16.09.2012

Das Diskriminierungsrecht des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) gilt nicht nur für Arbeitnehmer, sondern ausdrücklich nach § 6 Abs. 3 AGG für „Geschäftsführer und Geschäftsführerinnen“. Das Oberlandesgericht Karlsruhe hatte sich nun mit der praxisrelevanten Frage zu befassen, ob der Begriff „Geschäftsführer“ ohne weitere Zusätze diskriminierend ist und dadurch bei einer weiblichen Bewerbung Entschädigungsansprüche ausgelöst werden können (OLG Karlsruhe, Urteil v. 13.09.2011 – 17 U 99/10). Die Entscheidung macht deutlich, dass Stellenausschreibungen finanziell nachteilhaft sein können.

Der Fall:

Die klagende Arbeitnehmerin war als Rechtsanwältin und Personalleiterin bei einer großen Versicherungsgruppe beschäftigt. Sie begehrt von dem Beklagten, ein mittelständisches Logistik- und Transportunternehmen, eine Entschädigung wegen geschlechtsbezogener Benachteiligung. Im Auftrag dieses Unternehmens gab eine Rechtsanwaltskanzlei eine Stellenanzeige folgenden Inhalts auf:

Geschäftsführer

im Mandantenauftrag zum nächstmöglichen Eintrittstermin gesucht.

Für mittelständisches Logistik- Transport- und Umzugsunternehmen mit Sitz im Raum K. Fähigkeiten in Akquisition sowie Finanz- und Rechnungswesen sind erforderlich, Erfahrungen in Führungspositionen erwünscht. Frühere Tätigkeiten in der Branche nicht notwendig. Ihre schriftlichen, vollständigen Bewerbungsunterlagen mit Angabe Ihres nächstmöglichen Eintrittsdatums und den Gehaltsvorstellungen senden Sie bitte an:

Rechtsanwälte K & G, in K., oder per E-Mail an info@…de.“

Per E-Mail vom 18. September 2007 bewarb sich die Klägerin auf die ausgeschriebene Geschäftsführungsposition. Auf telefonische Nachfrage erfuhr sie am 5. Oktober 2007 vom Sekretariat des Anwaltsbüros K & G, dass ihre Bewerbung keine Berücksichtigung gefunden habe. Mit E-Mail vom 15. Oktober 2007 an Rechtsanwalt K. und Schreiben vom 17. Oktober 2007 an die Rechtsanwälte K & G meldete die Klägerin Entschädigungsansprüche in Höhe von 24.765,00 € an und begehrte Auskunft über den Auftraggeber der Stellenanzeige. Die Auskunft wurde nicht erteilt und konnte erst im Klageverfahren durchgesetzt werden. Nach Einleitung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen benannte die Rechtsanwaltskanzlei schließlich am 5. März 2009 die Beklagte als Auftraggeberin der Anzeige. Mit Schreiben vom 9. März 2009 machte die Klägerin sodann gegenüber diesem Unternehmen ihren bezifferten Entschädigungsanspruch geltend, den sie mit der am 8. April 2009 beim Arbeitsgericht Karlsruhe eingereichten Klage weiterverfolgte.

Das Arbeitsgericht Karlsruhe hat den Rechtsstreit an das Landgericht Karlsruhe verwiesen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das OLG Karlsruhe dem Entschädigungsanspruch in Höhe eines Monatsgehalts der betroffenen Geschäftsführerposition von 13.257,36 € stattgegeben.

I. Fristen

Zunächst war die Einhaltung der maßgeblichen Fristen zu klären. Gemäß § 15 Abs. 4 müssen Ansprüche innerhalb einer Frist von zwei Monatenschriftlich geltend gemacht werden. Die Ablehnung erfolgte hier am 5. Oktober 2007 und die schriftliche Geltendmachung gegen den eigentlichen Auftraggeber erst am 9. März 2009, also nahezu 1,5 Jahre später. Das Oberlandesgericht hat aber klargestellt, dass die Geltendmachungsfrist nach § 15 Abs. 4 AGG nicht laufen kann, wenn der Anspruchsberechtigte unverschuldet die Identität des Anspruchsverpflichteten nicht kennt. Vorliegend hatte die Klägerin innerhalb der zweimonatigen Geltendmachungsfrist alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um die Identität des Arbeitgebers zu erfahren und sogar ein Klageverfahren eingeleitet.

Hinweis für die Praxis:

Für arbeitsrechtliche Streitigkeiten gilt zusätzlich die Drei-Monats-Frist gem. § 61b Abs. 1 ArbGG. Diese war hier aber nicht zu beachten, da vorliegend vor dem Landgericht gestritten wurde. Es ging nicht um die Position einer Arbeitnehmerin, sondern die einer Geschäftsführerin.

II. Geschlechtsneutrale Ausschreibung

Die Stellenausschreibung erfolgte unter Verstoß gegen §§ 11 und 7 Abs. 1 AGG. Es darf nicht nach männlichen oder weiblichen Kandidaten differenziert gesucht werden. Eine Stellenausschreibung muss geschlechtsneutral erfolgen. Dies ist dann der Fall, wenn sie sich in ihrer gesamten Ausdrucksweise sowohl an Frauen als auch an Männer richtet. Dem ist jedenfalls dann Rechnung getragen, wenn die Berufsbezeichnung in männlicher und weiblicher Form verwendet oder ein geschlechtsneutraler Oberbegriff gewählt wird.

Diese Voraussetzungen lagen hier nicht vor. Bei dem Begriff „Geschäftsführer“ handelt es sich nicht um einen geschlechtsneutralen Oberbegriff. Ob dies im allgemeinen Sprachgebrauch der Fall ist, war nach Auffassung des OLG nicht entscheidend. Die Anforderungen an die Begrifflichkeiten im Alltag sind andere als bei einer Stellenausschreibung. Dadurch wird eine Stellenanzeige nicht geschlechtsneutral. Im Übrigen spricht etwa § 6 Abs. 3 AGG ausdrücklich von „Geschäftsführern und Geschäftsführerinnen“.

Hinweis für die Praxis:

Wird zwar der allgemeine Oberbegriff nichtgeschlechtsneutral verwandt, ergibt aber der Gesamtkontext der Ausschreibung eine nichtbeabsichtigte Geschlechtsdiskriminierung, kann ausnahmsweise eine Diskriminierung ausgeschlossen werden. Diese Möglichkeit war hier aber nicht gegeben. Der männliche Begriff „Geschäftsführer“ wurde im weiteren Kontext der Anzeige nicht relativiert. Daher hat das OLG Karlsruhe einen Verstoß gegen §§ 11, 7 Abs. 1 AGG bejaht.

III. Stellenausschreibung durch Dritte

Dass die Stellenanzeige nicht von dem beklagten Unternehmen, sondern durch die von ihr beauftragte Rechtsanwaltskanzlei formuliert wurde, ändert hieran nichts. Bedient sich der Arbeitgeber zur Stellenausschreibung eines Dritten und verletzt dieser die Pflicht zur geschlechtsneutralen Stellenausschreibung, so ist dem Arbeitgeber dieses Verhalten in aller Regel zuzurechnen. Den Arbeitgeber trifft im Fall der Fremdausschreibung die Sorgfaltspflicht, die Ordnungsgemäßheit der Ausschreibung zu überwachen.

IV. Beweislastumkehr

Liegt eine nichtgeschlechtsneutrale  Stellenausschreibung vor, führt dies zur Beweislastumkehr nach § 22 AGG. Es wird vermutet, dass eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vorgelegen hat. Nunmehr muss der Arbeitgeber nach § 22 AGG beweisen, dass die Bewerberin gerade nicht wegen ihres Geschlechts benachteiligt wurde. Dies ist nicht schon durch die bessere Eignung eines anderen Bewerbers widerlegt. Nicht allein der bestplatzierte Bewerber kann benachteiligt sein.

Der Arbeitgeber muss vielmehr nachweisen, dass das Geschlecht der Bewerberin bei der Auswahlentscheidung „überhaupt keine Rolle“ gespielt hat, dass also in dem Motivbündel, das die Auswahlentscheidung beeinflusst hat, das Geschlecht der Bewerberin nicht als negatives oder das Geschlecht des erfolgreichen Bewerbers als positives Kriterium enthalten war. Hierfür ist erforderlich, dass der Arbeitgeber die maßgeblichen Erwägungen für seine Handlung darlegt und hierfür Beweis anbieten kann.

Im vorliegenden Fall war dies dem Arbeitgeber nicht möglich. Die Tatsache, dass sich unter 85 Stellenbewerbern nur vier Personen weiblichen Geschlechts befanden und davon wiederum nur eine Frau zum Vorstellungsgespräch gebeten wurde, war nicht ausreichend. Maßgeblich war, dass die Bewerberin selbst nicht zu einem Vorstellungsgespräch eingeladen wurde.

V. Ernsthafte Bewerbung erforderlich

Eine Benachteiligung wegen des Geschlechts kann auch dann ausgeschlossen sein, wenn die Bewerbung nicht subjektiv ernst gemeint, sondern ausschließlich auf Erlangung einer Entschädigung gerichtet gewesen wäre. Nach ganz herrschender Meinung setzt der Anspruch auf eine angemessene Entschädigung voraus, dass der betreffende Bewerber sich subjektiv ernsthaft um die fragliche Stelle beworben hat und hierfür auch objektiv in Betracht kam. Für einen solchen Rechtsmissbrauch lagen aber keine ausreichenden Indizien vor. Vor allem die Tatsache, dass die Bewerberin sehr schnell ihren Entschädigungsanspruch reklamiert hat, stellt keinen Rechtsmissbrauch dar. Das AGG räumt den Entschädigungsanspruch ausdrücklich ein und sieht eine kurze Frist von nur zwei Monaten vor. Abgewiesene Bewerber müssen daher schnell tätig werden. Dies kann ihnen nicht zum Nachteil gereichen und die Ernsthaftigkeit der Bewerbung in Frage stellen.

VI. Höhe der Entschädigung

Die Bewerberin hatte eine Entschädigung von drei Gehältern ihres bisherigen Gehalts verlangt, insgesamt 24.765,00 € (3 x 8.255,00 €). Das OLG Karlsruhe hat hingegen ein Gehalt der ausgeschriebenen Geschäftsführerstelle in Höhe von 13.257,36 € als Entschädigung festgesetzt. Die Höhe der Entschädigung steht im Ermessen des Gerichts. Insoweit spielen die konkreten Umstände des Einzelfalls eine Rolle für diese Ermessensausübung.

Fazit:

Die Voraussetzungen eines Entschädigungsanspruchs lagen sämtlich vor. Wir können der Praxis nur dringend empfehlen, Bewerbungsanzeigen in allen Medien (Print wie online) auf etwaige Diskriminierungen zu prüfen und unklare Formulierungen anzupassen. Nur so können empfindliche Entschädigungsansprüche vermieden werden.

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