04.09.2012

Die Verletzung der Anzeige- und Nachweispflichten bei Arbeitsunfähigkeit kann zur fristlosen Kündigung führen. Wir verweisen hierzu auf unsere Besprechung des Landesarbeitsgerichts Mainz in diesem Heft. Das Bundesarbeitsgericht hatte sich in diesem Kontext mit einer weiteren praxisrelevanten Frage nunmehr zu befassen, nämlich der Vorwerfbarkeit der Pflichtverletzung (BAG, Urteil v. 03.11.2011 – 2 AZR 748/10). Aus dieser Entscheidung folgt, dass der Arbeitnehmer sein Fehlverhalten entschuldigen kann, was wiederum zur Unwirksamkeit einer Kündigung führt.

Der Fall (verkürzt):

Der 1969 geborene ledige Kläger war seit 1. August 1985 bei dem beklagten Arbeitgeber als Kundendiensttechniker im Außendienst beschäftigt. Ihm stand als alleinigem Nutzer ein Dienstfahrzeug ausschließlich zu dienstlichen Zwecken zur Verfügung. Er war angewiesen, vor Urlaubsantritt oder bei Arbeitsunfähigkeit den Fahrzeugschlüssel und das Fahrtenbuch im Betrieb abzugeben. Dem kam er im Jahre 2003 nicht nach. Hierfür wurde ihm eine Abmahnung ausgesprochen. Eine in diesem Kontext ausgesprochene fristlose Kündigung war unwirksam. Das Arbeitsverhältnis wurde fortgesetzt.

Im Jahre 2008 und 2009 kam es wiederum zu Problemen. Der Arbeitnehmer wurde in diesem Zusammenhang angewiesen, seine Fahrtenbuchmappe inklusive Tankkarte und Fahrzeugschlüssel ab sofort abends in seinem Fach zu hinterlegen sowie sich bei seinem Vorgesetzten bei Arbeitsbeginn an- und bei Arbeitsende abzumelden.

Ab dem 9. Februar 2009 war der Kläger krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Seine Hausärztin sowie auch ein Psychiater bescheinigten ihm eine „sonstige depressive Episode“. Zusätzlich hieß es in einem Attest, beim Kläger bestünden seit Jahren „massive Beschwerden vom Magen sowie von der Psyche her“. Insbesondere in der Zeit vom 9. Februar 2009 bis zum 7. März 2009 habe er unter Magenschmerzen, Tendenz zu sozialem Rückzug, Antriebsstörungen und Vermeidungshaltungen gelitten.

Der Kläger zeigte seine Arbeitsunfähigkeitszeiten nicht nahtlos und ordnungsgemäß an. Am 20. Februar 2009 versandte er per Einschreiben einen Brief mit ärztlichen Attesten für die Zeit vom 9. bis 21. Februar 2009. Dieser ging am Montag, 23. Februar 2009, bei dem Arbeitgeber ein. An diesem Tag hatte der Kläger dienstfrei. Am 24. Februar 2009 rief er gegen 08.30 Uhr den Sachbearbeiter Einsatzsteuerung an und teilte ihm mit, nochmals einen Arzt aufsuchen zu wollen. Erst am späten Abend informierte er seinen Vorgesetzten per E-Mail darüber, dass seine Krankmeldung bis zum 28. Februar 2009 verlängert worden sei und er diese Bescheinigung zu Händen einer Mitarbeiterin geschickt habe.

Während seiner Erkrankung gab er weder – wie gefordert – die Fahrzeugutensilien heraus, noch teilte er der Beklagten mit, wo sie sich befänden und wie eine Herausgabe sichergestellt werden könne. Den auf seinem Diensthandy hinterlassenen Rückrufbitten des Arbeitgebers kam er nicht nach.

Der Arbeitgeber sprach am 16. Februar und auch am 18. Februar 2009 Abmahnungen wegen unzureichender Anzeige und fehlenden Nachweises seiner Arbeitsunfähigkeit sowie wegen mangelnder Herausgabe der Utensilien für das Dienstfahrzeug aus. Die Abmahnung vom 18. Februar 2009 enthielt eine entsprechende „letztmalige“ Aufforderung, dem spätestens bis zum Morgen des 20. Februar 2009 nachzukommen.

Da dies nicht geschah, kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis Anfang März nach entsprechender Betriebsratsanhörung zum 31. Oktober 2009.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Im Berufungsverfahren hingegen wurde die Klage abgewiesen.

Die Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht hat die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts aufgehoben und zur nochmaligen Verhandlung in die 2. Instanz zurückverwiesen.

I. Fehlverhalten fordert schuldhafte Vertragspflichtverletzung

Eine Kündigung ist aus Gründen im Verhalten des Arbeitnehmers gem. § 1 KSchG sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat. Ein nachhaltiger Verstoß des Arbeitnehmers gegen berechtigte Weisungen des Arbeitgebers stellt eine Vertragspflichtverletzung dar, die eine Kündigung zu rechtfertigen vermag. Solche Vorwürfe wurden vorliegend erhoben. Unter diesen Umständen setzte daher eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses voraus, dass die Nichterfüllung der vertraglichen Pflichten dem Kläger vorwerfbarist.

Hinweis für die Praxis:

Eine Pflichtverletzung ist vorwerfbar, wenn der Arbeitnehmer seine hier zugrunde liegende Handlungsweise steuern konnte. Ein Verhalten ist steuerbar, wenn es vom Willen des Arbeitnehmers beeinflusst werden kann. Dies ist nicht der Fall, wenn dem Arbeitnehmer die Pflichtverletzung aus von ihm nicht zu vertretenden Gründen subjektiv nicht möglich ist. Ist dies vorübergehend nicht der Fall, ist er für diese Zeit von der Pflichterfüllung befreit.

II. Darlegungs- und Beweislast

Der Arbeitgeber trägt im Kündigungsschutzprozess die Darlegungs- und Beweislast auch dafür, dass solche Tatsachen nicht vorgelegen haben, die das Verhalten des Arbeitnehmers gerechtfertigt oder entschuldigt erscheinen lassen. Der Umfang der ihm obliegenden Darlegungslast ist allerdings davon abhängig, wie sich der Arbeitnehmer auf einen bestimmten Vortrag einlässt. Der Arbeitgeber muss nicht jeden erdenklichen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgrund vorbeugend ausschließen. Vielmehr muss der Arbeitnehmer zunächst geltend machen, aus welchen von ihm nicht zu vertretenden Gründen er gehindert war, seine Pflichten ordnungsgemäß zu erfüllen. Diese Gründe muss er genau angeben. Beruft er sich auf krankheitsbedingte Gründe, kann es daher erforderlich sein, dass er substantiiert darlegt, woran er erkrankt war und weshalb er seine Pflicht nicht ordnungsgemäß erfüllen konnte.

Die dem Kläger vorgeworfenen Pflichtverletzungen waren zunächst erheblich. Er verstieß gegen seine Anzeige- und Nachweispflichten im Zusammenhang mit seiner Arbeitsunfähigkeit. Auch kam er seinen Verpflichtungen im Zusammenhang mit dem überlassenen Dienstwagen nicht ordnungsgemäß nach.

Aber: Es handelte sich nicht um eine beharrliche Weigerung, die Pflichten zu erfüllen. Der Kläger hatte vorgetragen, er habe sich in dem fraglichen Zeitraum in einer akuten depressiven Episode befunden. Diese sei durch völlige Antriebsschwäche gekennzeichnet gewesen. Er habe unter Schlafstörungen und Erschöpfungszuständen gelitten, die ihn zeitweise tagelang an das Bett gefesselt hätten. Er habe daher eine massive Tendenz zum sozialen Rückzug sowie eine Vermeidungshaltung aufgewiesen. Er sei in seiner Konzentrations- und Denkfähigkeit völlig eingeschränkt gewesen. Aufgrund dessen sei er nicht in der Lage gewesen, so zu handeln wie von ihm verlangt. Er habe weder die Rückgabe des Fahrzeugschlüssels organisieren noch mit entsprechenden Personen Rücksprache halten können. Zum Nachweis legte er entsprechende ärztliche Bescheinigungen vor und entband seine behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht.

Damit war ihm das Fehlverhalten für diesen Zeitraum nicht vorwerfbar. Das Bundesarbeitsgericht hatte daher den Rechtsstreit zur Überprüfung dieser Aussagen nochmals an die 2. Instanz zurückverwiesen.

Fazit:

Fehlverhalten im Zusammenhang mit Anzeige- und Nachweispflichten bei Arbeitsunfähigkeit rechtfertigt – nach vorausgegangener Abmahnung – die ordentliche und in Ausnahmefällen auch die fristlose Kündigung. Voraussetzung ist aber stets, dass der Arbeitnehmer seine vertraglichen Pflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat. Eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses setzt voraus, dass die Nichterfüllung der vertraglichen Pflichten dem Arbeitnehmer vorwerfbar ist. Konnte er hingegen seine Handlungen nicht steuern, war ihm die Pflichterfüllung aus subjektiven Gründen nicht möglich. In einem solchen Fall, den der Arbeitnehmer freilich konkret zu beweisen hat, ist er von der Pflichterfüllung befreit.

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