06.09.2012 -

Am 04.09.2012 hat der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) ein Urteil gesprochen, das auf die Herstellung von Zytostatika (Arzneimittelzubereitungen zur Behandlung von Krebspatienten) erhebliche Auswirkungen haben wird (Aktenzeichen 1 StR 534/11).

Der Fall

Vor dem Landgericht München II war ein Apotheker wegen Inverkehrbringens von Fertigarzneimitteln ohne die erforderliche Zulassung (§ 96 Nr. 5 AMG), unerlaubter Abgabe verschreibungspflichtiger Arzneimittel ohne Verschreibung (§ 96 Nr. 13 AMG) und Betruges (§ 263 StGB) angeklagt.

Der Angeklagte ließ in den Jahren 2006 und 2007 im Labor der von ihm geleiteten Apotheke auf Rezept Zytostatika-Lösungen auf der Basis des Fertigarzneimittels Gemzar zubereiten. Obwohl es ihm jederzeit möglich gewesen wäre, hierzu auf das in Deutschland zugelassene Medikament zurückzugreifen, bezog er in einer Vielzahl von Fällen eine stoffgleiche, nur in einigen anderen Staaten der Welt zugelassene Herstellung. Damit ersparte er sich Erwerbsaufwendungen in Höhe von mehr als 58 500 € Euro. Bei der Abrechnung legte er nicht offen, dass das von ihm für die Zubereitung verwendete Arzneimittel in Deutschland nicht zugelassen war. Er rechnete vielmehr nach dem Listenpreis ab, was von den Patienten nicht bemerkt und bei stichprobenhaften Rechnungsprüfungen der Kassen auch nicht beanstandet wurde.

Das Landgericht hielt dieses Verhalten des Angeklagten für straflos. Der Angeklagte habe nämlich nicht das erworbene Fertigarzneimittel, sondern eine daraus in seiner Apotheke Herausgabe an die Patienten in den Verkehr gebracht, womit der Tatbestand des Inverkehrbringens von Fertigarzneimitteln ohne Zulassung nicht erfüllt sei. Auch ein Verstoß gegen die Verschreibungspflicht liege nicht vor, weil der Angeklagte die Rezepturarzneimittel entsprechend der ärztlichen Verschreibung abgegeben habe, und diese diene nicht der Durchsetzung von Zulassungsvorschriften. Auch den Betrugsvorwurf verneinte das Landgericht, da das abgegebene Zytostatikum – mangels Zulassungspflicht – verkehrsfähig gewesen sei und eine Pflicht zur Offenlegung seiner Einkaufspreise nicht bestanden habe.

Die Entscheidung des BGH

Auf die Revision der Staatsanwaltschaft hat der BGH den Freispruch des Landgerichts aufgehoben, und zwar mit einer durchaus bemerkenswerten Begründung. Die Zulassungspflicht entfalle nicht dadurch, dass aus dem Arzneimittel Gemzar durch Hinzugabe von Kochsalzlösung eine Injektionslösung zubereitet werde. Die bloße „Verbringung eines Fertigarzneimittels in seine anwendungsbereite Form“ mache daraus kein Rezepturarzneimittel; hierfür bedürfe es vielmehr der „Durchführung wesentlicher Herstellungsschritte“ in der Apotheke. Damit bestehe die Pflicht zur Zulassung fort, sodass eine Strafbarkeit des Apothekers gemäß § 96 Nr. 5 AMG in Betracht komme. Der Senat ließ dagegen offen, ob auch der Tatbestand der Verstoß gegen die Verschreibungspflicht (§ 96 Nr. 13 AMG) verwirklicht sei, da dieser Vorwurf hinter § 96 Nr. 5 AMG zurücktrete. Schließlich komme aber auch eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen Betruges in Betracht, weil für nicht zugelassene Medikamente kein Erstattungsanspruch bestehe. Damit liege ein Schaden in voller Höhe der von den Krankenkassen und privat versicherten Patienten zu Unrecht erstatteten Beträge vor.

Über die Vorwürfe hat jetzt eine andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts München II erneut zu befinden.

Erste Bewertung für die Praxis

Mit dieser Entscheidung dürften die Karlsruher Richter wesentliche Grundsätze der Rezepturherstellung durch Apotheker über den Haufen geworfen haben. Der Volltext des Urteils ist zwar noch nicht veröffentlicht. Zu befürchten steht jedoch, dass die Richter ihre Kompetenz zur Auslegung von Strafnormen sehr großzügig dahin verstanden haben, auch diesen zugrunde liegende arzneimittelrechtliche und damit pharmazeutische Begriffe auszulegen. Der BGH stellt fest, dass die Hinzugabe einer Kochsalzlösung zu einem Arzneimittelpulver keine Herstellung sei. Dadurch werde kein neues (Rezeptur-) Arzneimittel hergestellt, vielmehr werde ein Fertigarzneimittel in aufgelöster Form in Verkehr gebracht. Sei dieses Fertigarzneimittel nicht zugelassen, liege ein verbotenes Inverkehrbringen eines nicht zugelassenen Fertigarzneimittels vor, so der BGH.

Man darf und muss sich fragen, auf welcher fachlichen Grundlage der 1. Strafsenat den Herstellungsbegriff neu bewertet haben mag, zumal sich hier der Verdacht einer Einzelfallentscheidung aufdrängt. Wie, wenn ein Zytostatikum durch Beigabe einer anderen Flüssigkeit als durch eine bloße Kochsalzlösung hergestellt wird – mit einem anderen gelösten Stoff, mit mehreren? Wo liegt für den Rezepturapotheker künftig die verlässliche Grenze der – im Einzelfall zulassungsfreien – Herstellung?

Noch ein anderer Aspekt der Entscheidung wird für Diskussionen sorgen. Der angeklagte Apotheker hatte sich im Strafverfahren u.a. dahin eingelassen, dass er mit der so und nicht unter Einsatz vom Gemzar hergestellten Rezeptur letztlich nur kaufmännisch disponiert habe, also nur versucht habe, unter Einsatz preisgünstiger, aber der teureren vollkommen gleichwertiger Ware einen möglichst hohen Ertrag zu erzielen. Apotheker sind Kaufleute im Sinne des HGB. Sie tragen aber nicht nur das gewöhnliche kaufmännische Risiko, sondern stehen aufgrund ihres besonderen gesetzlichen Auftrages in besonderem Maße für das gesundheitliche Wohl ihrer Kunden ein. Ist und bleibt die Erfüllung dieses Auftrages gewährleistet, warum sollte es dann dem Apotheker verwehrt sein, wie jeder andere Kaufmann Chancen in einem täglich schwieriger werdenden, in höchstem Maße regulierten Markt wahrzunehmen, ohne sich allein deshalb schon dem Betrugsvorwurf ausgesetzt zu sehen?

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