Arbeitgeber dürfen ihren moslemischen Arbeitnehmerinnen nicht verbieten, während der Arbeitszeit ein Kopftuch zu tragen. Der Arbeitgeber hat zwar das Recht, in seinem Betrieb eine Kleiderordnung einzuführen. Das Unternehmen muss aber auch die grundrechtlich geschützte Glaubensfreiheit aus Art. 4 GG berücksichtigen. Diese genießt zunächst den Vorrang vor dem Direktionsrecht des Arbeitgebers, da nicht feststeht, dass das Tragen eines Kopftuches die Belange des Unternehmens beeinträchtigt.
Der Sachverhalt der Entscheidung:
Die Klägerin ist Muslimin. Sie begann 1989 bei der Beklagten eine Ausbildung als Einzelhandelskauffrau und ist seit deren Abschluss als Verkäuferin beschäftigt. Die Beklagte betreibt in einer hessischen Kleinstadt das einzige Kaufhaus mit insgesamt ca. 100 Arbeitnehmern. Die Klägerin befand sich zuletzt im Erziehungsurlaub. Kurz vor dessen Abschluss teilte sie der Beklagten mit, sie werde bei ihrer Tätigkeit künftig ein Kopftuch tragen; ihre religiösen Vorstellungen hätten sich gewandelt, der Islam verbiete es ihr, sich in der Öffentlichkeit ohne Kopftuch zu zeigen. Die Beklagte schloss einen solchen Einsatz aus. Nachdem die Klägerin bei ihrer Auffassung blieb, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Oktober 1999.
Die Klägerin hat Kündigungsschutzklage erhoben. Sie hält die Kündigung für einen unzulässigen, weil unverhältnismäßigen Eingriff in ihre Glaubensfreiheit. Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, ein Einsatz der Klägerin mit einem „islamischen Kopftuch“ sei ihr wegen des Zuschnitts ihres Kaufhauses nicht zuzumuten. Eine „Erprobung“ könne von ihr wegen des Risikos wirtschaftlicher Nachteile nicht erwartet werden.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen.
Die Entscheidung des BAG:
Die Revision der Klägerin hatte vor dem Bundesarbeitsgericht Erfolg. Die Weigerung der Klägerin, entsprechend der Anordnung der Beklagten auf das Tragen eines Kopftuchs während der Arbeitszeit zu verzichten, rechtfertigt die Kündigung nicht. Die Beklagte hat bei der auf ihr Direktionsrecht gestützten Festlegung von Bekleidungsregeln die grundrechtlich geschützte Glaubensfreiheit der Klägerin zu berücksichtigen. Das Tragen eines Kopftuchs aus religiöser Überzeugung fällt in deren Schutzbereich. Zwar genießt auch die unternehmerische Betätigungsfreiheit der Beklagten grundrechtlichen Schutz. Zwischen beiden Positionen ist ein möglichst weitgehender Ausgleich zu versuchen. Allein die Befürchtung der Beklagten, es werde im Falle des Einsatzes der Klägerin zu nicht hinnehmbaren Störungen kommen, reicht bei dieser Abwägung nicht aus, die geschützte Position der Klägerin ohne weiteres zurücktreten zu lassen. Auch unter Berücksichtigung der vom Landesarbeitsgericht festgestellten örtlichen Verhältnisse gibt es keinen Erfahrungssatz, dass es bei der Beschäftigung einer Verkäuferin mit einem „islamischen Kopftuch“ in einem Kaufhaus notwendigerweise zu erheblichen wirtschaftlichen Beeinträchtigungen des Unternehmens etwa durch negative Reaktionen von Kunden kommt. Der Beklagten wäre es zumindest zuzumuten gewesen, die Klägerin zunächst einmal einzusetzen und abzuwarten, ob sich ihre Befürchtungen in einem entsprechenden Maße realisierten und ob dann etwaigen Störungen nicht auf andere Weise als durch Kündigung zu begegnen gewesen wäre.
Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 10. Oktober 2002 – 2 AZR 472/01 –
Quelle: Pressemitteilung des BAG PM Nr.71 vom 10.10.2002 mitgeteilt von Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen
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