16.08.2012 -

Verstöße von Arbeitnehmern gegen ihre Mitteilungs- und Anzeigepflichten nach dem Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) sind für Arbeitgeber besonders ärgerlich. Die Betriebsabläufe werden gestört. Kollegen müssen ggf. Überstunden machen oder aber anfallende Tätigkeiten können nicht fristgerecht erledigt werden. Vor diesem Hintergrund besteht ein besonderes Interesse an der unverzüglichen Mitteilung einer bestehenden Arbeitsunfähigkeit. Dennoch reichen Verstöße in vielen Fällen nicht zum Ausspruch einer Kündigung aus. Vielfach werden diese Verstöße lediglich als „Bagatelle“ angesehen. Eine aktuelle Entscheidung des Landesarbeitsgerichts Mainz macht jedoch deutlich, dass hartnäckige Verstöße sogar eine fristlose Kündigung rechtfertigen können (LAG Mainz, Urt. v. 19.01.2012 – 10 Sa 593/11).

Der Fall:

Der 1974 geborene Kläger (geschieden, ein Kind) war seit dem 4. Januar 2010 bei der beklagten Dachdeckerei als Dachdeckehelfer beschäftigt. Er ist mit einem Grad der Behinderung von 50 schwerbehindert. Es handelt sich um einen Kleinbetrieb; das Kündigungsschutzgesetz findet keine Anwendung. Im schriftlichen Arbeitsvertrag vereinbarten die Parteien u.a. Folgendes:

§ 5 Erkrankung

Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, dem Arbeitgeber bei Arbeitsunfähigkeit oder einer sonstigen entschuldbaren Verhinderung den Grund und die voraussichtliche Dauer seiner Verhinderung unverzüglich spätestens bis zu Beginn der üblichen Arbeitszeit mitzuteilen und im Krankheitsfall ab dem 1. Krankheitstag durch eine Bescheinigung des behandelnden Arztes nachzuweisen.“

Der Arbeitgeber kündigte das Arbeitsverhältnis zunächst Anfang Januar 2011 ohne Beteiligung des Integrationsamtes. Im anschließenden Rechtsstreit einigten sich die Parteien im Gütetermin am 15. Februar 2011 vor dem Arbeitsgericht darauf, dass der Arbeitgeber aus der Kündigung keine Rechte herleitet. Im Sitzungsprotokoll vom 15. Februar 2011 ist ausdrücklich festgehalten, dass der Geschäftsführer der Beklagten den Kläger aufgefordert hat, am 16. Februar 2011 um 08.00 Uhr zur Arbeit zu erscheinen.

Der Kläger erschien weder am 16. Februar noch am 17. Februar 2011 zur Arbeit. Daraufhin erteilte ihm der Arbeitgeber am 17. Februar 2011 eine Abmahnung, die ihm am selben Tag zugestellt worden ist. Weil der Kläger auch am 18. Februar (Freitag) und am 21. Februar 2011 (Montag) nicht zur Arbeit erschienen ist und bis dahin keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt hat, beantragte der Arbeitgeber am 21. Februar 2011 die Zustimmung zur fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung. Erst nach Einleitung des Zustimmungsverfahrens gingen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen bei dem Arbeitgeber, jedoch für den gesamten Zeitraum, ein.

Das Integrationsamt stimmte der beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweisen ordentlichen Kündigung zu. Der Arbeitgeber kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich.

Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage abgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die fristlose Kündigung ebenfalls bestätigt.

I. Verletzung der Anzeigepflicht

In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist anerkannt, dass die Verletzung der Anzeigepflicht bei Arbeitsunfähigkeit durch Vorlage einer entsprechenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bei erschwerenden Umständen des Einzelfalls nach entsprechender Abmahnung nicht nur eine ordentliche, sondern auch eine fristlose Kündigung rechtfertigen kann.

II. Vorlage einer AU bereits am ersten Krankheitstag

Die im Arbeitsvertrag grundsätzlich geforderte Verpflichtung, bei jeder Arbeitsunfähigkeit bereits ab dem ersten Krankheitstag eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzulegen, ist zulässig und wirksam. Dies folgt aus § 5 Abs. 1 S. 3 EFZG. Diese Aufforderung, selbst wenn sie von vornherein arbeitsvertraglich für alle Fälle vereinbart wird, bedarf weder einer Begründung noch eines Sachverhalts, der Anlass für ein rechtsmissbräuchliches Verhalten des Arbeitnehmers gibt.

Hinweis für die Praxis:

Die Rechtsprechung ist hier erfreulich eindeutig. Der Grundsatz, wonach eine Arbeitsunfähigkeit zunächst nur mitgeteilt und eine schriftliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erst nach Ablauf von drei Kalendertagen am folgenden Arbeitstag vorzulegen ist (§ 5 Abs. 1 S. 2 EFZG) kann jederzeit dahingehend verkürzt werden, dass eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung schon ab dem ersten Krankheitstag vorgelegt werden muss. Gründe muss der Arbeitgeber nicht vortragen, selbst wenn sich diese Aufforderung nur auf einen einzigen Arbeitnehmer bezieht. Der Betriebsrat muss ebenfalls nicht beteiligt werden.

III. Fristlose Kündigung nur nach vorhergehender Abmahnung

Im vorliegenden Fall hatte der Arbeitnehmer die AU-Bescheinigung auch nach einer Abmahnung nicht fristgerecht vorgelegt. Das Arbeitsgericht hat hieraus den Schluss gezogen, dass dem Kläger die Abmahnung völlig gleichgültig war. Einen derartigen Verlauf des Arbeitsverhältnisses muss ein Arbeitgeber nach Auffassung des Landesarbeitsgerichts Mainz nicht hinnehmen.

Der wichtige Grund zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung war daher zu bejahen. Die geforderten erschwerenden Umstände des Einzelfalles, die ausnahmsweise eine fristlose Kündigung rechtfertigen, lagen daher vor. Im Rahmen der Interessenabwägung war zwar zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer einem minderjährigen Kind zum Unterhalt verpflichtet war und auch eine Schwerbehinderung vorlag. Demgegenüber hatte die Dauer der Beschäftigung von lediglich 14 Monaten kein besonderes Gewicht. Die Interessen des Arbeitgebers an einem reibungslosen Betriebsablauf überwogen. Der Arbeitnehmer war auch nicht deshalb schutzwürdig, weil die Arbeitsagentur eine Sperrzeit verhängt hat. Dies hätte er durch vertragsgerechtes Verhalten abwenden können.

Fazit:

Die fristlose Kündigung bei Verletzung der Mitteilungs- bzw. Anzeigepflichten nach dem EFZG kommt nur in besonderen Einzelfällen in Betracht. Zeigt sich ein Arbeitnehmer aber nicht einsichtig und auch nicht arbeitswillig, kann dies die fristlose Kündigung durchaus rechtfertigen. Allerdings muss stets eine Abmahnung ausgesprochen werden. Erst wenn sich der Arbeitnehmer auch dann nicht einsichtig zeigt, kann die fristlose Kündigung gerechtfertigt sein. Zur Vorwerfbarkeit von Pflichtverletzungen bei bestehender Arbeitsunfähigkeit siehe auch in diesem Heft die weitere Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts zur Verletzung von Anzeige- und Nachweispflichten bei Arbeitsunfähigkeit.

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