakonie vom 19. November 2009 im Prozess die Diagnose einer Glücksspielabhängigkeit vorgetragen. Das Landesarbeitsgericht hat dies für ausreichend erachtet. Die Bescheinigungen seien zwar erst fünf bis sechs Monate nach dem unentschuldigten Fehlen erstellt worden und aus den Bescheinigungen habe sich auch nicht eine Beeinträchtigung seiner Willensfreiheit und hieraus resultierend die Fehlzeiten ergeben. Dennoch sei der Vortrag des Arbeitnehmers ausreichend. Bei dem Kläger waren Suchterkrankungen und psychische Störungen festgestellt worden. Dies lasse darauf schließen, dass die Spielsucht ursächlich dafür gewesen ist, dass der Kläger seinen arbeitsvertraglichen Pflichten nicht nachkommen konnte. Andere Erkenntnisquellen stünden nicht zur Verfügung. Der Vortrag des Klägers sei daher daraufhin zu überprüfen, inwiefern er als nachvollziehbare Schilderung anzusehen sei oder ob sich offene Widersprüche zeigten. Dies sei aber nicht der Fall.

Fazit:

Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Hamm ist bemerkenswert. Trotz wiederholtem und hartnäckigem unentschuldigten Fehlen, das regelmäßig ohne weiteres sogar eine fristlose Kündigung rechtfertigt, wurde hier die Kündigung für unwirksam erachtet. Der Arbeitnehmer stützte sich auf ärztliche Bescheinigungen, die erst viele Monate später erstellt wurden. Das Gericht ließ dies ausreichen. Die Entscheidung macht deutlich, dass Kündigungen im Zusammenhang mit Abhängigkeiten (Drogen, Alkohol, Spielsucht etc.) kaum durchzusetzen sind. In diesen Fällen muss dem Arbeitnehmer zunächst eine Therapiemöglichkeit eingeräumt werden. Erst wenn diese nicht wahrgenommen wird oder es zu einem Rückfall kommt, kann regelmäßig eine wirksame Kündigung erklärt werden.

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