27.08.2012 -

Jeder Arbeitnehmer hat nach § 613a BGB das Recht, einem Betriebsübergang zu widersprechen. Dieser Widerspruch muss innerhalb eines Monats erklärt werden. Voraussetzung ist aber, dass der Arbeitnehmer ordnungsgemäß über den Betriebsübergang unterrichtet wurde. Das Bundesarbeitsgericht hat seine Rechtsprechung zum Widerspruchsrecht nunmehr weiter präzisiert (BAG, Urteil v. 26.05.2011 – 8 AZR 18/10). Die Entscheidung ist unter verschiedenen Gesichtspunkten wichtig und praxisrelevant.

Der Fall (verkürzt):

Die Klägerin war seit dem 1. November 1992 bei der Deutschen Bundespost beschäftigt. Das Arbeitsverhältnis wurde dann von der Rechtsnachfolgerin fortgesetzt. Im Jahre 2007 kam es zu einem Betriebsübergang des Betriebsteils, in dem die Klägerin eingesetzt war, auf die V. GmbH. Die Klägerin wurde über die beabsichtigte Veräußerung an die V. GmbH zum 1. September 2007 und den hierdurch ausgelösten Betriebsübergang mit einem Unterrichtungsschreiben informiert.

Die Klägerin arbeitete bei der V. GmbH zunächst widerspruchslos weiter. Nur wenige Monate später zum 1. März 2008 fand ein weiterer Betriebsübergang statt. Es erfolgte eine Übertragung von der V. GmbH auf die A. GmbH. Diesem Betriebsübergang hatte die Klägerin gegenüber der V. GmbH mit Schreiben vom 13. Februar 2008 widersprochen.

Zwei Monate später widersprach die Klägerin dann mit Anwaltsschreiben vom 28. April 2008 auch dem ersten Betriebsübergang auf die V. GmbH und begehrte die Weiterbeschäftigung bei ihrem ursprünglichen Arbeitgeber.

Der Arbeitgeber hat die Ansicht vertreten, der Widerspruch sei verspätet. Die Unterrichtung über den Betriebsübergang auf die V. GmbH sei ordnungsgemäß erfolgt und habe die einmonatige Widerspruchsfrist in Lauf gesetzt. Jedenfalls habe die Klägerin ihr Recht zum Widerspruch verwirkt. Sie habe über neun Monate ihre Tätigkeit bei der V. GmbH fortgesetzt und dann habe sie zunächst dem zeitlich späteren zweiten Betriebsübergang widersprochen und erst 2,5 Monate später dem zeitlich vorgelagerten ersten Betriebsübergang.

Das Arbeitsgericht hat die Klage auf Weiterbeschäftigung bei ihrem ursprünglichen Arbeitgeber abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat hingegen im Berufungsverfahren der Klage stattgegeben.

Die Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht hat die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts bestätigt. Die Klägerin hatte das Recht zum doppelten Widerspruch; die einmonatige Widerspruchsfrist war nicht abgelaufen und das Recht zum Widerspruch auch nicht verwirkt.

I. Anforderungen an die Unterrichtung: Darstellung des Haftungssystems

Nach § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB hat der bisherige Arbeitgeber oder der neue Inhaber die von einem Betriebsübergang betroffenen Arbeitnehmer über die rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Folgen des Übergang für die Arbeitnehmer in Textform zu unterrichten. Die Unterrichtung muss präzise sein und darf keine juristischen Fehler enthalten.

Zu der erforderlichen Unterrichtung über die rechtlichen Folgen des Betriebsübergangs für den Arbeitnehmer nach § 613a Abs. 5 Nr. 3 BGB gehört u.a. der Hinweis auf das Haftungssystem, welches sich aus dem Zusammenspiel der Regelung in § 613a Abs. 1 S. 1 und Abs. 2 BGB ergibt. Die gebotene Information beinhaltet insbesondere auch die Darstellung der begrenzten gesamtschuldnerischen Nachhaftung gem. § 613a Abs. 2 BGB. Hiernach haftet der bisherige Arbeitgeber gesamtschuldnerisch mit dem neuen Inhaber für Verpflichtungen nach § 613a Abs. 1 BGB, soweit sie vor dem Zeitpunkt des Übergangs entstanden sind und vor Ablauf von einem Jahr nach dem Übergang fällig werden. Werden solche entstandenen Verpflichtungen erst nach dem Zeitpunkt des Übergangs fällig, so haftet der bisherige Arbeitgeber für sie nur zeitanteilig.

Hinweis für die Praxis:

Nur die vollständige Darstellung des Haftungssystems versetzt die Arbeitnehmer in die Lage, ggf. näheren Rechtsrat einzuholen, wer in welchem Umfang für welche Ansprüche haftet. Jede unklare und missverständliche Formulierung führt zur Unvollständigkeit der Unterrichtung. In diesem Fall wird die einmonatige Widerspruchsfrist nicht in Lauf gesetzt.

II. Verwirkung des Widerspruchsrechts

Das Widerspruchsrecht des Arbeitnehmers gegen den Betriebsübergang kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts verwirken. Für die Verwirkung muss insbesondere ein so genanntes Umstandsmomenterfüllt sein. Dies ist dann erfüllt, wenn der Arbeitgeber aufgrund eines Verhaltens des Arbeitnehmers davon ausgehen durfte, der Widerspruch werde nicht mehr ausgeübt. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist dies dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer über den Bestand seines Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Betriebserwerber disponiert hat, z.B. durch Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung oder die widerspruchslose Hinnahme einer Kündigung.

Im vorliegenden Fall war das Umstandsmoment nicht erfüllt. Die Tatsache, dass die Mitarbeiterin zunächst widerspruchslos arbeitete, reicht nicht aus. Über den Bestand ihres Arbeitsverhältnisses disponierte sie aber nicht in den ersten neun Monaten. Auch der zunächst erfolgte Widerspruch allein gegen den zweiten Betriebsübergang ändert hieran nichts. Mit dem Widerspruch gegen den weiteren Betriebsübergang äußerte sie lediglich: „Ich will nicht zur A. GmbH wechseln“. Sie erklärte aber nicht gleichzeitig: „Ich will bei der V. GmbH bleiben“.

Hinweis für die Praxis:

Widerspricht der Arbeitnehmer zunächst dem Übergang seines Arbeitsverhältnisses gegen einen zweiten Betriebsübergang, bleibt das Recht, dem ersten Betriebsübergang noch später zu widersprechen, unberührt und erhalten. In beiden Fällen erklärt der Arbeitnehmer lediglich gegenüber dem aktuellen Betriebserwerber, dass er einer Beendigung der aktuell bestehenden Arbeitsvertragsbeziehungen entgegentritt. Einen weitergehenden Erklärungswert erhält grundsätzlich weder die Erhebung einer Kündigungsschutzklage noch der Widerspruch hinsichtlich eines Zweitbetriebsübergangs.

Fazit:

Die Entscheidung ist unter zwei Gesichtspunkten von Bedeutung. Erstens muss auf den Inhalt des Unterrichtungsschreibens besondere Sorgfalt verwandt werden. Das Bundesarbeitsgericht hat hierzu klargestellt, dass dazu auch die Darstellung des Haftungssystems des § 613a BGB gehört. Zweitens kann die Verwirkung des Widerspruchs nur in besonderen Konstellationen angenommen werden. Dies ist dann der Fall, wenn der Arbeitnehmer über den Bestand des Arbeitsverhältnisses disponiert, also vor allem einer Aufhebung zustimmt. Die widerspruchslose Weiterarbeit führt nicht zur Verwirkung. Selbst wenn es zu einem weiteren Zweitbetriebsübergang kommt, bleibt das Recht, dem Erstbetriebsübergang zu widersprechen, erhalten.

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