01.12.2002 -

Betriebliche Erfordernisse für eine betriebsbedingte Kündigung können sich insbesondere auch aus außerbetrieblichen Ursachen, z.B. Auftragsmangel oder Umsatzrückgang, ergeben. Nur wenn die betrieblichen Erfordernisse eine Kündigung im Interesse des Betriebs notwendig machen, kommt eine soziale Rechtfertigung der Kündigung in Betracht.

 

In einer nun bekannt gewordenen und für die betriebliche Praxis besonders bedeutsamen Entscheidung hat dabei das Bundesarbeitsgericht (Urt. v. 12.04.2002 – 2 AZR 256/01 -, zur Veröffentlichung vorgesehen) diese Anforderungen weiter verschärft. Wird die Kündigung auf außerbetriebliche Gründe (hier: Wegfall eines Reinigungsauftrages) gestützt, rechtfertigt dies solange keine Kündigung, wie sich der Arbeitgeber noch an der Ausschreibung eines weiteren Reinigungsauftrages beteiligt.

 

Der Sachverhalt der Entscheidung:

Die klagende Arbeitnehmerin war seit mehr als 10 Jahren bei dem beklagten Arbeitgeber als Gebäudereinigerin tätig. Der Arbeitgeber betrieb ein bundesweit tätiges Reinigungsunternehmen und beschäftigte in seiner Niederlassung Hannover mehrere 100 Arbeitnehmer.

 

Die Reinigungskraft war zuletzt mit 180 weiteren Arbeitnehmern in der Medizinischen Hochschule Hannover eingesetzt. Diese teilte im März 1999 dem Arbeitgeber mit, der Reinigungsauftrag laufe Ende Juni 1999 aus und müsse neu ausgeschrieben werden. Für die Zeit der Ausschreibung vereinbarten beide Seiten einen bis zum 30. Juni 2000 befristeten Vertrag zu den bisherigen Konditionen. Der Arbeitgeber beteiligte sich an den zwischenzeitlich erfolgten Ausschreibungen mit Angeboten vom 11. Oktober 1999.

 

Mit Schreiben vom 22. Februar 2000 kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit der Reinigungskraft fristgerecht zum 30. Juni 2000 und führte unter anderem aus:

 

„Unsere Firma bemüht sich jedoch, den Anschlussauftrag von der Medizinischen Hochschule zu erhalten. Hierzu bestehen, nicht zuletzt auch Dank Ihrer Einsatzbereitschaft, gute Chancen.

Für den Fall, dass P den Auftrag ab 1. Juli 2000 wieder erhält, werden wir uns umgehend zur Fortführung des Arbeitsverhältnisses mit Ihnen in Verbindung setzen.“

 

Ende März 2000 teilte die Medizinische Hochschule Hannover mit, der Zuschlag sei einem anderen Unternehmen erteilt worden.

 

Die Klägerin hielt die Kündigung für unwirksam, weil bei Ausspruch der Kündigung der Wegfall des Beschäftigungsbedarfs noch nicht absehbar gewesen sei. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben der Klage stattgegeben.

 

Die Entscheidung:

Das Bundesarbeitsgericht hat in der Revision die Entscheidungen der Vorinstanzen bestätigt.

 

I. Unterscheide: Innerbetriebliche und außerbetriebliche Gründe

Betriebliche Erfordernisse für eine Kündigung im Sinne von § 1 Abs. 2 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) können sich aus innerbetrieblichen Umständen (Unternehmerentscheidungen wie z.B. Rationalisierungsmaßnahmen, Umstellung oder Einschränkung der Produktion) oder durch außerbetriebliche Gründe (z.B. Auftragsmangel oder Umsatzrückgang) ergeben. Diese betrieblichen Erfordernisse müssen dringend sein und eine Kündigung im Interesse des Betriebs notwendig machen. Die Kündigung muss nach der Rechtsprechung gerade wegen der betrieblichen Lage unvermeidbar sein.

 

Der Wegfall eines Reinigungsauftrages ist dabei grundsätzlich geeignet, einen solchen außerbetrieblichen Grund, der eine Kündigung rechtfertigt, darzustellen.

 

II. Maßgeblicher Beurteilungszeitpunkt

Der maßgebliche Beurteilungszeitpunkt für eine betriebsbedingte Kündigung bestimmt sich nach dem Kündigungszugang. Zu diesem Zeitpunkt muss der Kündigungsgrund – Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit – vorliegen.

 

Davon ist stets auszugehen, wenn im Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung aufgrund einer vernünftigen, betriebswirtschaftlichen Betrachtung zu erwarten ist, zum Kündigungstermin werde mit einiger Sicherheit der Eintritt des die Entlassung erforderlich machenden betrieblichen Grundes gegeben sein.

 

III. Aber: Endgültige Entscheidung erforderlich!

Die der Kündigungsprognose zugrunde liegende Entscheidung muss aber bereits gefallen sein. Eine Kündigung wegen Betriebsschließung ist deshalb nicht gerechtfertigt, solange der Arbeitgeber den Stilllegungsbeschluss lediglich erwägt oder plant, aber noch nicht endgültig gefasst hat.

 

Dies gilt nach der hier besprochenen Entscheidung ausdrücklich auch dann, wenn der Arbeitgeber wegen langer Kündigungsfrist gehalten ist, frühzeitig eine Entscheidung zu treffen. Längere Kündigungsfristen sollen nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts die berufliche Existenz der vom Arbeitsplatzverlust betroffenen Arbeitnehmer sichern. Dieser Zweck würde aber verfehlt, wenn man für die soziale Rechtfertigung einer ordentlichen Kündigung wegen eines dringenden betrieblichen Erfordernissen schon jede Ungewissheit über die Erteilung der für die Fortbeschäftigung eines oder mehrerer Arbeitnehmer erforderlichen Aufträge ausreichnen lassen würde.

 

IV. Wiedereinstellungsanspruch nachrangig

Bekanntlich kann dem gekündigten Arbeitnehmer ein Anspruch auf Wiedereinstellung nach Ausspruch der Kündigung zustehen, wenn sich die Prognose nachträglich als fehlerhaft erweist. Dieser mögliche Wiedereinstellungsanspruch heilt aber eine unwirksame betriebsbedingte Kündigung nicht. Der Anspruch auf Wiedereinstellung kommt nur dann zum Tragen, wenn die Kündigung zum Kündigungszeitpunkt wirksam war und sich die Umstände nachträglich ändern.

 

Vorliegend lagen aber die zum Ausspruch einer betriebsbedingten Kündigung maßgeblichen Erfordernisse schon zum Zeitpunkt der Kündigung nicht vor. Der Stilllegungsentschluss war lediglich vorsorglich gefasst worden. Gleichzeitig beteiligte sich der Arbeitgeber aber auch an der Neuausschreibung. Die Lage war damit offen. Bei Zugang der Kündigung lag noch keine Entscheidung vor, aus der sich der Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses für die Reinigungskraft ergeben hätte. Damit aber lagen keine greifbaren Anhaltspunkte für die Annahme, die Klägerin könne zum Kündigungstermin entbehrt werden, vor.

 

Hinweis für die Praxis:

Der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts können wir uns nur eingeschränkt anschließen. Zwar entspricht es der ständigen Rechtsprechung, dass zum Kündigungszeitpunkt ein etwaiger Stilllegungsbeschluss endgültig feststehen muss und nicht lediglich erwogen oder geplant sein darf. Für die vorliegende Konstellation werden damit aber die Interessen des Arbeitgebers nur unzureichend berücksichtigt. Dieser befindet sich in einer nicht auflösbaren Zwickmühle: Einerseits muss er sich zur Aufrechterhaltung seines Betriebs an Neuausschreibungen beteiligen; andererseits kann es sich ein Arbeitgeber nur selten leisten, mehrere 100 Arbeitnehmer unbegrenzt „vorzuhalten“. Dies gilt umso mehr, als bei langjährigen Mitarbeitern regelmäßig mehrmonatige Kündigungsfristen eingehalten werden müssen.

 

Dieses Dilemma ist über den in der Rechtsprechung anerkannten Wiedereinstellungsanspruch interessengerecht zu lösen. Erhält der Arbeitgeber einen neuen Reinigungsauftrag, können die bereits gekündigten Arbeitnehmer ihre Wiedereinstellung, ggf. gerichtlich, geltend machen.  

 

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen

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