Das Bundesarbeitsgericht hat seine bisherige Rechtsprechung, wonach Leiharbeitnehmer bei der Berechnung der Betriebsratsgröße gem. § 9 BetrVG nicht zu berücksichtigen sind, nunmehr in vollem Umfange aufgegeben (BAG, Beschluss v. 13.03.2013 – 7 ABR 69/11). Die Entscheidung liegt auf der schon seit einiger Zeit eingeschlagenen Linie des Bundesarbeitsgerichts, Leiharbeitnehmern im Einsatzbetrieb mehr Rechte zuzugestehen. Erst kürzlich hat das Bundesarbeitsgericht die sogenannte „Zwei-Komponenten-Lehre“ aufgegeben. Das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zum Betriebsinhaber ist damit keine normale Voraussetzung mehr für den betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff (BAG, Beschluss v. 05.12.2012 – 7 ABR 48/11). Die Entscheidung und ihre praxisrelevanten Auswirkungen möchten wir nachfolgend darstellen.
Der Fall:
In dem Rechtsstreit streiten die Beteiligten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl. Kern der Auseinandersetzung ist die Frage, ob die im Betrieb beschäftigten Leiharbeitnehmer bei Anwendung der Schwellenwerte gem. § 9 S. 1 BetrVG mitzuzählen sind.
Bei Erlass des Wahlausschreibens waren in dem Betrieb regelmäßig 879 Stammarbeitnehmer und 292 Leiharbeitnehmer beschäftigt. Der Wahlvorstand hatte zunächst unter Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer die Wahl eines 15-köpfigen Betriebsrats ausgeschrieben. In einem einstweiligen Verfügungsverfahren wurde ihm vom Arbeitsgericht aufgegeben, das Wahlverfahren abzubrechen und die Wahl eines 13-köpfigen Betriebsrats – ohne Berücksichtigung der Leiharbeitnehmer – auszuschreiben. Dem kam der Wahlvorstand nach.
Nach Bekanntgabe des Wahlergebnisses wurde die Wahl fristgerecht von 14 Arbeitnehmern und dem Betriebsrat mit der Begründung angefochten, die Leiharbeitnehmer hätten mitgezählt werden müssen.
Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht haben den Wahlanfechtungsantrag abgewiesen.
Die Entscheidung:
Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat das Bundesarbeitsgericht dem Wahlanfechtungsantrag stattgegeben.
I. Rechtsbindung des einstweiligen Verfügungsverfahrens
Das Bundesarbeitsgericht hat zunächst klargestellt, dass die Entscheidung des Arbeitsgerichts im einstweiligen Verfügungsverfahren keine Bindungswirkung für das Wahlanfechtungsverfahren hat. Die Streitgegenstände der Verfahren sind nicht identisch. In dem einstweiligen Verfügungsverfahren ging es um den Abbruch der eingeleiteten sowie die Einleitung einer erneuten Betriebsratswahl. Auch die Beteiligten der beiden Verfahren sind überwiegend nicht identisch. Das einstweilige Verfügungsverfahren entfaltet damit keine Bindungswirkung und auch keine sonstige präjudizielle Wirkung für das vorliegende Wahlanfechtungsverfahren.
II. Wirksame Wahlanfechtung
Eine Betriebsratswahl kann nach § 19 Abs. 1 BetrVG angefochten werden, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Die Regeln zur Betriebsratsgröße nach § 9 S. 1 BetrVG sind wesentliche Vorschriften des Wahlverfahrens. In Betrieben mit in der Regel 701 bis 1.000 Arbeitnehmern besteht der Betriebsrat aus 13 Mitgliedern, in Betrieben mit in der Regel 1.001 bis 1.500 Arbeitnehmern aus 15 Mitgliedern. Müssen Leiharbeitnehmer berücksichtigt werden, wurde durch die Wahl eines 13-köpfigen Betriebsrats hiergegen verstoßen, was vom Bundesarbeitsgericht bejaht wurde.
III. Berücksichtigung von Leiharbeitnehmern
Das Bundesarbeitsgericht hat nunmehr umfassend klargestellt, dass Leiharbeitnehmer bei den Schwellenwerten in § 9 BetrVG zu berücksichtigen sind. Die entgegenstehende ältere Rechtsprechung wird aufgegeben! Aufgegeben wird insbesondere auch die zum betriebsverfassungsrechtlichen Arbeitnehmerbegriff entwickelte sogenannte „Zwei-Komponenten-Lehre“. Danach gehört zu den konstitutiven Merkmalen der Betriebszugehörigkeit einerseits ein Arbeitsverhältnis zum Betriebsinhaber, andererseits die tatsächliche Eingliederung in dessen Betriebsorganisation. Fälle des drittbezogenen Personaleinsatzes und auch der Einsatz von Leiharbeitnehmern werden aber von dieser Lehre nicht mehr hinreichend erfasst, so dass Bundesarbeitsgericht. Es bedarf daher nach Auffassung des 7. Senats einer differenzierten Beurteilung. Ausgehend von Sinn und Zweck der in § 9 BetrVG vorgesehenen Staffelung sind Leiharbeitnehmer mitzuzählen. Die Größe des Betriebsrats soll auch den Tätigkeitsaufwand des Betriebsrats widerspiegeln. Je mehr Arbeit im Betriebsrat anfällt, desto mehr Mitglieder soll er haben. Die Zunahme an Betriebsratsaufgaben, die mit der Beschäftigung von Leiharbeitnehmern verbunden ist, ist nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts nunmehr so erheblich, dass ihr durch eine entsprechende Betriebsratsgröße Rechnung zu tragen ist. Dies betrifft die Mitbestimmung in sozialen Angelegenheiten nach § 87 BetrVG, die Beteiligung des Betriebsrats bei Einstellungen und Versetzungen nach § 99 BetrVG und auch weitere Rechte der Leiharbeitnehmer nach § 14 Abs. 2 AÜG. Die bei Leiharbeitnehmern typischerweise häufigere Fluktuation ist für den Betriebsrat hiernach im Bereich der personellen Mitbestimmung sogar eher mit Mehrarbeit verbunden als bei der Stammbelegschaft.
Fazit:
Leiharbeitnehmer sind nunmehr bei der Betriebsratsgröße zu berücksichtigen. Im vorliegenden Fall war daher die Wahl eines 13-köpfigen Betriebsrats unwirksam und es hätte vielmehr ein 15-köpfiger Betriebsrat gewählt werden müssen. Der Wahlanfechtungsantrag war damit erfolgreich und die Betriebsratswahl unwirksam. In dem Betrieb muss nun ein neuer Betriebsrat gewählt werden.
Die Entscheidung hat für die Praxis weitreichende Bedeutung. Die nächsten turnusmäßigen Betriebsratswahlen finden im Frühjahr 2014 für alle Betriebe in Deutschland statt, § 13 BetrVG. Soweit Wahlvorstände dann Leiharbeitnehmer im Wahlausschreiben und bei der Betriebsratsgröße einbeziehen, ist dies nunmehr grundsätzlich zulässig. Man wird sich für die Zukunft darauf einstellen müssen, dass Leiharbeitnehmer prinzipiell bei den Schwellenwerten des BetrVG zu berücksichtigen sind.
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