09.03.2014 -

Die vollständige Stilllegung eines Betriebes rechtfertigt die betriebsbedingte Kündigung aller Mitarbeiter. Immer wieder kommt es aber zu Konstellationen, in denen ein Stilllegungsbeschluss abgeändert wird oder aber tatsächlich ein Betriebsübergang zu Stande kommt. Hier kommt es maßgeblich auf die zeitliche Abfolge bei der Prüfung an. Das Bundesarbeitsgericht hat in einem aktuellen Urteil hierzu nochmals die wesentlichen Abgrenzungskriterien aufgezeigt (BAG, Urteil v. 14.03.2013 – 8 AZR 154/12).

Der Fall (verkürzt):

Der klagende Arbeitnehmer war seit 1. April 1999 bei dem beklagten Arbeitgeber als Disponent beschäftigt. Der Arbeitgeber betrieb ein Speditions- und Transportgewerbe. Der Hauptsitz befindet sich in R., daneben unterhielt er Standorte in weiteren Städten.

Am 6. Dezember 2010 fand eine Gesellschafterversammlung statt. Ausweislich des Protokolls hat die Gesellschafterversammlung u.a. beschlossen:

„Die Gesellschafterversammlung beschließt die Stilllegung und Beendigung des Geschäftsbetriebes der B-GmbH zum 31. Dezember 2010 an sämtlichen Standorten.

Soweit bis zur Beendigung noch bestehender Kundenverträge eine Abwicklung über den 31.12.2013 hinaus notwendig sein sollte, ist dem im Rahmen der Erfüllung der vertraglichen Verpflichtung Rechnung zu tragen.

Die Geschäftsführung wird mit der Durchführung aller hierzu erforderlichen Maßnahmen beauftragt. Dies umfasst insbesondere die vorzeitige Beendigung von Kundenverträgen zu vertretbaren wirtschaftlichen Konditionen sowie die Beendigung der Arbeitsverhältnisse mit allen Mitarbeitern.“

Nach dem Gesellschafterbeschluss kam es zu einem Teilbetriebsübergang aufgrund einer Vereinbarung vom 15. Dezember 2010 mit Wirkung zum 24. Dezember 2010.

Die Massenentlassungsanzeige an die Agentur für Arbeit datierte vom 20. Dezember 2010. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2010, zugegangen am 30. Dezember 2010, kündigte der Arbeitgeber dann wegen der Einstellung des Betriebes allen Mitarbeitern zum ordentlichen Kündigungszeitpunkt.

Gegen die Kündigung hat der hier klagende Arbeitnehmer fristgerecht Kündigungsschutzklage erhoben.

Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Die Berufung des Arbeitgebers blieb beim Landesarbeitsgericht ohne Erfolg.

Die Entscheidung:

Das Bundearbeitsgericht hat im Revisionsverfahren die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und das Verfahren zur weiteren Aufklärung und Verhandlung an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.

I. Ausgangslage

Das Landesarbeitsgericht hat seine Entscheidung vor allem darauf gestützt, dass der Stilllegungsbeschluss der Gesellschafter vom 6. Dezember 2010 nicht umgesetzt wurde. Die nach dem Beschluss vom 6. Dezember 2010 geplanten Maßnahmen seien nicht erfolgt. Vielmehr habe der Arbeitgeber seine Absicht, den Betrieb stillzulegen, vor Zugang der Kündigung geändert. Es sei noch zu einem Teilbetriebsübergang gekommen. Es sei etwas anderes, wenn beschlossen werde, einen Betrieb insgesamt stillzulegen, als wenn nur ein Teil des Betriebes auf einen Erwerber übertragen und der verbleibende Restbetrieb stillgelegt werden solle. In diesem letzteren Falle sei dann auch eine Sozialauswahldurchzuführen. Es fehle damit im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung an einem ernsthaften Stilllegungswillen.

II. Stilllegung rechtfertigt betriebsbedingte Kündigung

Die Stilllegung des gesamten Betriebs oder eines Betriebsteils durch den Arbeitgeber gehört zu den dringenden betrieblichen Erfordernissen im Sinne von § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG, die einen Grund zur sozialen Rechtfertigung einer Kündigung abgeben können. Unter Betriebsstilllegung ist die Auflösung der zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Betriebs- und Produktionsgemeinschaft zu verstehen, die ihre Veranlassung und ihren unmittelbaren Ausdruck darin findet, dass der Unternehmer die bisherige wirtschaftliche Betätigung in der ernstlichen Absicht einstellt, die Verfolgung des bisherigen Betriebszwecks dauernd oder für eine ihrer Dauer nach unbestimmte, wirtschaftlich nicht unerhebliche Zeitspanne nicht weiter zu verfolgen.

III. Greifbare Formen erforderlich

Die beabsichtigte Stilllegung muss nach der Rechtsprechung „greifbare Formen“ angenommen haben. Diese greifbaren Formen werden z.B. dann bejaht, wenn sämtliche Arbeitsverhältnisse gekündigt werden, eine Massenentlassungsanzeige bei der Agentur für Arbeit abgegeben wird und auch etwaige Miet- oder Pachtverträge zum nächstmöglichen Zeitpunkt auflöst bzw. kündigt, Betriebsmittel veräußert und die Betriebstätigkeit vollständig einstellt.

Hinweis für die Praxis:

Für die Stilllegung von Betriebsteilen gilt dies, begrenzt auf die entsprechende Einheit, entsprechend.

IV. Wirksamer Gesellschafterbeschluss nicht erforderlich

Für die Beurteilung der Wirksamkeit einer Kündigung ist bei einer Betriebsstilllegung erforderlich, welche unternehmerische Entscheidung im Zeitpunkt der Kündigung getroffen worden war. Das Bundesarbeitsgericht hat hierzu klargestellt, dass die unternehmerische Entscheidung zur Stilllegung des Betriebs einer GmbH keinen wirksamen Gesellschafterbeschluss voraussetzt. Gibt es einen Gesellschafterbeschluss, ändern sich dann die tatsächlichen Verhältnisse und wird erst dann gekündigt, sind die Umstände zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung maßgeblich. Kündigungsrechtlich braucht es dann nicht eines nochmaligen, den veränderten oder sich verändernden Umständen entsprechenden Beschlusses der Gesellschafter.

Mit anderen Worten: Es kommt allein auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung an. Frühere Überlegungen sind grundsätzlich nicht erheblich.

V. Betriebsveräußerung und Betriebsstilllegung schließen sich aus

Eine vom Arbeitgeber mit einer Stilllegungsabsicht begründete Kündigung ist nur dann sozial gerechtfertigt, wenn sich die geplante Maßnahme objektiv als Betriebsstilllegung und nicht als Betriebsveräußerung darstellt, weil etwa die für die Fortführung des Betriebs wesentlichen Gegenstände einem Dritten überlassen werden sollten, der Veräußerer diesen Vorgang aber rechtlich unzutreffend als Betriebsstilllegung wertet. An einer Stilllegung des Betriebs fehlt es nicht nur dann, wenn der gesamte Betrieb veräußert wird, sondern auch, wenn organisatorisch abtrennbare Teile des Betriebs im Wege eines Betriebsteilübergangs veräußert werden. Darin liegt keine Betriebsstilllegung, sondern allenfalls eine Betriebsteilstilllegung. Wird ein Betriebsteil veräußert und der verbleibende Restbetrieb stillgelegt, kommt es darauf an, ob der gekündigte Arbeitnehmer dem auf einen Erwerber übergehenden Betriebsteil zugeordnet war. Ist dies nicht der Fall, so kann die Stilllegung des Restbetriebs einen betriebsbedingten Kündigungsgrund darstellen, wenn die Arbeitnehmer diesem Betriebsteil zugeordnet waren.

Hinweis für die Praxis:

Bei einer Betriebsteilstilllegung ist besondere Sorgfalt auf die Sozialauswahl zu legen. Die Sozialauswahl ist stets betriebsbezogen durchzuführen. Sie ist nicht auf Betriebsteile oder Betriebsabteilungen beschränkt. Bei einer betriebsbedingten Kündigung eines Arbeitnehmers des stillzulegenden Betriebsteils sind bei der Sozialauswahl auch diejenigen vergleichbaren Arbeitnehmer zu berücksichtigen, die zur Zeit der Kündigung dem später zu übertragenden Betriebsteil angehören. Das Kündigungsverbot in § 613a Abs. 4 BGB schließt die Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer in dem stillzulegenden und dem später übergehenden Betriebsteil nicht aus. Die Vorschriften der §§ 613a Abs. 4 BGB und § 1 Abs. 3 KSchG stehen daher gleichwertig nebeneinander.

Fazit:

Betriebsbedingte Kündigungen wegen einer Betriebsstilllegung sind nur dann wirksam, wenn der Betrieb auch tatsächlich mit „greifbaren Formen“ stillgelegt wird. Kommt es tatsächlich zu einer Betriebsveräußerung bzw. Teilveräußerung, kann dies die Wirksamkeit der Kündigung nach § 613a Abs. 4 BGB ausschließen. Zudem ist dann eine übergreifende Sozialauswahl durchzuführen, die bei einer reinen Betriebsstilllegung nicht erforderlich ist. Maßgeblich sind stets die objektiven Umstände zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung. Zu diesem Zeitpunkt müssen alle Voraussetzungen vorliegen und sehr sorgfältig geprüft worden sein.

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