22.02.2012 -

Weigert sich ein Arbeitnehmer aus Glaubensgründen, eine zugewiesene Arbeit zu erbringen, tritt ein schwieriger Konflikt auf. Einerseits genießt die Religionsfreiheit verfassungsrechtlichen Schutz. Andererseits hat auch der Arbeitgeber ein vorrangiges Interesse daran, Mitarbeiter, die er eingestellt hat, mit den vertraglich vereinbarten Aufgaben befassen zu können. Das Bundesarbeitsgericht hat nun Leitlinien aufgestellt, wie mit solchen Konflikten in der Praxis umzugehen ist (BAG, Urteil v. 24.02.2011 – 2 AZR 636/09).

Der Fall:

Der klagende Arbeitnehmer war bereits seit November 1995 bei dem beklagten Einzelhandelsunternehmen beschäftigt. Er war zunächst in der Waschstraße tätig. Nach deren Stilllegung wurde er ab Oktober 2003 in dem zugehörigen Warenhaus als Ladenhilfe weiterbeschäftigt. Zu seinen Aufgaben im Einkaufsmarkt gehörten anfallende Auffüll- und Verräumarbeiten.

Der Kläger wurde dann weiter zunächst im Getränkebereich der Abteilung allgemeine Lebensmittel eingesetzt. Er äußerte aber den Wunsch nach einem Arbeitsplatzwechsel. Der Arbeitgeber wies ihm ab März 2007 Arbeiten in der Frischwarenabteilung zu. Während seiner dortigen Tätigkeit war der Kläger mehrmals wegen Krankheit arbeitsunfähig.

Im Anschluss an eine Arbeitsunfähigkeit im Januar 2008 stellte man ihm eine Rückumsetzung in den Getränkebereich in Aussicht. Nach einer weiteren Erkrankung wurde der Kläger am 25. Februar 2008 mündlich angewiesen, wieder in der Getränkeabteilung zu arbeiten. Der Kläger weigerte sich, der Anordnung Folge zu leisten. Er berief sich auf seinen muslimischen Glauben, der ihm den Umgang mit Alkohol und damit auch das Ein- und Ausräumen alkoholischer Produkte verbiete. Diesen Standpunkt behielt er auch nach schriftlicher Aufforderung zur Arbeitsaufnahme im Getränkebereich. Ihm als gläubigem Moslem seien jegliche Handlungen verboten, die der gewerblichen Verbreitung von Alkoholika dienten.

Der Arbeitgeber kündigte daraufhin nach Anhörung des Betriebsrats das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 1. März 2008 fristlos und mit einem weiteren Schreiben vom 5. März vorsorglich fristgerecht.

Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht lediglich festgestellt, dass die fristlose Kündigung unwirksam gewesen ist; die ordentliche Kündigung hingegen wirksam.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben. Der Rechtsstreit wurde zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen. Das Bundesarbeitsgericht konnte nicht abschließend entscheiden, ob die ordentliche Kündigung sozial gerechtfertigt ist.

I. Weisungsrecht und billiges Ermessen

Der Arbeitgeber kann aufgrund seines Weisungsrechts (§ 106 GewO) eine im Arbeitsvertrag nur abstrakt umschriebene Leistungspflicht des Arbeitnehmers nach Zeit, Ort und Art der Leistung einseitig näher bestimmen, soweit diese nicht nur im Gesetz oder Vertrag festgelegt ist. Das Weisungsrecht darf dabei nur nach billigem Ermessen ausgeübt werden. Das verlangt, dass der Arbeitgeber bei seiner Entscheidung die wesentlichen Umstände des Einzelfalles abgewogen und die beiderseitigen Interessen angemessen berücksichtigt hat. Maßgeblich ist der Zeitpunkt, in dem der Arbeitgeber seine Entscheidung trifft.

Hinweis für die Praxis:

Ob die Entscheidung billigem Ermessen entspricht, unterliegt nach § 106 S. 1 GewO i.V.m. § 315 Abs. 3 BGB der vollen gerichtlichen Kontrolle.

II. Beharrliche Arbeitsverweigerung

Die beharrliche Weigerung des Arbeitnehmers, eine vertraglich geschuldete, rechtmäßig und damit zugewiesene Arbeit zu leisten, stellt eine erhebliche Pflichtverletzung dar und ist in der Regel geeignet, jedenfalls die ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses sozial zu rechtfertigen. Im vorliegenden Fall stellte sich damit die Frage, ob die Tätigkeit im Getränkebereich und in der Getränkeabteilung wirksam über das Weisungsrecht zugewiesen wurde oder aber ob diese Weisung nicht mehr billigem Ermessen entsprach.

III. Glaubenskonflikt und Weisungsrecht

Das Bundesarbeitsgericht hat nun klargestellt, dass der Arbeitgeber einen ihm offenbarten und beachtlichen Glaubens- oder Gewissenskonflikt des Arbeitnehmers bei der Ausübung seines Weisungsrechts berücksichtigen muss. Dies setzt freilich voraus, dass der Arbeitnehmer darlegt, ihm sei wegen einer aus einer spezifischen Sachlage folgenden Gewissensnot heraus nicht zuzumuten, die an sich vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen. Dabei sind die kollidierenden Grundrechte beider Seiten zu sehen und zu berücksichtigen. Bezogen auf den Arbeitnehmer ist auf die Glaubens- und Bekenntnisfreiheit nach Art. 4 Abs. 1 GG Rücksicht zu nehmen. Für den Arbeitgeber ist hingegen der Umstand zu berücksichtigen, dass die Vertragspartner mit dem Abschluss des Arbeitsvertrages gerade in eine Begrenzung ihrer grundrechtlichen Freiheiten eingewilligt haben. Das Bundesarbeitsgericht betont mehrfach, dass die Frage, ob der Arbeitgeber bei der Ausübung seines Weisungsrechts auf die Glaubensüberzeugungen des Arbeitnehmers Rücksicht nehmen muss, eine Frage des Einzelfalls ist.

IV. Kriterien zur Lösung eines Glaubenskonfliktes

Zunächst muss der Glaubenskonflikt beachtlich sein. Die nicht ernsthafte, möglicherweise nur vorgeschobene Berufung auf bestimmte Glaubensinhalte- und Gebote kann keine Beachtung finden. Auch wenn Glaubensüberzeugungen keiner Nachprüfung anhand von Kriterien wie „irrig“, „beachtlich“ oder „unbeachtlich“ unterliegen, muss doch erkennbar sein, dass der Arbeitnehmer den von ihm ins Feld geführten Ge- oder Verboten seines Glaubens absolute Verbindlichkeitbeimisst.

Der Arbeitgeber muss im Falle eines solchen beachtlichen Glaubenskonfliktes prüfen, ob er den Arbeitnehmer im Betrieb oder Unternehmen entweder innerhalb des vertraglich vereinbarten Leistungsspektrums oder aber zu geänderten Vertragsbedingungen unter Vermeidung des Konfliktes sinnvoll weiterbeschäftigen kann. Dies war im vorliegenden Fall noch nicht abschließend durch die Vorinstanzen aufgeklärt. Offen war, ob der Arbeitgeber den Kläger in anderen Bereichen des Warenhauses, etwa im Bereich „Backwaren“ oder „Obst und Gemüse“ hätte einsetzen können. Zudem hat der Kläger auch seine Bereitschaft zum Ausdruck gebracht, in der Getränkeabteilung zu arbeiten, wenn er von der Verpflichtung ausgenommen werde, alkoholische Getränke zu beräumen. Schließlich ist als alternative Beschäftigungsmöglichkeit auch die vom Kläger zuletzt ausgeübte Tätigkeit in der Frischwarenabteilung in Betracht zu ziehen.

Hinweis für die Praxis:

Die Suche des Arbeitgebers nach alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten ist jedoch begrenzt. Die Verpflichtung zur Berücksichtigung einer konfliktvermeidenden Beschäftigungsalternative verlangt nicht vom Arbeitgeber, die Belange des Arbeitnehmers in jeder Hinsicht unter Anstellung eigener schutzwürdiger Interessen oder der anderen Arbeitnehmer durchzusetzen. Im Falle eines vorhersehbaren Konfliktes muss der Arbeitgeber daher nur nahe liegende und durchsetzbare Möglichkeiten einer Umsetzung ergreifen. Dies kommt auch in dem oben in Fußnote 1 zitierten Leitsatz des Bundesarbeitsgerichts deutlich zum Ausdruck.

V. Diskriminierung?

Das Bundesarbeitsgericht hat schließlich klargestellt, dass der Wirksamkeit einer personenbedingten Kündigung in solchen Fällen nicht ein Diskriminierungsverbot entgegensteht. Kann ein Arbeitnehmer wegen seines Glaubenskonfliktes nicht mehr sinnvoll beschäftigt werden, rechtfertigt dies die personenbedingte Kündigung. Dann scheidet aber eine unmittelbare Benachteiligung wegen der Religion nach dem AGG aus. Die Kündigung erfolgt in diesen Fällen nicht deshalb, weil ein Arbeitnehmer z.B. Moslem ist, sondern sie erfolgt deshalb, weil er sich außer Stande sieht, bestimmte vertraglich eingegangene Verpflichtungen zu erfüllen. Aus diesen Gründen liegt auch keine mittelbare Diskriminierung vor. Das Arbeitsverhältnis wird beendet, weil der Arbeitnehmer wegen seiner Glaubensüberzeugungen subjektiv nicht in der Lage ist, die vertraglich übernommenen Aufgaben zu verrichten, und anderweitig nicht eingesetzt werden kann.

Fazit:

Weigert sich ein Arbeitnehmer aus Glaubensgründen, seine arbeitsvertraglich vereinbarte Leistung zu erbringen, kann dies eine personenbedingte Kündigung rechtfertigen. Der Arbeitgeber muss aber sinnvolle alternative Beschäftigungsmöglichkeiten prüfen. Dies ist dann der Fall, wenn es dem Arbeitgeber nicht ohne größere Schwierigkeiten möglich ist, den Arbeitnehmer anderweitig sinnvoll einzusetzen. Dies bedarf stets der Einzelfallprüfung.

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