07.10.2012 -

Das Hessische Landesarbeitsgericht hatte einen Fall zu entscheiden, in dem eine Mitarbeiterin gegen eine Sachbezugsregelung verstoßen hat. Der Arbeitgeber sprach nach vorheriger Anhörung die fristlose Kündigung aus. Der von der Mitarbeiterin geäußerten Bitte um die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts widersprach der Arbeitgeber und setzte die Anhörung fort. Das Landesarbeitsgericht sah in diesem Verstoß zwar keinen Unwirksamkeitsgrund, bejahte aber ein Beweisverwertungsverbot (Hessisches Landesarbeitsgericht, Urteil v. 01.08.2011 – 16 Sa 202/11).

Der Fall (verkürzt):

Der beklagte Arbeitgeber betreibt an einem Flughafen einen Einkaufsmarkt und beschäftigt dort mehr als fünf Arbeitnehmer. Es ist ein Betriebsrat gebildet.

Die klagende Arbeitnehmerin ist in dem Supermarkt bereits seit 1995 als Kassiererin beschäftigt. Bei der Beklagten besteht u.a. eine Arbeitsanweisung für Mitarbeiter an den Kassen, deren Inhalt die Klägerin als „gelesen und erhalten“ mit ihrer Unterschrift bestätigte. Unter 4. „Bargeldlose Zahlung“ heißt es unter d)

Sonstiges: Andere Schecks, Gutscheine, ausländische Zahlungsmittel o.ä. dürfen nur nach erfolgter Rücksprache mit dem Filialleiter angenommen werden. Es darf kein Bargeld gegen alle Arten der unbaren Zahlungsarten eingetauscht werden, es darf auch kein Rückgeld ausgegeben werden.“

Der Arbeitgeber vertreibt in dem Einkaufsmarkt u.a. Sekt einer bestimmten Marke. Der Sekthersteller führte als Kundenbindungsmaßnahme Rabattmarkenhefte ein. Für den Kauf eines Kartons Sekt erhielt der Kunde eine Rabattmarke. Für 20 Rabattmarken, die in das Rabattmarkenheft eingeklebt werden, erhält der Kunde bei seinem nächsten Einkauf eine Gutschrift in Höhe von 15,00 €. Auf der Seite des Rabattmarkenheftes, auf der die Bedingungen für die Gutschrift dargestellt werden, befindet sich der Hinweis „Barauszahlung nicht möglich“.

In dem Zeitraum vom 9. Oktober 2009 bis 12. April 2010 fielen bei dem beklagten Arbeitgeber 22 Rabattmarkenhefte an. Alle Hefte waren von der Klägerin unter Angabe des jeweiligen Datums sowie des Zusatzes „15,00 €“ unterzeichnet. Immer zwei Rabattmarkenhefte trugen dasselbe Datum. An den betreffenden Tagen, die handschriftlich auf den jeweiligen Rabattmarkenheften vermerkt waren, wurden unter der Kassierernummer der Klägerin Einkäufe über einen Umsatz eines Brötchens oder einer Tragetasche zwischen 15 Cent und 49 Cent getätigt. Der Wert der jeweils zwei Rabattmarkenhefte wurde gegengebucht. Die Differenz wurde dann dem Kunden bar ausgezahlt. Bei dem Kunden handelte es sich um den Freund der Tochter der Klägerin.

Der Arbeitgeber führte zunächst am 14. April 2010 über diese Vorfälle ein Gespräch mit der Klägerin. Diese räumte ein, jedenfalls am 12. April 2010 zwei Rabattmarkenhefte bar ausgezahlt zu haben.

Am 22. April 2010 fand ein weiteres Gespräch zur Aufklärung der Vorfälle statt. Obwohl die Klägerin in diesem um die Hinzuziehung ihres Rechtsanwalts bat, setzte die Beklagte das Gespräch fort. Nach Anhörung des Betriebsrats wurde das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise mit sozialer Auslauffrist gekündigt.

Erstinstanzlich hat das Arbeitsgericht die Kündigungsschutzklage abgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht die Wirksamkeit der Kündigung bestätigt.

I. Verstoß gegen Sachbezugsregelung rechtfertigt fristlose Kündigung

In der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist anerkannt, dass ein Verstoß des Arbeitnehmers gegen eine Sachbezugsregelung an sich eine Kündigung aus wichtigem Grund rechtfertigen kann (BAG, Urteil v. 23.06.2009 – 2 AZR 103/08). Die Mitarbeiterin verstieß mit der Bareinlösung der Rabattmarkenhefte gegen Nr. 4 d) S. 2 der Arbeitsanweisung für Mitarbeiter an den Kassen. Es handelte sich auch nicht um eine einmalige Pflichtverletzung. Vielmehr löste sie in ihrer Funktion als Kassiererin insgesamt 22 Rabattmarkenhefte bar ein. Hierdurch war ihr in langjähriger, unbeanstandeter Tätigkeit erworbenes Vertrauenskapital endgültig aufgebraucht.

II. Anhörung vor Verdachtskündigung

Vor dem Ausspruch einer (fristlosen) Verdachtskündigung muss ein Arbeitnehmer zu den Vorwürfen und den dringenden Tatmomenten zwingend angehört werden. Die unterbliebene Anhörung wird zur Unwirksamkeit der Kündigung. Die Klägerin wurde bereits in der ersten Anhörung vom 14. April 2010 mit den konkreten Vorwürfen konfrontiert. Problematisch war allerdings, dass es eine weitere Anhörung am 22. April 2009 gab und die Arbeitnehmerin in diesem Gespräch den Wunsch äußerte, ihren Rechtsanwalt hinzuziehen und der Arbeitgeber diesem Wunsch nicht nachkam.

III. Beweisverwertungsverbot bei unterbliebener Hinzuziehung eines Rechtsanwalts

Das Landesarbeitsgericht hat zunächst klargestellt, dass die Weigerung des Arbeitgebers, den Rechtsanwalt hinzuziehen zu dürfen, nicht zur Unwirksamkeit der Anhörung oder der ausgesprochenen Verdachtskündigung führte. Dem Arbeitnehmer ist zwar grundsätzlich die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts für die Anhörung zuzugestehen. Ein Verstoß hiergegen führt aber nur dazu, dass der weitere Gang der Anhörung prozessual nicht verwertbar ist. Dies ergibt sich daraus, dass ein rechtswidriges Verhalten einer Prozesspartei bei der Informationsgewinnung zu einem Verwertungsverbot führen kann. Soweit der Arbeitnehmer sich jedoch vor der Äußerung seines Wunsches auf Hinzuziehung eines Rechtsanwalts zur Sache eingelassen hat, ist dies prozessual verwertbar.

So lag der Fall hier. Die Klägerin hatte bereits in dem Gespräch vom 14. April 2010 eingeräumt, sämtliche Barauszahlungen selbst vorgenommen zu haben. In dem Gespräch vom 22. April 2010 wurde die Mitarbeiterin im Wesentlichen mit dem Ergebnis der von der Beklagten angestellten weiteren Ermittlungen konfrontiert. Weitere Angaben, durch die sie sich selbst belastet oder die bestehenden Verdachtsmomente erhärtet hätte, hat sie nach ihrer Bitte um Hinzuziehung eines Rechtsanwalts nicht gemacht.

Fazit:

Die Entscheidung macht ein weiteres Mal deutlich, dass bei dem Ausspruch von Verdachtskündigungen zahlreiche formale Fehler gemacht werden können. Besondere Sorgfalt ist auf die ordnungsgemäße Anhörung des Arbeitnehmers zu legen. Vorsorglich sollte der Arbeitnehmer auf die wesentlichen Inhalte des Gesprächs und das Ziel der Anhörung vorab hingewiesen werden. Verlangt der Arbeitnehmer die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts, sollte dem nachgekommen werden. Andernfalls droht ein Beweisverwertungsverbot für alle Informationen, die nach diesem Begehren zusätzlich noch erlangt wurden.

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