06.05.2012 -

Mit der aktuellen Rechtsprechung zur Urlaubsabgeltung bei dauerhafter Arbeitsunfähigkeit hatten wir uns in den vergangenen Monaten regelmäßig befasst. Immer wieder kommt es zu neuen Urteilen und Fallgestaltungen. Der EuGH hatte nun in der Sache „KHS/Schulte“ eine Begrenzung auf 15 Monate zugelassen und bejaht (EuGH, Urteil v. 22.11.2011 – C-214/10). Der Entscheidung lag aber ein spezieller Tarifvertrag zugrunde. Die Praxis stellte und stellt sich daher weiterhin die Frage, ob dieses Urteil generell für alle Arbeitnehmer gilt oder aber nur in Fällen zur Anwendung kommt, in denen ein spezieller Tarifvertrag Wirkung entfaltet. Zu der Problematik liegen nun einige Instanzurteile vor; das Bundesarbeitsgericht hat noch nicht entschieden. Den aktuellen Stand der Diskussion möchten wir für die Praxis nachfolgend aufbereiten.

I. Ausgangslage

Der EuGH und im Anschluss das Bundesarbeitsgericht haben bekanntlich im Jahre 2009 die Urlaubsrechtsprechung bei dauerhafter Erkrankung abgeändert. Bei dauerhafter Erkrankung dürfen die gesetzlichen Mindesturlaubsansprüche von vier Wochen nicht mehr verfallen. Vertrauensschutz wurde nicht gewährt. Die Rechtsprechung führte also mit sofortiger Wirkung zur Ansammlung von Urlaubsansprüchen bei dauerhafter Erkrankung. Viele Arbeitgeber haben daraufhin Langzeiterkrankte wegen dieses finanziellen Risikos gekündigt bzw. Krankheitskündigungen prüfen lassen und Rückstellungen gebildet.

In der Praxis gab es zahlreiche kreative Versuche, dieses Ergebnis abzuschwächen und die Ansprüche zu begrenzen. Diskutiert wurden die Anwendung von Ausschlussfristen, Verjährungsfragen und auch eine Begrenzung unter Bezugnahme auf andere Rechtsregeln, insbesondere das IAO-Übereinkommen. Letzteres sieht eine Begrenzung auf 18 Monate vor. Das Landesarbeitsgericht Hamm hatte daher dem EuGH die Frage vorgelegt, ob eine Begrenzung auf 18 Monate in entsprechender Anwendung des IAO-Übereinkommens zulässig ist. Der EuGH hat dann in der zitierten KHS/Schulte-Entscheidung die Begrenzung auf 15 Monate(nicht 18 Monate) für wirksam erachtet. Die 15 Monate resultierten im konkreten Fall aus einem anwendbaren Tarifvertrag.

II. Folgerechtsprechung

Im Anschluss an die EuGH-Rechtsprechung hatten sich nun einige Instanz-Gerichte mit der Frage zu befassen, ob die von dem EuGH zugrunde gelegten 15 Monate nun generell Anwendung finden. Eine gefestigte Rechtsprechung hat sich bislang aber noch nicht entwickeln können. Im Gegenteil: Die Urteile fallen völlig unterschiedlich aus.

1. Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg 21.12.2011 – 10 Sa 19/11

Das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg hat sich der Rechtsprechung des EuGH angeschlossen und entschieden, dass Urlaubsansprüche generell bei durchgehender Arbeitsunfähigkeit spätestens 15 Monate nach Ende des Urlaubsjahres erlöschen. Frühere Urlaubsansprüche seien daher nicht mehr abzugelten.

2. Landesarbeitsgericht Hamm 12.01.2012 – 16 Sa 1352/11

Das Landesarbeitsgericht Hamm hat in einer Entscheidung vom 12. Januar 2012 weiterhin das IAO-Abkommen angewandt und bejaht einen Verfall von Urlaubsansprüchen langjährig arbeitsunfähiger Arbeitnehmer spätestens nach 18 Monaten.

3. Arbeitsgericht Bonn 18.01.2012 – 5 Ca 2499/11

Das Arbeitsgericht Bonn hat hingegen in einer Entscheidung vom 18. Januar 2012 eine Begrenzung auf 15 oder 18 Monate abgelehnt. Erst eine entsprechende Änderung des Bundesurlaubsgesetzes durch den Gesetzgeber kann zu einer Begrenzung führen. Eine richtlinienkonforme Auslegung komme nicht in Betracht.

4. Arbeitsgericht Herne 01.02.2012 – 1 Ca 1751/10

Das Arbeitsgericht Herne hat – ebenso wie das oben zitierte Arbeitsgericht Bonn – eine Begrenzung auf 15 Monate abgelehnt. Einer richtlinienkonformen Auslegung stehe bereits entgegen, dass der EuGH in seiner Entscheidung vom 22. November 2011 allein auf eine bestehende tarifliche Regelung abgestellt habe.

III. Empfehlung

Der zuständige 9. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat sich bislang noch nicht mit den Fragen befasst. Zahlreiche Verfahren sind aber in der Revision anhängig. Mit einer Klarstellung durch das Bundesarbeitsgericht ist im dritten oder vierten Quartal des Jahres 2012 zu rechnen. Bis zu diesem Zeitpunkt kann die uneinheitliche Rechtsprechung jedenfalls zu Vergleichszwecken genutzt werden und hier sollte man sich an den 15 Monaten des EuGH-Urteils orientieren. Gefordert ist vor allem der Gesetzgeber. Jedwede Unsicherheiten könnten mit einer gesetzlichen Klarstellung in § 7 Bundesurlaubsgesetz ausgeräumt werden. Etwaige Aktivitäten des Gesetzgebers sind aber nicht bekannt, so dass wohl bis zu einer Klarstellung durch das Bundesarbeitsgericht letzte Rechtssicherheit noch nicht hergestellt werden kann.

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