Die Haftung des Geschäftsführers gemäß § 64 GmbHG ist ein scharfes Schwert. Zu den „klassischen“Aufgreifkriterien eines Insolvenzverwalters gehört neben der Prüfung der Einlageleistung der Gesellschafter eine mögliche Haftung der Geschäftsführer gemäß § 64 S. 1 GmbHG. Danach ist der Geschäftsführer der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die von der Gesellschaft nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet worden sind. Die Summen können selbst bei „kleineren“ Unternehmen erheblich sein. Einen typischen Fall zeigt eine aktuelle Entscheidung des BGH vom 19. November 2013 – II ZR 229/11.
Der Insolvenzverwalter über eine GmbH nahm die Geschäftsführerin auf Schadensersatz gemäß § 64 Abs. 2 GmbHG a.F. (nunmehr § 64 S. 1 GmbHG n.F.) in Höhe von 91.038,90 € in Anspruch. Der Insolvenzverwalter behauptete auf der Grundlage einer Handelsbilanz, dass die GmbH spätestens zum 31. Dezember 2007 überschuldet und zahlungsunfähig gewesen sei. Dessen ungeachtet habe die Geschäftsführerin der GmbH das Unternehmen weitergeführt und Zahlungen der GmbH in Höhe von 91.038,90 € veranlasst. Diesen Betrag verlangt der Insolvenzverwalter als Schadensersatz von der Geschäftsführerin zurück. Der Insolvenzverwalter begründet die Überschuldung mit der Handelsbilanz aus der sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag zum 31. Dezember 2007 in Höhe von 47.806,99 € ergab und behauptete, dass in den Vermögensgegenständen keine stillen Reserven ruhen, die diesen Fehlbetrag ausgleichen würden. Die beklagte Geschäftsführerin bestritt dies und behauptete stille Reserven bei dem Warenbestand (Kleidungsstücke) sowie der Ladeneinrichtung, die den in der Bilanz ausgewiesenen Fehlbetrag übersteigen würde.
Das Landgericht gab der Klage ohne Beweisaufnahme in Höhe von 88.842,09 € statt. Das Berufungsgericht hob die Entscheidung des Landgerichts auf und verwies den Rechtsstreit zur weiteren Beweisaufnahme an das Landgericht zurück. Gegen dieses Berufungsurteil richtete sich die Revision des Insolvenzverwalters.
Die Revision war aus prozessualen Gründen erfolgreich. Darauf muss an dieser Stelle nicht eingegangen werden. Wesentlich sind die „Hinweise“ des BGH für das weitere Berufungsverfahren beim OLG.
Das Oberlandesgericht hielt den Sachvortrag der Beklagten für ausreichend, dass in dem Warenbestand sowie in der Geschäftseinrichtung stille Reserven vorhanden gewesen seien, sodass eine Beweisaufnahme notwendig sei. Der BGH widersprach dem.
Grundsätzlich hat der Insolvenzverwalter in einem Verfahren gegen den Geschäftsführer darzulegen und zu beweisen, dass der Geschäftsführer nach Feststellung der Überschuldung oder der Zahlungsunfähigkeit Auszahlungen aus dem Vermögen der GmbH vorgenommen oder das Vermögen der GmbH sonst gemindert hat. Für diesen Vortrag ist es ausreichend, wenn der Insolvenzverwalter eine Handelsbilanz vorlegt, aus der sich ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag ergibt und zugleich substantiiert darlegt, dass in den einzelnen Bilanzpositionen keine stille Reserven enthalten sein können, die den handelsbilanziellen Fehlbetrag ausgleichen. Üblicherweise kommt dies bei Unternehmen vor, die nicht über Grundbesitz oder über sonstige Vermögensgegenstände mit „typischen“ stillen Reserven wie Maschinenparks verfügen. Genügt der Insolvenzverwalter seiner Darlegungslast, ist es Sache des Geschäftsführers, detailliert die Bilanzpositionen zu benennen, aus denen sich die stillen Reserven ergeben und dies glaubhaft zu machen. Der Sachvortrag der Beklagten genügte dem nicht.
Die Beklagte behauptete, dass die Geschäftseinrichtung mindestens stille Reserven in Höhe von 20.000,00 € enthielten. Der BGH hielt diesen Vortrag für wenig glaubhaft, da die Geschäftseinrichtung „unter Verantwortung der Beklagten“ letztlich für 500,00 € (!) veräußert worden ist. In Anbetracht dieser späteren Kenntnis hätte es der Beklagten oblegen, für den früheren Zeitpunkt detailliert darzulegen, weshalb sie von einem um 19.500,00 € höheren Wert ausgeht. Als weitere Bilanzpositionen behauptete die Beklagte einen Warenwert – Kleidungsstücke – in Höhe von 38.816,44 € bei einem Einkaufswert von 34.026,30 €. Die Differenz zwischen Einkaufswert und Verkaufswert der Waren lag demnach letztlich bei nur 4.790,44 € und machte damit noch nicht einmal 10 % des Fehlbetrages aus. An anderer Stelle hat offenbar die Beklagte behauptet, dass der tatsächliche Warenwert bei 83.346,00 € gelegen haben soll. Sollte – so der BGH – das OLG diesen Sachvortrag für die Behauptung stiller Reserven zugrunde gelegt haben, hätte das OLG diesen Sachvortrag auf Plausibilität prüfen müssen. Es sei bei einer Boutique – dem Unternehmen der insolventen GmbH – unüblich, dass Waren zu 145 % des Einkaufspreises verkauft werden. Insgesamt war der Vortrag der Beklagten nicht ausreichend, um den schlüssigen Sachvortrag des Insolvenzverwalters auf der Grundlage der Handelsbilanz sowie der einzelnen Bilanzpositionen „streitig“ zu stellen. Sollte die Beklagte in dem Berufungsverfahren ihren Sachvortrag nicht präzisieren können, sei das landgerichtliche Urteil zu bestätigen.
Fazit: Der Fall ist geradezu lehrbuchhaft. Bei „kleineren“ Unternehmen beschränken sich erfahrungsgemäß Insolvenzverwalter darauf, den nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in der Handelsbilanz für die Überschuldung zugrunde zu legen und darzulegen, dass in den einzelnen Bilanzpositionen keine stillen Reserven ruhen und auch sonst keine weiteren stillen Reserven – insbesondere der Goodwill – ersichtlich sei. Da Kenntnis der Überschuldung zu unterstellen ist, wenn die Gesellschaft schon seit längerem mit negativem Eigenkapital wirtschaftet (wie im Besprechungsfall), verlangen Insolvenzverwalter sämtliche Zahlungen der GmbH seit dem letzten Bilanzstichtag zurück. Wenn der Geschäftsführer dann noch nicht einmal Gesellschafter der GmbH ist, wird dies besonders misslich, da der Geschäftsführer für Verbindlichkeiten einer letztlich „fremden“ GmbH einstehen muss.
Den Geschäftsführern kann nur geraten werden, frühzeitig Insolvenzantrag zu stellen. Die häufig anzutreffende „Selbsttäuschung“, dass in dem Unternehmen erhebliche stille Reserven ruhen, die den „nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag“ übersteigen, führt – wie in dem Besprechungsfall – zur Haftung in erheblicher Höhe. Geschäftsführer sollten daher im eigenen Interesse die Bilanzpositionen kritisch durchgehen und sich fragen, für welche Bilanzpositionen sie als Geschäftsgegner einen höheren Betrag als den ausgewiesenen Buchwert bezahlen würden. Fallen bei diesem „Eigentest“ keine erheblichen stillen Reserven auf, sollte Insolvenzantrag gestellt werden.
In Gerichtsverfahren wiederum ist darauf zu achten, dass nicht nur schlicht in „irgendwelchen“ Bilanzpositionen „irgendwelche“ stille Reserven behauptet werden, sondern dass diese stillen Reserven plausibel begründet werden können. Hierbei sind Handelsgewohnheiten – Verkaufsmargen in bestimmten Märkten – sowie auch nachfolgende Erkenntnisse – tatsächliche Veräußerungs- oder Zerschlagungserlöse – mit zu berücksichtigen. Ein erkennbarer Widerspruch, wie in der Entscheidung des BGH, zwischen angeblichen stillen Reserven und einem danach erzielten Veräußerungserlös in Höhe von noch 2,5 % (!) der angeblichen stillen Reserven, sollte vermieden werden.
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