Bei betriebsbedingten Kündigungen ist grundsätzlich eine Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 KSchG vorzunehmen. Das Kündigungsschutzgesetz lässt aber Ausnahmen zu. Leistungsträger dürfen aus der Sozialauswahl ausgenommen werden. Zudem kann eine Sozialauswahl nach Altersgruppen zur Sicherung einer ausgewogenen Altersstruktur vorgenommen werden. Das Bundesarbeitsgericht hatte sich in einer aktuellen Entscheidung mit diesen Ausnahmetatbeständen zu befassen und hat seine Rechtsprechung für die Praxis präzisiert (BAG, Urteil v. 22.03.2012 – 2 AZR 167/11).
Der Fall (verkürzt):
Der klagende Arbeitnehmer ist 1954 geboren, verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Zum Zeitpunkt der Kündigung war lediglich ein Kind auf der Lohnsteuerkarte eingetragen. Er ist gelernter Kfz-Mechaniker und Werkzeugmacher. Der beklagte Arbeitgeber betreibt ein Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie und stellt unter anderem Spulen für die Drahtaufwicklung her.
Der Arbeitnehmer war 1987 bei dem Arbeitgeber als so genannter Servicemitarbeiter in der Abteilung Vorrichtungsbau/Mechatronik tätig. Der Arbeitgeber entschloss sich im Jahre 2009 zu einem Stellenabbau in sämtlichen Unternehmensbereichen. Von 181 Mitarbeitern sollten 48 gekündigt werden.
Arbeitgeber und Betriebsrat vereinbarten einen Interessenausgleich und Sozialplan. Hier regelten sie die Bildung von Altersgruppen für die Durchführung der Sozialauswahl.
Die Abteilung des Klägers bestand zuletzt aus elf Arbeitnehmern und fünf Altersgruppen. Der Altersgruppe 1 und 5 gehörten jeweils nur ein Arbeitnehmer an, der Altersgruppe 2 zwei Arbeitnehmer, der Altersgruppe 3 vier Arbeitnehmer und der Altersgruppe 4 drei Arbeitnehmer an. Diese Abteilung von elf Arbeitnehmern sollte auf sechs verkleinert werden. Der Kläger war in Altersgruppe 5.
Der Arbeitgeber kündigte daher das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis nach ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrats ordentlich zum 31. Mai 2010. Mit seiner Kündigungsschutzklage hat der Arbeitnehmer die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozialwidrig und er sei z.B. sozial schutzwürdiger als ein Mitarbeiter aus der Altersgruppe 1. Dieser habe lediglich 47 Sozialpunkte und er habe 92 Sozialpunkte. Der Arbeitgeber berief sich darauf, der Mitarbeiter aus der ersten Altersgruppe sei wegen besonderer Kenntnisse als Leistungsträger aus der Sozialauswahl herauszunehmen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat ihr hingegen im Berufungsverfahren stattgegeben.
Die Entscheidung:
Das Bundesarbeitsgericht hat im Revisionsverfahren die Entscheidung des LAG bestätigt und die Berufung des Arbeitgebers zurückgewiesen. Die Kündigung war sozial ungerechtfertigt.
I. Sozialauswahl
Bei betriebsbedingten Kündigungen ist zwingend nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG eine Sozialauswahl durchzuführen. Eine Kündigung ist dann sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl des Arbeitnehmers die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Der Arbeitgeber hat in die Sozialauswahl diejenigen Arbeitnehmer einzubeziehen, die miteinander vergleichbar sind. Vergleichbar sind Arbeitnehmer, die nach arbeitsplatzbezogenen Merkmalen aufgrund ihrer Fähigkeiten und Kenntnisse sowie nach dem Inhalt der von ihnen vertraglich geschuldeten Aufgaben austauschbar sind.
Nach dem Gesetzeswortlaut sind die sozialen Gesichtspunkte „ausreichend“ zu berücksichtigen. Dem Arbeitgeber kommt damit bei der Gewichtung der Sozialkriterien ein Wertungsspielraum zu. Die Auswahlentscheidung muss sozial vertretbar sein, muss aber nicht unbedingt der Entscheidung entsprechen, die das Gericht getroffen hätte, wenn es eigenverantwortlich soziale Erwägungen hätte anstellen sollen. Der dem Arbeitgeber vom Gesetz eingeräumte Wertungsspielraum führt dazu, dass nur deutlich schutzwürdigere Arbeitnehmer mit Erfolg die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl rügen können.
Im vorliegenden Fall war der klagende Arbeitnehmer deutlich schutzwürdiger als sein Kollege aus der ersten Altersgruppe. Der Kläger war am maßgeblichen Stichtag 55 Jahre alt sowie 22 Jahre bei dem Arbeitgeber beschäftigt, zudem verheiratet und zumindest einem Kind zum Unterhalt nach der Lohnsteuerkarte verpflichtet (tatsächlich sogar zwei Kinder). Der vergleichbare Mitarbeiter aus der ersten Altersgruppe war hingegen zum Stichtag nur 24 Jahre alt und seit sieben Jahren bei der Beklagten beschäftigt. Nach dem im Interessenausgleich vereinbarten Punkteschema erreichte er 47 Sozialpunkte, der Kläger hingegen – selbst bei Berücksichtigung nur eines unterhaltberechtigten Kindes – 92 Punkte. Damit war der Kläger als deutlich schutzwürdiger anzusehen.
II. Leistungsträgerklausel und Herausnahme aus Sozialauswahl
Der Arbeitgeber hat sich auf die Leistungsträgerklausel berufen. Nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG sind in die soziale Auswahl nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG unter anderem diejenigen Arbeitnehmer nicht einzubeziehen, deren Weiterbeschäftigung insbesondere wegen ihrer Kenntnisse, Fähigkeiten und Leistungen, im berechtigten betrieblichen Interesse liegt.
Dabei ist das Interesse des sozial schwächeren Arbeitnehmers gegen das betriebliche Interesse des Arbeitgebers an der Herausnahme des so genannten Leistungsträgers abzuwägen. Je schwerer dabei das soziale Interesse wiegt, desto gewichtiger müssen die Gründe für die Ausklammerung des Leistungsträgers sein.
Zu einer Herausnahme des sozial schwächeren Kollegen als Leistungsträger hatte der Arbeitgeber keine Gründe. Der jüngere Kollege war zwar breiter qualifiziert und flexibler einsetzbar. Dies berechtigte aber nach Auffassung des BAG noch nicht zur Herausnahme aus der Sozialauswahl. Diejenigen Tätigkeiten, die Qualifikation voraussetzten, über die der Kläger nicht verfügte, hätten auch von anderen Arbeitnehmern bzw. anderweitig erledigt werden können. Die Anwendung der Leistungsträgerklausel war daher unzulässig.
III. Bildung von Altersgruppen
Die Sozialauswahl kann schließlich durch eine Altersgruppenbildung beeinflusst werden. Zur Sicherung einer ausgewogenen Personalstruktur ist der Arbeitgeber berechtigt, nach § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG Altersgruppen zu bilden. Der Arbeitgeber ist dann aber gehalten, hierzu konkret vorzutragen. Dabei ist es vor allem notwendig, dass die Altersgruppenbildung zur Erhaltung der Altersstruktur geeignet ist und deshalb eine Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen der Sozialauswahl rechtfertigt.
Daran fehlte es im vorliegenden Fall. Der Arbeitgeber hatte nicht nur eine Gruppe gebildet, sondern mehrere Abteilungen isoliert betrachtet. So wurden zwar insgesamt 48 Mitarbeiter gekündigt, die Altersgruppenbildung in der Abteilung des klagenden Arbeitnehmers bezog sich aber nur auf elf Arbeitnehmer. Dieser Gruppe war aber eine proportionale Beteiligung der Altersgruppen an den Entlassungen gar nicht möglich. In zwei von den in dieser Abteilung gebildeten fünf Altersgruppen war jeweils nur ein Arbeitnehmer. Die Sicherung einer Altersstruktur konnte hier gar nicht gewährleistet werden. Dem Arbeitgeber war es daher verwehrt, sich zur Wirksamkeit der Sozialauswahl auf die weitere Ausnahme der Bildung von Altersgruppen zu berufen.
Fazit:
Bei betriebsbedingten Kündigungen muss zwingend eine Sozialauswahl durchgeführt werden. Dem Arbeitgeber steht hier ein Wertungsspielraum zu. Die Auswahlentscheidung muss sozial vertretbar sein. Das Ergebnis der Sozialauswahl kann dann anders ausfallen, wenn bestimmte Arbeitnehmer als Leistungsträger herausgenommen werden können. An diese Herausnahme stellt die Rechtsprechung aber sehr hohe Anforderungen, die meist nicht erfüllt sind. Die Sozialauswahl kann ferner durch die Bildung von Altersgruppen beeinflusst werden. Auch hier muss der Arbeitgeber aber darlegen, dass Kündigungen Auswirkungen auf die Altersstruktur des Betriebes haben und dass sich hieraus Nachteile ergeben. Je kleiner die Vergleichsgruppen sind, desto schwieriger ist diese Darlegung von Nachteilen.
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