25.03.2014 -

In größeren Betrieben ist eine gewisse Anzahl von Betriebsratsmitgliedern vollständig nach § 38 BetrVG von der beruflichen Tätigkeit freizustellen. Sie müssen damit keine Arbeitsleistung entsprechend ihrem Arbeitsvertrag, aber natürlich während ihrer Arbeitszeit Betriebsratstätigkeit erbringen. Wie verhält es sich aber mit der Teilnahme an Zeiterfassungssystemen? Das Bundesarbeitsgericht hat in einem aktuellen Beschluss klargestellt, dass die vollständige Freistellung von der Arbeitsleistung den Arbeitgeber nicht berechtigt, das freigestellte Betriebsratsmitglied von der Teilnahme an einem solchen Arbeitszeiterfassungssystem auszunehmen (BAG, Beschluss v. 10.07.2013 – 7 ABR 22/12).

Der Fall:

Der antragstellende Betriebsrat ist der 17-köpfige Betriebsrat einer Luftfahrtgesellschaft am Standort München. Es besteht u.a. das elektronische Zeiterfassungssystem TARIS. Grundlage ist die Betriebsvereinbarung TARIS.

Die Beteiligten streiten nun darüber, ob die vollständig von ihrer beruflichen Tätigkeit freigestellten vier Betriebsratsmitglieder ihre Betriebsratsanwesenheitszeiten elektronisch nach der Betriebsvereinbarung TARIS erfassen dürfen.

Hierzu hat der Betriebsrat in einer regulären Sitzung beschlossen, dass alle freigestellten Betriebsratsmitglieder ab Beginn der neuen Amtsperiode an dem TARIS-Zeitdatenerfassungssystem teilnehmen sollen. Der Arbeitgeber teilte hingegen in der Folgezeit den vier freigestellten Betriebsratsmitgliedern mit, er verzichte während der beruflichen Freistellung auf die Arbeitszeiterfassung nach TARIS.

Hiergegen hat sich der Betriebsrat im Wege eines Feststellungsantrages und Beschlussverfahrens vor dem Arbeitsgericht zur Wehr gesetzt und beantragt, dass der Arbeitgeber verpflichtet wird, dass die vier Betriebsratsmitglieder an dem Zeiterfassungssystem teilnehmen.

In der 1. Instanz hat das Arbeitsgericht den Antrag abgewiesen. Im Beschwerdeverfahren hat das Landesarbeitsgericht ihm hingegen stattgegeben.

Die Entscheidung:

Im Rechtsbeschwerdeverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts bestätigt. Der Arbeitgeber ist verpflichtet, die vier Betriebsratsmitglieder an der Betriebsvereinbarung TARIS teilnehmen zu lassen.

I. Antragsbefugnis des Betriebsrats

Zunächst war zu klären, ob der Betriebsrat hier überhaupt antragsbefugt war. Dem Betriebsrat fehlt nämlich die Antragsbefugnis in der Regel, wenn er ausschließlich Rechte der Arbeitnehmer reklamiert. Verlangt der Betriebsrat jedoch die Durchführung einer Betriebsvereinbarung, wie hier, geht es nicht ausschließlich um Rechte der Arbeitnehmer, sondern um seine eigene betriebsverfassungsrechtliche Rechtsposition im Verhältnis zum Arbeitgeber, nämlich den Anspruch auf Durchführung der Betriebsvereinbarung.

II. Vollständige Freistellung nach § 38 BetrVG

Betriebsratstätigkeit ist ehrenamtlich, § 37 Abs. 1 BetrVG. Mitglieder des Betriebsrats sind von ihrer beruflichen Tätigkeit ohne Minderung des Arbeitsentgelts zu befreien, wenn und soweit es nach Umfang und Art des Betriebs zur ordnungsgemäßen Durchführung ihrer Aufgaben erforderlich ist (§ 37 Abs. 2 BetrVG).

Nach § 38 Abs. 1 BetrVG sind im dort genannten Umfange Betriebsratsmitglieder von ihrer beruflichen Tätigkeit vollständig freizustellen. Zweck dieser Vorschrift ist es, Streitigkeiten zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über den Umfang der notwendigen Arbeitsbefreiung zu vermeiden. Das Gesetz geht dabei davon aus, dass bei einer bestimmten Betriebsgröße die in § 38 BetrVG festgelegte Mindestzahl von Freistellungen erforderlich ist, damit die Betriebsratstätigkeit ordnungsgemäß durchgeführt werden kann. Im Übrigen enthält aber § 37 Abs. 2 BetrVG die Grundregel für die Entgeltfortzahlung, nach der sowohl freigestellte wie auch nicht freigestellte Betriebsratsmitglieder zu behandeln sind.

Hinweis für die Praxis:

Die generelle Freistellung von der beruflichen Tätigkeit gem. § 38 Abs. 1 BetrVG hat denselben Zweck wie die zeitweilige Arbeitsbefreiung nach § 37 Abs. 2 BetrVG. Beide Freistellungen sollen ausschließlich die sachgerechte Wahrnehmung der dem Betriebsrat obliegenden Aufgaben sicherstellen.

III. Keine Verpflichtung zur Arbeitsleistung, aber zur Betriebsratstätigkeit

Für die Dauer der Freistellung besteht daher keine Verpflichtung zur Arbeitsleistung. Anstelle der Arbeitspflicht tritt jedoch die Verpflichtung des Betriebsratsmitglieds während seiner arbeitsvertraglichen Arbeitszeit im Betrieb am Sitz des Betriebsrats, dem er angehört, anwesend zu sein und sich dort für anfallende Betriebsratsarbeit bereitzuhalten. Das ist gesetzliche Rechtsfolge der Freistellung. Soweit ein Betriebsratsmitglied nicht in diesem Sinne im Umfange seiner Arbeitszeit Betriebsratstätigkeit erbringt, kann dies zu Abzügen vom Arbeitsentgelt führen, weil die Freistellung nicht für Betriebsratstätigkeit genutzt wurde und deshalb der Anspruch auf Leistung von Arbeitsentgelt ohne berufliche Arbeitsleistung entfällt.

Hinweis für die Praxis:

Es gibt daher keinen Grund, von der beruflichen Tätigkeit freigestellte Betriebsratsmitglieder von einem Zeiterfassungssystem auszunehmen. Sie haben ebenso wie Arbeitnehmer, die beruflich tätig sind, ein Interesse daran, ihre Anwesenheit im Betrieb zu dokumentieren.

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