25.02.2003 -

Kommt es zu einem Betriebsübergang und damit zu einem Betriebsinhaberwechsel versuchen Betriebserwerber und Betriebsveräußerer regelmäßig, die Arbeitsverhältnisse der betroffenen Arbeitnehmer durch den Abschluss veränderter Verträge auf eine neue Grundlage zu stellen. Für die Arbeitnehmer stellt sich in diesen Fällen die Frage, ob die erworbenen Besitzstände bei Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages erhalten bleiben oder ob diese Ansprüche insgesamt verloren gehen.

 

In einem aktuellen Urteil hat das BAG nunmehr klargestellt, dass der Abschluss eines neuen Arbeitsvertrages, selbst bei kurzzeitiger Unterbrechung, die erworbenen Besitzstände nicht beeinträchtigt und insbesondere die beim Betriebsveräußerer erbrachten Beschäftigungszeiten bei der Berechnung der Wartezeit nach § 1 KSchG zu berücksichtigen sind (Bundesarbeitsgericht, Urt. v. 27. 6. 2002, – 7 AZR 270/01 -, zur Veröffentlichung vorgesehen).

 

Der Sachverhalt der Entscheidung:

Der klagende Arbeitnehmer war bei dem Betriebsveräußerer seit vielen Jahren als Brenner beschäftigt. Über das Vermögen seines Arbeitgebers wurde nun das Konkursverfahren eröffnet. Der Konkursverwalter kündigte sämtlichen Beschäftigten zum 12. März 1999.

 

Der Insolvenzverwalter führte nun mit potentiellen Erwerbern Kaufverhandlungen. Er teilte dann letztlich der Belegschaft mit, er habe einen Betriebserwerber gefunden, der einige Arbeitnehmer übernehmen werde. Mit diesem Erwerber wurde ein notarieller Kaufvertrag unter anderem über den Erwerb des Grundstücks mit Werksgebäude und Hofraum, über sämtliche Maschinen, das gesamte Anlagevermögen und die gesamte Betriebs- und Geschäftsausstattung abgeschlossen. Ferner trat der Erwerber in sämtliche Kundenverträge und Bestellungen ein, erhielt das vollständige technische Know-How, sämtliche Unterlagen einschließlich der technischen Unterlagen und Pläne, Angebote und Aufträge sowie Verträge und Geschäftskorrespondenz. Er führte auch den Firmennamen fort.

 

Der Insolvenzverwalter vereinbarte jedoch mit dem Erwerber, dass von den ca. 70 Beschäftigten lediglich 30 übernommen werden sollten, darunter auch der klagende Arbeitnehmer.

Das Arbeitsverhältnis des Klägers endete bei dem Betriebsveräußerer aufgrund der nicht angegriffenen Kündigung des Insolvenzverwalters am 12. März 1999. Der Betriebserwerber schloss mit dem Arbeitnehmer einen neuen Arbeitsvertrag in dem vereinbarte wurde, dass das Arbeitsverhältnis am 15. März 1999 beginnen sollte. Ferner vereinbarte man eine 6-monatige Probezeit. Der Betriebserwerber kündigte nun das Arbeitsverhältnis mit dem Arbeitnehmer noch innerhalb dieser vereinbarten Probezeit.

 

Mit seiner Klage hat sich der Kläger gegen die Kündigung gewandt und insbesondere vorgetragen, aufgrund seiner langjährigen Betriebszugehörigkeit bei dem Betriebsveräußerer sei das Kündigungsschutzgesetz anwendbar und die Probezeitvereinbarung unwirksam. Denn sein Arbeitsverhältnis sei im Rahmen eines Betriebsübergangs spätestens zum 12. März auf die Beklagte übergegangen.

 

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Arbeitgebers zurückgewiesen.

 

Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts:

Die Revision des Arbeitgebers ist ebenfalls zurückgewiesen worden.

 

I. Problemstellung

Das Kündigungsschutzgesetz findet auf Arbeitsverhältnisse Anwendung, die ohne Unterbrechung länger als 6 Monate bestanden haben, § 1 Abs. 1 Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Vorliegend endete das Arbeitsverhältnis mit dem Betriebsveräußerer aufgrund der nicht angegriffenen Kündigung des Insolvenzverwalters am 12. März und mit dem Betriebserwerber wurde ein neues Arbeitsverhältnis zum 15. März abgeschlossen.

 

Der Erwerber berief sich nun auf diese kurze Unterbrechung und machte geltend, durch den Neuabschluss des Arbeitsvertrages und der 3-tägigen Unterbrechung habe auch die 6-monatige Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG neu zu laufen begonnen. Für die Entscheidung des Falles kam es damit im Wesentlichen darauf an, ob der Arbeitnehmer durch die 3-tägige Unterbrechung und den Neuabschluss eines Arbeitsvertrages seinen bisherigen Kündigungsschutz verloren hatte.

II. Kurzzeitige Unterbrechungen irrelevant!

Das BAG hat nochmals seine bisherige Rechtsprechung bekräftigt. Wegen des sozialen Schutzzwecks des Kündigungsschutzgesetzes sind Zeiten eines früheren Arbeitsverhältnisses – mit demselben Arbeitgeber – auf die Wartezeit dann anzurechnen, wenn das neue Arbeitsverhältnis in einem engen sachlichen Zusammenhang mit dem früheren Arbeitsverhältnis steht. Ob ein enger sachlicher Zusammenhang gegeben ist, lässt sich dabei nicht anhand starrer zeitliche Grenzen festlegen. Maßgeblich sind vielmehr neben der Dauer und dem Anlass der Unterbrechung die Art der Weiterbeschäftigung.

 

Vorliegend fand eine tatsächliche Unterbrechung der Tätigkeit praktisch nicht statt. Der Arbeitnehmer hat vielmehr „nahtlos“ für den Produktionsbetrieb weitergearbeitet; nämlich zuletzt bis Freitag, den 12. März und wieder ab Montag, den 15. März. Zudem hatte sich der Betriebserwerber zur Übernahme mehrerer Arbeitnehmer, darunter der Kläger, verpflichtet. All diese Umstände sprachen deshalb im konkreten Fall für einen engen sachlichen Zusammenhang mit dem früheren Arbeitsverhältnis.

 

Die Vereinbarung einer neuen Probezeit war damit unwirksam. Der Arbeitnehmer hatte vielmehr die erforderliche Wartezeit bereits bei dem Betriebsveräußerer absolviert.

 

III. Schutz des Arbeitnehmers beim Betriebsübergang

Einer Anrechnung der früheren Beschäftigungszeiten stand auch nicht der Betriebsübergang entgegen.

 

Nach Ansicht des BAG spielt es keine Rolle, ob zwischenzeitlich der Inhaber des Betriebs gewechselt hat. Die Beschäftigungszeiten sind vielmehr zusammenzurechnen, wenn die Identität des Betriebs gewahrt ist. Die gesetzlichen Regelungen zu § 613 a BGB gewähren einen Inhaltsschutz und wollen insbesondere verhindern, dass eine Betriebsveräußerung zum Anlass eines Abbaus der erworbenen Besitzstände der Arbeitnehmer genommen wird.

 

Die zwingende Regelung des § 613 a BGB darf deshalb nicht durch eine Kündigung und eine nachfolgende Wiedereinstellung umgangen werden. Vielmehr hat der Betriebsübernehmer die Arbeitnehmer aufgrund des Betriebsübergangs so zu behandeln, als würden die arbeitsrechtlichen Beziehungen zum Betriebsveräußerer weiterhin bestehen. Dementsprechend sind bei einem Betriebsinhaberwechsel die Beschäftigungszeiten zusammenzurechnen.

 

Hinweis für die Praxis:

Die Kündigung des Arbeitnehmers war damit unwirksam. Es handelte sich tatsächlich nicht um eine Probezeitkündigung, sondern vielmehr um die Kündigung eines seit vielen Jahren beschäftigten Mitarbeiters, auf dessen Arbeitsverhältnis das Kündigungsschutzgesetz uneingeschränkt Anwendung fand.

 

Die Entscheidung macht einmal mehr deutlich, dass die Arbeitnehmer im Falle eines Betriebsübergangs umfassend geschützt sind. Selbst abweichende vertragliche Abreden sind letztlich wegen Verstoßes und/oder Umgehung der Schutzvorschrift des § 613 a BGB unwirksam. Selbst wenn also die betroffenen Arbeitnehmer neue Arbeitsverträge abschließen, können sie sich im Falle einer Kündigung dennoch auf ihren ursprünglichen Besitzstand uneingeschränkt berufen.

 

Leitsätze der Entscheidung

1. Bei einem Betriebsinhaberwechsel sind die beim Betriebsveräußerer erbrachten Beschäftigungszeiten bei der Berechnung der Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG für eine vom Betriebsübernehmer ausgesprochenen Kündigung zu berücksichtigen

 

2. Dies gilt auch dann, wenn zum Zeitpunkt des Betriebsübergangs das Arbeitsverhältnis kurzfristig unterbrochen war, die Arbeitsverhältnisses aber in einem engen sachlichen Zusammenhang stehen.

 

Verfasser: Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht Dr. Nicolai Besgen

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