21.11.2002

 

Nach § 13 Abs. 2 GmbHG haftet den Gläubigern einer GmbH nur das Gesellschaftsvermögen. Eine persönliche Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten der GmbH besteht grundsätzlich nicht. Nur in Ausnahmefällen hat der Bundesgerichtshof bisher eine Durchgriffshaftung anerkannt und Gläubigern einer GmbH gestattet, quasi „durch“ die Gesellschaft die Gesellschafter für Verbindlichkeiten der GmbH in Anspruch zu nehmen. Mit seiner Entscheidung vom 24.06.2002 hat der für das Gesellschaftsrecht zuständige 2. Senat des BGH jetzt die Voraussetzungen für einen weiteren Anwendungsfall einer solchen Durchgriffshaftung konkretisiert: die Haftung der Gesellschafter wegen existenzvernichtender Eingriffe in das Gesellschaftsvermögen.

 

 

Sachverhalt der Entscheidung:

 

Die Klägerin hatte wegen einer Forderung aus einem Werkvertrag zunächst gegen ihre Vertragspartnerin, eine GmbH, ein Versäumnisurteil erwirkt; die Vollstreckung aus dem Urteil blieb erfolglos. Kurze Zeit später wurde die von einem der Gesellschafter beantragte Eröffnung des Konkursverfahrens über das Vermögen der GmbH mangels Masse abgelehnt. Bereits Monate zuvor hatten die Gesellschafter der GmbH Waren und Forderungen größeren Umfangs auf eine Drittgesellschaft übertragen. Außerdem war einem der Gesellschafter Anlagevermögen veräußert worden, der den Kaufpreis mit eigenen Forderungen gegen die Gesellschaft verrechnete, obwohl diese Forderungen eigenkapitalersetzend verhaftet waren und insoweit für eine Aufrechnung nicht zur Verfügung standen. Nach der erfolglosen Inanspruchnahme der GmbH machte die Klägerin ihre Forderung direkt gegenüber den Gesellschaftern geltend.

 

 

Die Entscheidung des BGH:

 

Der BGH hat die Sache zwar zur weiteren Sachverhaltsaufklärung an die Vorinstanz zurückverwiesen, eine Haftung der Gesellschafter aber grundsätzlich bejaht. Einerseits läge eine vorsätzliche sittenwidrige Schädigung nach § 826 BGB vor, außerdem – und das ist das Besondere an dem Urteil – geht der BGH von einer Haftung wegen eines existenzvernichtenden Eingriffs aus, deren Voraussetzungen er erstmals konkretisiert.

 

Bei der Annahme einer Haftung der Gesellschafter für Verbindlichkeiten einer GmbH ist die Rechtsprechung äußerst zurückhaltend. Einen Durchgriff auf die Gesellschafter akzeptierte der BGH bisher bei einer Unterkapitalisierung der GmbH sowie in Fällen der Vermischung des Gesellschaftsvermögens mit dem Privatvermögen der Gesellschafter. In Anlehnung an die aktienrechtlichen Vorschriften der §§ 302 und 303 AktG war ein Haftungsdurchgriff außerdem für Fälle anerkannt, in denen in einem sog. „qualifiziert faktischen Konzern“ ein herrschendes Unternehmen unter Missbrauch seiner Herrschaftsmacht auf eine abhängige Gesellschaft Einfluss nimmt, ohne dass einzelne schädigende Eingriffe isoliert ausgeglichen werden können.

 

In zwei neueren Urteilen vom 17.09.2001 (II ZR 178/99 – „Bremer Vulkan“) und vom 25.02.2002 (II ZR 196/00) hat der BGH seine Abkehr vom Modell des „qualifiziert faktischen Konzerns“ erklärt und sich an dessen Stelle für eine Durchgriffshaftung wegen „existenzvernichtenden Eingriffs“ ausgesprochen, zu deren Systematik und Voraussetzungen er jetzt genauer Stellung bezieht.

 

Grundlage der Haftung für existenzvernichtende Eingriffe soll nach Ansicht des BGH ein Missbrauch der Rechtsform der GmbH sein. Die aus § 13 Abs. 2 GmbHG folgende Beschränkung der Haftung für Gesellschaftsverbindlichkeiten finde ihre Rechtfertigung in der Trennung zwischen Gesellschafter- und Gesellschaftsvermögen und in der strikten Bindung des Gesellschaftsvermögens zur vorrangigen Befriedigung der Gesellschaftsgläubiger. Das Vermögen, das zur Befriedigung der Gläubiger benötigt werde, sei der Disposition der Gesellschafter entzogen. Diese könnten zwar die Existenz der Gesellschaft jederzeit beenden; die Beendigung habe aber in einem geordneten Verfahren – Liquidation oder Insolvenzverfahren – zu erfolgen, in dem das Gesellschaftsvermögen vorrangig zur Befriedigung der Gläubiger zu verwenden sei und den Gesellschaftern der Überschuss verbleibe. Soweit die Gesellschafter unter Außerachtlassung der gebotenen Rücksichtnahme auf diese Zweckbindung des Gesellschaftsvermögens der Gesellschaft durch offene oder verdeckte Entnahmen Vermögenswerte entziehen und ihre Fähigkeit zur Erfüllung ihrer Verbindlichkeiten in einem ins Gewicht fallenden Ausmaß beeinträchtigen würden, sei ihnen die Berufung auf das Haftungsprivileg des § 13 Abs. 2 GmbHG verwehrt. Dies gelte jedenfalls, soweit ein Ausgleich nicht nach den Kapitalerhaltungsvorschriften der §§ 30, 31 GmbHG möglich sei bzw. kein ausreichender Ausgleich in das Gesellschaftsvermögen erfolge. Die unmittelbare und persönliche Haftung für schädigende Eingriffe treffe nicht nur die begünstigten Gesellschafter, sondern auch den Gesellschafter, der selbst nichts empfangen habe, jedoch durch sein Einverständnis mit dem Vermögensabzug an der Existenzvernichtung der Gesellschaft mitgewirkt habe.   

 

Das neue Haftungsmodell mag Gesellschaftsgläubigern dort zugute kommen, wo die Kapitalerhaltungsvorschriften der §§ 30, 31 GmbHG und die deliktische Haftung des Gesellschafters nach § 826 BGB nicht mehr weiterhelfen. So wird es für den geschädigten Gläubiger im Rahmen des § 826 BGB regelmäßig schwierig sein, eine vorsätzliche Schädigung zu beweisen. Das neue Haftungsmodell des BGH führt insoweit zu einer Erleichterung in der Beweisführung; dem Gläubiger obliegt es zunächst nur, die Wahrscheinlichkeit eines zurechenbaren existenzgefährdenden Eingriffs in das Gesellschaftsvermögen darzulegen. Die Haftung wegen existenzvernichtender Eingriffe greift außerdem weiter als der Schutz durch die Kapitalerhaltungsvorschriften. Die §§ 30, 31 GmbH setzen einerseits eine „Auszahlung“ aus dem Gesellschaftsvermögen voraus und erfassen z.B. nicht die Belastung der Gesellschaft mit Schadensersatzansprüchen Dritter. Andererseits gewährt § 31 GmbHG nur einen Erstattungsanspruch in Höhe des Auszahlungsbetrages, die Haftung wegen existenzvernichtender Eingriffe würde auch weitergehende Schäden umfassen.

 

Die Entscheidung des BGH vom 24.06.2002 konkretisiert zwar das neue Haftungsmodell wegen existenzvernichtender Eingriffe, lässt aber einige Fragen offen. So bleibt unklar, ob eine Haftung der Gesellschafter nur im Falle der Existenzvernichtung der Gesellschaft oder auch bei einer bloßen Existenzgefährdung eintritt. Schwierig zu fassen ist auch der Begriff des Eingriffs in das Gesellschaftsvermögen. Von den zulässigen unternehmerischen Entscheidungen der Gesellschafter werden gläubigerschädigende Eingriffe unter Umständen nur schwer abzugrenzen sein. Es bleibt insoweit die Entwicklung der Rechtsprechung abzuwarten.

 

Verfasser: Rechtsanwalt Stephan Dornbusch

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