29.03.2012 -

Egal, ob Quelle, Schlecker oder Opel, eine Verschuldung des Unternehmens bringt in der Regel einen umfangreichen Personalabbau mit sich. Gerade in der Insolvenz sind betriebsbedingte Kündigungen mit hohen wirtschaftlichen Nachteilen für die betroffenen Mitarbeiter verbunden. Doch stellt das Arbeitsrecht einige Hürden für den Arbeitgeber auf, um betriebsbedingte Kündigungen rechtssicher zu gestalten. Dies wiederum bietet Arbeitnehmern oft die Möglichkeit, eine Kündigungsschutzklage mit Erfolg durchsetzen zu können. Wir wollen daher im Folgenden die wesentlichen Punkte von betriebsbedingten Kündigungen im Insolvenzverfahren darstellen.

1. Wegfall des Arbeitsplatzes

Zunächst muss der Arbeitsplatz des betroffenen Arbeitnehmers aufgrund einer unternehmerischen Entscheidung ersatzlos weggefallen sein. Beschließt der Arbeitgeber, sein Unternehmen zu verkleinern und z.B. eine Reihe von Filialen zu schließen, hat dies den Wegfall von Arbeitsplätzen zur Folge. Man spricht von einer Betriebsteil-Stilllegung. Wird der Betrieb bzw. das Unternehmen vollständig geschlossen, handelt es sich um eine Betriebs-Stilllegung.

2. Freie Arbeitsplätze

Sind an anderer Stelle im Unternehmen freie Arbeitsplätze zu vergeben, muss der Arbeitgeber diese dem zu kündigenden Mitarbeiter anbieten, sofern er hierfür qualifiziert ist. Bei einem umfangreichen Personalabbau in der Insolvenz ist dies jedoch regelmäßig nicht der Fall.

3. Sozialauswahl

Wesentlicher Punkt der Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung ist die Sozialauswahl. Denn der Arbeitgeber kann nicht einfach die Mitarbeiter kündigen, die die wegfallenden Arbeitsplätze besetzen. Vielmehr fordert das Kündigungsschutzgesetz („KSchG“) in § 1 Abs. 3, dass  die Mitarbeiter mit der geringsten sozialen Schutzbedürftigkeit die betriebsbedingte Kündigung  treffen soll.

a) Um diese Entscheidung zu treffen, muss der Arbeitgeber eine soziale Auswahl zwischen allen vergleichbaren Mitarbeitern treffen. Diese Auswahl hat sich an den folgenden Kriterien zu orientieren:

• Alter

• Dauer der Betriebszugehörigkeit

• Anzahl der Unterhaltspflichten (Ehegatte, Kinder)

• Schwerbehinderung

Häufig verwendet der Arbeitgeber hierfür ein Punkteschema, bei dem er für die einzelnen Kriterien zuvor festgelegte Punkte vergibt, um so die soziale Schutzbedürftigkeit der Mitarbeiter besser in Relation setzen zu können.

b) Die soziale Auswahl findet nur zwischen „vergleichbaren“ Mitarbeitern statt. Vergleichbar ist, wer austauschbar ist. Der von dem Wegfall des Arbeitsplatzes betroffene Mitarbeiter muss also nach seinen Kenntnissen, Fähigkeiten und Qualifikationen in der Lage sein, die Aufgaben eines anderen Mitarbeiters zu übernehmen. Zudem muss der Arbeitgeber den betroffenen Arbeitnehmer auch aufgrund des Arbeitsvertrages überhaupt auf den anderen Arbeitsplatz versetzen können. Hinzu kommt, dass in die Sozialauswahl nur Mitarbeiter auf der jeweils selben Hierarchieebene einbezogen werden können. So sind z.B. nur Filialleiter untereinander vergleichbar, jedoch nicht mit Verkaufsmitarbeitern. Oder Abteilungsleiter sind nur mit anderen Abteilungsleitern vergleichbar, aber nicht mit den Mitarbeitern ihrer Abteilung.

c) Die Sozialauswahl hat nach dem KSchG innerhalb eines „Betriebes“ zu erfolgen. Die genaue Festlegung, welche Mitarbeiter zusammen einen Betrieb bilden, bereitet gerade in einem Unternehmen mit bundesweiten Filialen große Schwierigkeiten. Fest steht, dass die einzelne Filiale keinen eigenständigen Betrieb darstellt. Unter Umständen bilden die Filialen in einem Bezirk zusammen einen Betrieb. Möglicherweise stellt das gesamte Unternehmen auch einen einzigen Betrieb dar. Dies hätte zur Folge, dass die Sozialauswahl bundesweitdurchzuführen wäre. Die Bestimmung des „Betriebes“ hängt davon ab, wo die Person angesiedelt ist, die die wesentlichen Entscheidungenfür die Arbeitnehmer trifft (z.B. Einstellung, Abmahnung, Kündigung, Urlaub). Ist dies der Bezirksleiter, so würden z.B. die Filialen eines Bezirkes zusammen einen Betrieb bilden.

d) Arbeitgeber versuchen häufig, den Risiken einer Sozialauswahl dadurch zu begegnen, dass sie mit dem Betriebsrat (oder Gesamtbetriebsrat) einen Interessenausgleich mit Namensliste abschließen. In der Namensliste sind alle Mitarbeiter namentlich genannt, die eine Kündigung erhalten sollen. Dies bedeutet, dass die Sozialauswahl von den Arbeitsgerichten nur noch auf „grobe Fehlerhaftigkeit“ untersucht werden kann. Leichtere Fehler können dagegen nicht die Unwirksamkeit der Kündigung mit sich bringen. Die Grenze zwischen einfachen und groben Fehlern ist schwierig zu ziehen. In jedem Fall muss der Arbeitgeber aber von den zutreffenden sozialen Daten aller Arbeitnehmer ausgegangen sein.

4. Kündigungsfrist

Generell sieht das Gesetz (§ 622 BGB) vor, dass die Kündigungsfristen für den Arbeitgeber immer länger werden, je nach Dauer der Betriebszugehörigkeit. So gilt zum Beispiell für einen Arbeitnehmer, der zehn Jahre im Betrieb ist, eine Kündigungsfrist von vier Monaten zum Monatsende. Ab 12 Jahren Betriebszugehörigkeit beträgt die Kündigungsfrist fünf Monate und ab 15 Jahren Betriebszugehörigkeit sechs Monate.

Im Insolvenzverfahren gilt jedoch eine Besonderheit: Nach § 113 S. 2 Insolvenzordnung („InsO“) ist die Kündigungsfrist maximal drei Monate lang. Haben Arbeitnehmer nach dem Gesetz eine kürzere Kündigungsfrist, gilt diese. Für alle anderen Arbeitnehmer hat der Arbeitgeber mit einer dreimonatigen Kündigungsfrist zu kündigen.

5. Kündigungsschutzklage

Hat der Arbeitnehmer eine Kündigung erhalten, muss er innerhalb von drei Wochen eine Kündigungsschutzklage beim zuständigen Arbeitsgericht einreichen. Versäumt er diese Frist, wird die Kündigung wirksam und kann nicht mehr angegriffen werden. Das zuständige Arbeitsgericht bestimmt sich nach dem Ort, an dem der Arbeitnehmer seine Tätigkeit in der Regel ausübt.

Das gesetzliche vorgesehene Ziel einer Kündigungsschutzklage liegt in der Feststellung der Unwirksamkeit der Kündigung mit der Folge, dass das Arbeitsverhältnis weiterläuft und der Arbeitnehmer wieder zu beschäftigen ist. Jedoch wird in insgesamt 80 % aller Kündigungsschutzklagen in der ersten Instanz ein Vergleich geschlossen, wonach das Arbeitsverhältnis einvernehmlich aufgehobenwird und der Arbeitnehmer hierfür eine Abfindung erhält. Diesem Vergleich müssen beide Parteien zustimmen. Das Arbeitsgericht kann den Vergleich nur vorschlagen, die Parteien aber nicht dazu zwingen.

Im Insolvenzverfahren stellt sich in der Regel das Problem, dass das Unternehmen über keine finanziellen Mittel mehr verfügt, um Abfindungen zu zahlen. In diesem Fall besteht nur dann eine gute Aussicht auf eine angemessene Abfindung, wenn für das Unternehmen ein Käufer oder Investor gefunden wurde.

Zu beachten ist, dass es im arbeitsgerichtlichen Verfahren in der ersten Instanz keine Kostenerstattung für die obsiegende Partei gibt. Beauftragt der Arbeitnehmer einen Rechtsanwalt, hat er die hierbei anfallenden Gebühren auch dann selbst zu tragen, wenn er das Verfahren gewinnt. Ist der Arbeitnehmer rechtsschutzversichert, trägt selbstverständlich diese die Kosten des Verfahrens. Mitarbeiter ohne Rechtsschutzversicherung sollten sich zunächst über die anfallenden Kosten informieren.

6. Fazit

Das Arbeitsrecht stellt recht hohe Anforderungen an die Wirksamkeit von betriebsbedingten Kündigungen. Gerade bei der Durchführung der Sozialauswahl muss der Arbeitgeber sehr sorgfältig vorgehen und sich ausreichend über die sozialen Daten aller Mitarbeiter informieren. Da bei einer Vielzahl von Mitarbeitern und Kündigungen das Risiko von Fehlern sehr hoch ist, sollten Arbeitnehmer in der Regel Kündigungsschutzklage erheben und versuchen, zumindest eine Abfindung für ihre evtl. langjährige Tätigkeit für das Unternehmen zu erhalten.

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

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Autorin

Bild von  Anja Stümper
Counsel
Anja Stümper
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  • Führungskräfte, Arbeitnehmer

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