09.12.2002

Das BMF hat mit Schreiben vom 07.11.2002 die Durchführung von Umsatzsteuer-Sonderprüfungen neugeregelt. Es enthält neben der Beschreibung des Zwecks der Prüfung (Abschnitt I., Ziffer (1)) eine detaillierte Beschreibung der Aufgriffskriterien der Finanzverwaltung (Abschnitt II.) und in Abschnitt III., Ziffer (4) unter Hinweis auf die neu geschaffene USt-Nachschau (§ 27b UStG) eine Prüfungsausdehnung über die buch- und belegmäßigen Nachweise hinaus. Neu ist auch die in der nachfolgenden Ziffer (5) angeordnete Verpflichtung der Prüfer („sind“) die Prüfung durch Recherchen in Datenbanken und im Internet vorzubereiten.

 

BMF 7.11.2002, IV B 2 – S 7420 a – 4/02

AO 1977 § 147 Abs. 2, § 147 Abs. 5, § 147 Abs. 6, § 193 ff., § 200 Abs. 1; BpO § 1 Abs. 2; UStG § 14 Abs. 4

Unter Bezugnahme auf das Ergebnis der Erörterungen mit den obersten Finanzbehörden der Länder gilt Folgendes:

I. Allgemein

(1) Durch die USt-Sonderprüfung soll erreicht werden, dass steuerpflichtige Leistungen sachlich und zeitlich zutreffend besteuert, Steuerbefreiungen und Steuervergünstigungen nicht zu Unrecht in Anspruch genommen werden und keine Vorsteuerbeträge unberechtigt abgezogen oder vergütet werden.

(2) USt-Sonderprüfungen sind unabhängig von dem Turnus der allgemeinen Außenprüfung zeitnah vorzunehmen. Da die Vorsteuern bereits im USt-Voranmeldungsverfahren angerechnet bzw. vergütet werden, kann mit der Prüfung zweifelhafter Fälle nicht bis zur Berechnung/Festsetzung der Jahres-USt oder bis zur Durchführung einer allgemeinen Außenprüfung gewartet werden.

(3) Automationsgestützt werden Hinweise ausgegeben, die USt-Sonderprüfungen anregen. Diese Hinweise und andere Kriterien (u.a. Kontrollmitteilungen) sind bei der Bearbeitung von Voranmeldungen, Steuererklärungen für das Kalenderjahr und Kontrollmitteilungen auszuwerten. Können bestehende Zweifel zunächst nicht mit den Mitteln des Innendienstes ausgeräumt werden, ist unverzüglich eine USt-Sonderprüfung durchzuführen.

II. Kriterien für Umsatzsteuer-Sonderprüfungen

Als Kriterien, die Veranlassung für die Durchführung einer USt-Sonderprüfung sein können, kommen insbesondere in Betracht:

1.       Vorsteuerabzug

a.            außergewöhnlich hohe Vorsteuerbeträge,

b.            Vorsteuerabzug bei Inanspruchnahme von Steuerbefreiungen für Umsätze mit Vorsteuerabzug,

c.            Vorsteuerdifferenzen auf Grund von Verprobungen,

d.            branchen-/unternehmensatypische und/oder ungeklärte vorsteuerbelastete Leistungsbezüge,

e.            Vorsteuerausschluss/-aufteilung (z. B. bei innergemeinschaftlichen Erwerben),

f.            Verwendungsabsicht des Unternehmers im Zeitpunkt des Leistungsbezugs (insbesondere beim Erwerb von gemischt genutzten Grundstücken und bei der Herstellung von gemischt genutzten Gebäuden),

g.            Rechnungen von Ausstellern, bei denen die Unternehmereigenschaft zweifelhaft ist, Zweifel an dem in einer Rechnung ausgewiesenen Leistungsinhalt oder formale Mängel in der Rechnung,

h.            Vorsteuerabzug aus dem Erwerb neuer Fahrzeuge durch Unternehmer (Abgrenzung zum nichtunternehmerischen Bereich/Fahrzeugeinzelbesteuerung).

2.       Vorsteuerberichtigungen nach § 15 a UStG

a.            Grundstücksveräußerungen und -entnahmen,

b.            erstmalige Anwendung bzw. Änderung des Verwendungsschlüssels bei gemischt genutzten Grundstücken und beweglichen Wirtschaftsgütern.

3.       Neugründung von Unternehmen/Firmenmantelkauf

a.            Unternehmereigenschaft, insbesondere bei Personen, die nach Vorbereitungshandlungen keine Umsätze tätigen,

b.            erhebliche Vorsteuerüberschüsse im zeitlichen Zusammenhang mit der Neugründung,

c.            Verträge des Unternehmers mit Anteilseignern, Gesellschaftern, Mitgliedern oder nahe stehenden Personen (z. B. Gestaltungsmissbrauch bei Vermietung, Anwendung der Mindestbemessungsgrundlage),

d.            Vermietung von Freizeitgegenständen (z.B. Wohnmobile, Segelschiffe).

4.       Inanspruchnahme von Steuerbefreiungen für Umsätze mit/ohne Vorsteuerabzug

a.            Umsätze nach § 4 Nr. 1 bis 7 UStG (bei innergemeinschaftlichen Lieferungen Differenzen nach Abgleich der Steueranmeldung mit den gespeicherten Daten der Zusammenfassenden Meldungen),

b.            innergemeinschaftliche Erwerbe,

c.            Umsätze unter Inanspruchnahme der USt.-Befreiungen nach dem Zusatzabkommen zum NATO-Truppenstatut, dem Offshore-Steuerabkommen sowie dem Ergänzungsabkommen zum Protokoll über die NATO-Hauptquartiere,

d.            Berechtigung zur Inanspruchnahme der Steuerbefreiungen nach § 4 Nr. 8 ff. UStG.

5.       Besteuerung des innergemeinschaftlichen Erwerbs

a.            Erwerbe, insbesondere durch Unternehmer, bei denen der Vorsteuerabzug ganz oder teilweise ausgeschlossen ist,

b.   Erwerbe durch Unternehmer, bei denen erhebliche Differenzen nach Abgleich der Steuererklärung für das Kalenderjahr mit den gemeldeten Lieferungen aus anderen EU-Mitgliedstaaten bestehen,

c.   Erwerbe durch Unternehmer I. S. des § 18 Abs. 4 a UStG, die zwar eine USt.-IdNr. beantragt, aber keine innergemeinschaftlichen Erwerbe angemeldet haben.

6. Berechtigung zur Inanspruchnahme des ermäßigten Steuersatzes nach § 12 Abs. 2 Nr. 1 bis 10 UStG

7.       Versendungsumsätze nach § 3 c UStG

8.       Leistungsort in besonderen Fällen

a.            innergemeinschaftliche Beförderungen von Gegenständen und damit zusammenhängende sonstige Leistungen (§ 3 b Abs. 3 bis 6 UStG),

b.            Vermittlungsumsätze,

c.            Lieferungen während einer Personenbeförderung nach § 3 e UStG,

d.            elektronisch erbrachte Dienstleistungen (E-Commerce).

9.       Zeitgerechte Besteuerung der Umsätze

a.   Zahlung des Entgelts oder eines Teilentgelts vor Ausführung der Leistung (insbes. in der Bauwirtschaft und bei Versorgungsunternehmen),

b.            erhebliche Abweichungen bei Umsätzen und Vorsteuern zwischen Steuererklärungen für das Kalenderjahr und Voranmeldungen oder bei Abgabe berichtigter Voranmeldungen.

10.       Insolvenzfälle

a.            Zwangsverwaltung von Grundstücken (Zuordnung der Umsätze, Umfang der Option, Vorsteuerabzug und Vorsteuerberichtigung gem. § 15 a UStG),

b.            vorläufige Insolvenzverwaltung (z. B. bei Zweifeln, ob Lieferungen während der vorläufigen Insolvenzverwaltung oder erst nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens ausgeführt worden sind),

c.            Insolvenzverfahren (insbes. Verwertung der Insolvenzmasse, Erfüllung steuerlicher Pflichten durch den Insolvenzverwalter, bei Gesellschaften: Schlechterstellung vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens – Haftung des Geschäftsführers).

11.       Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers

12.  Juristische Personen

a.   Betriebe gewerblicher Art von juristischen Personen des öffentlichen Rechts (insbes. Abgrenzung des Unternehmensbereichs vom hoheitlichen Bereich),

b.   Vereine (insbesondere Abgrenzung des nichtunternehmerischen vom unternehmerischen Bereich bzw. des Zweckbetriebs vom wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb).

III. Vorbereitung und Durchführung von Umsatzsteuer-Sonderprüfungen

(1) Bei der Durchführung von USt-Sonderprüfungen sind die § 193 ff. AO sowie die §§ 5 bis 12, 20 bis 24, 29 und 30 der Betriebsprüfungsordnung (BpO) mit Ausnahme des § 5 Abs. 4 Satz 2 BpO anzuwenden (§ 1 Abs. 2 BpO). Bei der Anwendung der Regelungen zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen sind die §§ 146 Abs. 5, 147 Abs. 2, 5, 6, 200 Abs. 1 AO und § 14 Abs. 4 Satz 2 UStG sowie das BMF-Schreiben vom 16.7.2001 [GDPdU] zu beachten. Die USt-Sonderprüfung ist auf das Wesentliche abzustellen und ihre Dauer auf das notwendige Maß zu beschränken. Sie hat sich in erster Linie auf Sachverhalte zu erstrecken, die zu endgültigen Steuerausfällen, zu unberechtigten Steuererstattungen/-vergütungen oder zu nicht unbedeutenden Umsatzverlagerungen führen können. Zur Sicherung des Steueraufkommens sind USt-Sonderprüfungen jedoch auch dann durchzuführen, wenn die Prüfung der USt im Einzelfall kein Mehrergebnis erwarten lässt oder die Feststellungen voraussichtlich nur für die Besteuerung Dritter von Bedeutung sein können (z.B. in grenz- und länderübergreifenden Fällen).

(2) Eine USt-Sonderprüfung sollte sich im Interesse einer zeitnahen Prüfung i.d.R. nur auf einzelne Voranmeldungszeiträume erstrecken. Sie kann auf bestimmte Sachverhalte und ggf. auf bestimmte Besteuerungszeiträume beschränkt werden. Der Vorbehalt der Nachprüfung bleibt auch nach Änderung einer Steuerfestsetzung für den Voranmeldungszeitraum bestehen (§ 164 Abs. 1 Satz 2 AO). Solange der Vorbehalt der Nachprüfung wirksam ist, erfolgt eine Änderung der Steuerfestsetzung nach § 164 Abs. 2 AO. Da § 164 AO keine § 173 Abs. 2 AO entsprechende Regelung enthält, steht die Durchführung der USt-Sonderprüfung einer weiteren Änderung nach § 164 Abs. 2 AO nicht entgegen.

(3) Ist die Grundlage für eine USt-Sonderprüfung ausnahmsweise eine Steuererklärung für das Kalenderjahr, ist in der Prüfungsanordnung genau anzugeben, ob die Prüfung auf bestimmte Sachverhalte beschränkt ist und ggf. auf welche Sachverhalte. Bei einer auf bestimmte Sachverhalte beschränkten Prüfung kann der Vorbehalt der Nachprüfung auch nach Auswertung der Prüfungsfeststellungen bestehen bleiben; die Durchführung einer USt-Sonderprüfung steht einer weiteren Änderung nach § 164 Abs. 2 AO nicht entgegen (vgl. Abs. 2 Satz 4 und 5). Der Vorbehalt der Nachprüfung ist hingegen unabhängig vom tatsächlichen Prüfungsumfang aufzuheben, wenn die Prüfungsanordnung keine Beschränkung auf bestimmte Sachverhalte enthielt. Eine weitere Änderung ist dann nur möglich, wenn eine andere Korrekturvorschrift als § 164 AO greift. Bei einer Änderung nach § 173 AO ist die Änderungssperre nach Abs. 2 zu beachten.

(4) Die USt-Sonderprüfung darf sich nicht auf eine formelle Prüfung der Buchführung sowie der buch- und belegmäßigen Nachweise beschränken. Es ist regelmäßig auch zu prüfen, ob der Unternehmer seine Geschäfte tatsächlich in der von ihm dargestellten Weise abgewickelt hat. In Investitionsfällen ist, sofern eine USt-Nachschau nach § 27 b UStG noch nicht durchgeführt worden ist, eine Ortsbesichtigung bzw. die Inaugenscheinnahme des erworbenen Anlage- und Umlaufvermögens vorzusehen.

(5) Bei der Vorbereitung und Durchführung von USt-Sonderprüfungen sind Abfragen in geeigneten Datenbanken oder im Internet vorzunehmen. Daraus gewonnene Erkenntnisse sind durch weitere, auf den Einzelfall bezogene Ermittlungen, zu ergänzen.

(6) Die Berechtigung des Leistungsempfängers zum Vorsteuerabzug (§ 15 UStG) kann häufig nicht ohne Mitwirkung des FA geprüft werden, das für die Umsatzbesteuerung des Rechnungsausstellers/Gutschriftempfängers zuständig ist. Zur Vorbeugung bzw. Aufdeckung von Steuermanipulationen sind deshalb Auskunftsersuchen an die für die leistenden Unternehmer zuständigen Finanzämter nach Vordruck USt 1 KM bzw. soweit im Einzelfall erforderlich, in anderer geeigneter Form zu richten. Zur Sicherung des Steueraufkommens allgemein sind Kontrollmitteilungen zu fertigen.

(7) Die gemeinschaftsrechtlichen Informationsmöglichkeiten für die zwischenstaatliche Amtshilfe im Besteuerungsverfahren sind zu nutzen. Soweit tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass indirekte Steuern eines EU-Mitgliedstaats nicht zutreffend erhoben worden sind bzw. werden können, sind Spontanauskünfte gem. § 2 Abs. 2 EG-Amtshilfe-Gesetz zu fertigen.

Im Interesse der Beschleunigung des Informationsaustauschs ist die Möglichkeit der Hinzuziehung von Bediensteten anderer Mitgliedstaaten gem. § 1 b EG-Amtshilfe-Gesetz zu prüfen.

IV. Statistik

Über die Durchführung von USt-Sonderprüfungen ist eine Statistik zu führen. Auf das hierfür geltende BMF-Schreiben wird hingewiesen.

Dieses Schreiben ersetzt das BMF-Schreiben vom 16.5.1994 – IV C 4 – S 7420 a – 1/94.

Verfasser: RA & StB Andreas Jahn

Lorbeerkranz

Auszeichnungen

  • „Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuer­recht“
    (JUVE Handbuch Wirtschafts­kanz­leien 2022/2023)

  • „Häufig empfohlen wird Andreas Jahn, Steuer­recht“
    (JUVE Handbuch Wirtschafts­kanz­leien 2017-2021)

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