14.11.2013 -

Das Verfahren bei anzeigepflichtigen Entlassungen richtet sich nach den §§ 17 ff. KSchG. Vorgesehen ist dort in Abs. 3 Satz 1, dass der Arbeitgeber der Agentur für Arbeit eine Abschrift der Mitteilung an den Betriebsrat mit der Massenentlassungsanzeige beifügt. Das Bundesarbeitsgericht hat nun klargestellt, dass Fehler bei der Massenentlassungsanzeige zur Unwirksamkeit einer ausgesprochenen Kündigung führen (BAG, Urteil v. 22.11.2012 – 2 AZR 371/11). Die nun geltenden Grundsätze stellen wir nachfolgend dar.

Der Fall:

Der klagende Arbeitnehmer ist seit 2002 bei dem beklagten Arbeitgeber im Bereich Netzinfrastruktur beschäftigt. Der Arbeitgeber beschloss im Jahre 2008, die Aufgaben der Servicetechniker im Wesentlichen nicht mehr durch eigene Mitarbeiter ausführen zu lassen. Dies führt zum Wegfall zahlreicher Arbeitsplätze. Im November 2008 vereinbarte der Arbeitgeber mit dem Konzernbetriebsrat dazu einen Interessenausgleich.

In § 8 des Interessenausgleichs, der mit „Beratungen nach § 17 KSchG“ überschrieben war, war u.a. Folgendes vereinbart:

Das Unternehmen wird erforderlichenfalls einer Anzeige nach § 17 KSchG die Stellungnahme des KBR beifügen.“

In der sich anschließenden Massenentlassungsanzeige gegenüber der Agentur für Arbeit in Berlin kreuzte der Arbeitgeber in dem Formular das Feld „Nein“ in der Zeile „die Stellungnahme des Betriebsrats zu den angezeigten Entlassungen ist beigefügt“ an. An anderer Stelle wurde darauf hingewiesen, dass ein Sozialplan vereinbart worden sei.

Die Agentur für Arbeit teilte im Anschluss Folgendes mit:

Ihre Anzeige vom 19. November 2008 ist am 19. November 2008 in der Agentur für Arbeit Berlin-Süd vollständig eingegangen. Gemäß § 20 Abs. 1 KSchG habe ich wie folgt entschieden: Die Sperrfrist gilt am 20. November 2008 und endet am 19. November 2008. Die Entlassungen am 8. Dezember 2008 von 49 Arbeitnehmern mit Ablauf der Kündigungsfristen sind damit rechtswirksam nach der gesetzlichen Sperrfrist möglich.

Im Anschluss kündigte der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer fristgerecht zum 31. Juli 2009. Hiergegen hat der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erhoben.

Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben die Klage abgewiesen.

Die Entscheidung:

Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Kündigung für unwirksam erklärt und der Revision stattgegeben.

I. Stellungnahme Betriebsrat

Der Arbeitgeber hat nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG der Agentur für Arbeit Entlassungen anzuzeigen und dieser Anzeige die schriftliche Stellungnahme des Betriebsrats „zu den Entlassungen“ beizufügen. Die Stellungnahme soll Auskunft darüber geben, ob und welche Möglichkeiten der Betriebsrat sieht, die angezeigten Kündigungen zu vermeiden und belegen, dass soziale Maßnahmen mit ihm beraten und ggf. getroffen worden sind. Das Erfordernis, eine Stellungnahme beizufügen, soll auch verhindern, dass der Arbeitgeber eine vom Betriebsrat für möglich gehaltene Alternative gegenüber der Agentur für Arbeit verschweigt, um eine für ihn günstige Entscheidung der Behörde zu erwirken. Es bedarf einer ausdrücklichen abschließenden Erklärung die erkennen lässt, dass sich der Betriebsrat mit den angezeigten Kündigungen befasst hat.

Hinweis für die Praxis:

Die Stellungnahme muss nicht zwingend in einem eigenständigen Schriftstück niedergelegt sein. Falls zwischen den Betriebsparteien im Zusammenhang mit den beabsichtigten Kündigungen ein Interessenausgleich nach §§ 111, 112 BetrVG zu Stande gekommen ist, kann die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG in diesen integriert werden. Eine weitere Ausnahme sieht § 17 Abs. 3 S. 3 KSchG vor. Danach ist die Massenentlassungsanzeige auch dann wirksam, wenn zwar eine Stellungnahme des Betriebsrats nicht vorliegt, der Arbeitgeber aber glaubhaft macht, dass er diesen mindestens zwei Wochen vor Erstattung der Anzeige unterrichtet hat, und er gleichzeitig den Stand der Beratungen darlegt.

II. Besonderheit Interessenausgleich mit Namensliste

Eine weitere Ausnahme sieht § 1 Abs. 5 S. 4 KSchG vor. Danach ersetzt der Interessenausgleich mit Namensliste die Stellungnahme des Betriebsrats nach § 17 Abs. 3 S. 2 KSchG. Diese Regelung gilt aber nur für den Interessenausgleich mit Namensliste, eine entsprechende Regelung fehlt hingegen für den Interessenausgleich ohneNamensliste. § 1 Abs. 5 S. 4 KSchG ist auf diesen Fall auch nicht entsprechend anwendbar.

III. Stellungnahme des Betriebsrats Wirksamkeitsvoraussetzung!

Das Bundesarbeitsgericht hat nun sehr ausführlich dargelegt, dass sich aus Wortlaut und Systematik der Bestimmungen ergibt, dass die Beifügung der Stellungnahme – ersatzweise das Vorbringen des Arbeitgebers nach § 17 Abs. 3 S. 3 KSchGWirksamkeitsvoraussetzungfür die Massenentlassungsanzeige ist. Kommt der Arbeitgeber seinen Verpflichtungen nicht nach, ist die Massenentlassungsanzeige in jedem Fall unwirksam.

Hinweis für die Praxis:

Hinweise auf den Abschluss eines Sozialplans genügen nicht. Solche Hinweise besagen gerade nichts über die Durchführung des vorgesehenen Konsultationsverfahrens.

IV. Bindungswirkung Bescheid der Agentur für Arbeit?

Die Prüfung zur Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige ist auch nicht dann entbehrlich, wenn ein wirksamer Bescheid der Agentur für Arbeit – wie hier – vorliegt. Das Bundesarbeitsgericht hat dazu klargestellt, dass sich die Bindungswirkung des Bescheides nur auf den eigentlichen Inhalt, d.h. die Festsetzung der Dauer der Sperrfrist, bezieht, nicht aber auf die Wirksamkeit der Massenentlassungsanzeige selbst. Insoweit entfaltet der Bescheid also weder gegenüber dem Arbeitnehmer noch gegenüber den Gerichten für Arbeitssachen materielle Bestandskraft und mag deshalb mögliche Fehler der Massenentlassungsanzeige auch nicht zu heilen.

V. Unwirksamkeit der Kündigung

Das Fehlen einer wirksamen Massenentlassungsanzeige führt damit in jedem Fall zur Unwirksamkeit der Kündigung. Zwar sehen die §§ 17, 18 KSchG insoweit keine ausdrückliche Regelung über die Rechtsfolge des Fehlens oder der Fehlerhaftigkeit einer Anzeige bei Ausspruch der Kündigung vor. Nach Auffassung des Zweiten Senats liegt aber bei unwirksamer Anzeige ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot im Sinne von § 134 BGB vor. Die Erklärung der Kündigung verstößt gegen dieses gesetzliche Verbot. Damit ist die Kündigung unwirksam. Eine Heilung ist nicht mehr möglich.

Fazit:

Im Rahmen der Verhandlungen über einen Interessenausgleich und Sozialplan können die notwendigen Erklärungen nach §§ 17 ff. KSchG von dem zuständigen Betriebsratsgremium ebenfalls abgegeben und erklärt werden. Arbeitgeber und ihre Berater müssen aber sehr streng darauf achten, welche Erklärungen hier aufgenommen werden und was der Betriebsrat erklärt. Die bloßen Beratungen über ein Interessenausgleich und Sozialplan ersetzen nicht die notwendige Stellungnahme nach § 17 Abs. 3 S. 1 KSchG. Fehlt es an dieser Stellungnahme, selbst wenn zwischen den Betriebspartnern alles im Einzelnen erörtert wurde, sind die später ausgesprochenen Kündigungen unheilbar unwirksam!

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