11.11.2013 -

Der Sonderkündigungsschutz von Betriebsratsmitgliedern und Ersatzmitgliedern des Betriebsrats ist in § 15 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG) geregelt. Der originäre Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 S. 1 KSchG besteht für Ersatzmitglieder so lange, wie sie ein zeitweilig verhindertes ordentliches Mitglied vertreten. Endet die Vertretungsphase, greift der nachwirkende Sonderkündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 S. 2 KSchG für die Dauer eines Jahres nach dem Ende der Tätigkeit als Ersatzmitglied. Das Bundesarbeitsgericht hat nun für die Praxis die Frage geklärt, ob der Vertretungsfall an sich für den nachwirkenden Kündigungsschutz ausreicht oder aber ob das Ersatzmitglied auch tatsächlich Betriebsratsaufgaben während des Vertretungsfalls erledigt haben muss (BAG, Urteil v. 19.04.2012 – 2 AZR 233/11). Wegen des sehr speziellen und detailreichen Sachverhalts verzichten wir hier auf die sonst übliche Fallwiedergabe und beschränken uns auf die wesentlichen rechtlichen Ausführungen des BAG.

I. Nachwirkender Sonderkündigungsschutz

Der besondere Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 S. 1 KSchG besteht für Ersatzmitglieder des Betriebsrats so lange, wie sie ein zeitweilig verhindertes ordentliches Mitglied vertreten. Der besondere Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 S. 2 KSchG besteht dann für die Dauer eines Jahres nach dem Ende ihrer Tätigkeit als Ersatzmitglied. Dieser nachwirkende Kündigungsschutz tritt allerdings nur ein, wenn das Ersatzmitglied in der Vertretungszeit konkrete Betriebsratsaufgaben tatsächlich wahrgenommen hat.

Der nachwirkende Schutz soll die unabhängige, pflichtgemäße Ausübung des Betriebsratsamts dadurch gewährleisten, dass er den Arbeitgeber nach dem Amtsende ein Jahr lang hindert, eine Kündigung des früheren Betriebsratsmitglieds ohne wichtigen Grund auszusprechen. Das Gesetz setzt darauf, dass sich in dieser Zeit eine mögliche Verärgerung des Arbeitgebers über die Amtsgeschäfte des Betriebsratsmitglieds deutlich legt und dieses deshalb während seiner aktiven Zeit unbefangen agieren lässt. Einer solchen „Abkühlungsphase“ bedarf es nicht, wenn das Ersatzmitglied während der Zeit, in der es vertretungshalber nachgerückt war, weder an Sitzungen des Betriebsrats teilgenommen noch sonstige Betriebsratstätigkeiten ausgeübt hat. Es hat dann dem Arbeitgeber keinen Anlass zu möglichen negativen Reaktionen auf seine Amtsausübung gegeben und bedarf deshalb keines besonderen Schutzes.

II. Verhinderungsfall an sich nicht ausreichend

Ist ein ordentliches Betriebsratsmitglied verhindert, rückt das betreffende Ersatzmitglied in den Betriebsrat automatisch „nach“, unabhängig davon, ob es selbst oder etwa der Betriebsratsvorsitzende vom Verhinderungsfall Kenntnis hat. Es kommt daher für das nachrückende Ersatzmitglied nicht darauf an, ob auch eine formale Berufung in den Nachrückerstatus erfolgt. Voraussetzung ist aber, wie zuvor ausgeführt, dass das nachrückende Ersatzmitglied tatsächliche Betriebsratstätigkeiten erbringt. Im konkreten Fall lag zwar ein Verhinderungsfall vor und das Ersatzmitglied hätte zu zwei Betriebsratssitzungen Ende Februar und Ende März 2008 eingeladen werden müssen. Dies war aber nicht der Fall. Eine Einladung war gerade nicht erfolgt. Selbst wenn dies darauf beruht haben sollte, dass der Betriebsratsvorsitzende die Nachrückregelung des § 25 Abs. 1, Abs. 2 BetrVG bewusst ignoriert hat, ändert das nach Auffassung des BAG nichts daran, dass der Arbeitnehmer an den Sitzungen des Gremiums tatsächlich nicht teilgenommen und auch sonst die Betriebsratsaufgaben nicht wahrgenommen hat. Bloß fiktive, in Wirklichkeit aber unterbliebene Tätigkeiten des Ersatzmitglieds lösen nach nunmehr klarer Rechtsprechung des BAG den nachwirkenden Kündigungsschutz nach § 15 Abs. 1 S. 2 KSchG nicht aus.

Hinweis für die Praxis:

Der Status von Ersatzmitgliedern ist für Arbeitgeber oftmals schwierig zu erkennen. Nur die konkrete Betriebsratstätigkeit während eines Verhinderungsfalls löst den Sonderkündigungsschutz nach § 15 KSchG aus. Wird allerdings ein Ersatzmitglied für ein verhindertes Betriebsratsmitglied zu einer Betriebsratssitzung eingeladen, greift zunächst der volle Sonderkündigungsschutz und dann nach Ende der Tätigkeit der nachwirkende Kündigungsschutz. In Zweifelsfällen muss der Arbeitgeber beim Betriebsrat nachfragen und klären, welche Personen zu welchem Zeitpunkt an Sitzungen des Gremiums teilgenommen haben.

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