Die Straf- und/oder Untersuchungshaft eines Mitarbeiters kann zur personenbedingten Kündigung führen. Die Anforderungen sind hier aber sehr hoch und von vorschnellen Kündigungen kann daher nur abgeraten werden. Dies verdeutlicht eine aktuelle Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil v. 23.05.2013 – 2 AZR 120/12, zur Veröffentlichung vorgesehen). Wir möchten die Entscheidung zum Anlass nehmen, die wesentlichen Grundsätze nochmals zusammengefasst für die Praxis darzustellen.
Der Fall:
Der beklagte Arbeitgeber produziert Automobile. Der klagende Arbeitnehmer war dort bereits seit 1997 als Fahrzeugpolsterer beschäftigt. Es besteht ein Betriebsrat.
In der Zeit vom 12. März bis zum 10. April 2008 befand sich der Arbeitnehmer wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz in Untersuchungshaft. Am 23. September 2008 wurde er zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Strafe wurde jedoch zur Bewährung ausgesetzt.
Zwei Jahre später wurde der Kläger am 17. September 2010 erneut vorläufig festgenommen. Im Anschluss daran befand er sich in Untersuchungshaft. Die Ehefrau teilte dies am 20. September 2010 dem Arbeitgeber mit. Grund für die Verhaftung war, dass der Kläger zusammen mit einer weiteren Person eine „Haschisch-Plantage“ betrieb. Dort hatte die Polizei 18 kg Cannabis-Pflanzen gefunden.
In den Folgetagen versuchte der Arbeitgeber erfolglos, mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers Kontakt aufzunehmen. Mit Schreiben vom 24. September 2010 forderte der Arbeitgeber den Kläger auf, zum Sachstand Stellung zu nehmen. Am 27. September 2010 erhielt der Arbeitgeber Kenntnis von einem Zeitungsartikel, aus welchem sich u.a. die gefundene Cannabismenge von 18 kg ergab. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers teilte am 1. Oktober 2010 mit, er könne sich zu einem Haftprüfungstermin, einem Termin zur Hauptverhandlung und einem zu erwartenden Strafmaß frühestens nach Akteneinsicht äußern. Über eine Haftverschonung werde noch verhandelt. Weiter teilte er mit, dass ein Ende der Inhaftierung nicht absehbar sei und sich eine etwaige weitere Verurteilung aller Voraussicht nach negativ auf die Aussetzung der ersten Haftstrafe zur Bewährung auswirkt.
Der Arbeitgeber hörte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung zum 30. Juni 2011 an und kündigte das Arbeitsverhältnis im Anschluss fristlos, hilfsweise ordentlich.
Das Amtsgericht verhängte gegen den Kläger mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 17. Februar 2011 eine Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen gemeinschaftlichen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.
Im Anschluss entschied sich der Kläger zu einer Drogentherapie gem. § 35 BtMG. Die Staatsanwaltschaft entschied sich dann mit Zustimmung des Gerichts, die weitere Vollstreckung der Freiheitsstrafe auszusetzen.
Der Kläger hat im Kündigungsschutzverfahren die Auffassung vertreten, sein haftbedingtes Fehlen sei kein Kündigungsgrund. Bei einer Zurückstellung der Freiheitstrafe aus dem Urteil vom 17. Februar 2011 sei damit zu rechnen gewesen, dass er spätestens im Jahre 2012 seiner Arbeitsverpflichtung wieder würde nachkommen können.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Im Berufungsverfahren hat das Landesarbeitsgericht klargestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die außerordentliche Kündigung aufgelöst worden ist. Hingegen hat es die ordentliche Kündigung als wirksam angesehen.
Die Entscheidung:
Im Revisionsverfahren hat das Bundesarbeitsgericht die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Zeitpunkt des Ablaufs der ordentlichen Kündigungsfrist bestätigt.
I. Haft als (personenbedingter) Kündigungsgrund
Als Kündigungsgrund in der Person des Arbeitnehmers gem. § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG kommen Umstände in Betracht, die auf einer in dessen persönlichen Verhältnissen oder Eigenschaften liegenden „Störquelle“ beruhen. Zu diesen zählt eine Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers, die auf einer Straf- oder Untersuchungshaft beruht. Deren Qualifizierung als Grund in der Person des Arbeitnehmers lässt es zu, auf eine mögliche Resozialisierung des straffällig gewordenen Arbeitnehmers Bedacht zu nehmen. Nicht jede Freiheitsstrafe kann ohne Rücksicht auf ihre Dauer und ihre Auswirkungen zum Verlust des Arbeitsplatzes führen.
II. Voraussetzungen einer haftbedingten Kündigung
1. Objektive Verhältnisse
Voraussetzung einer Kündigung wegen haftbedingter Arbeitsverhinderung ist, dass der Arbeitnehmer aller Voraussicht nach für eine verhältnismäßig erhebliche Zeit nicht in der Lage sein wird, seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen. Maßgebend für die vom Arbeitgeber insoweit anzustellende Prognose sind die objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung. Die tatsächliche Entwicklung nach Kündigungsausspruch kann nur in engen Grenzen überhaupt Berücksichtigung finden.
2. Gelegenheit zur Stellungnahme geben
Grundlage für die Prognose muss nicht zwingend eine bereits erfolgte – rechtskräftige – strafgerichtliche Verurteilung sein. Die Erwartung, der Arbeitnehmer werde für längere Zeit an der Erbringung seiner Arbeitsleistung gehindert sein, kann auch im Falle der Untersuchungshaft berechtigt sein. Dann kommt es darauf an, ob die der vorläufigen Inhaftierung zugrunde liegenden Umstände bei objektiver Betrachtung mit hinreichender Sicherheit eine solche Prognose rechtfertigen. Da ohne rechtskräftige Verurteilung nicht auszuschließen ist, dass sich die Annahme als unzutreffend erweist, muss der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhaltsunternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben.
3. Überbrückungsmaßnahmen prüfen
Der Arbeitgeber ist im Falle der haftbedingten Arbeitsunfähigkeit typischerweise von der Lohnzahlungspflicht befreit. Es hängt von der Dauer der Haft sowie Art und Ausmaß der betrieblichen Auswirkungen ab, ob die Inhaftierung geeignet ist, einen Grund zur Kündigung abzugeben. Das ist sie immer dann nicht, wenn es dem Arbeitgeber zuzumuten ist, für die Zeit des haftbedingten Arbeitsausfalls Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen und dem Arbeitnehmer den Arbeitsplatzbis zur Rückkehr aus der Haft freizuhalten. Dies muss der Arbeitgeber stets prüfen.
4. Haftstrafe über zwei Jahre ausreichend
Jedenfalls dann, wenn im Kündigungszeitpunkt mit einer mehrjährigen haftbedingten Abwesenheit des Arbeitnehmers über zwei Jahre hinaus gerechnet werden muss, kann dem Arbeitgeber regelmäßig nicht zugemutet werden, lediglich vorläufige Maßnahmen zu ergreifen und auf eine dauerhafte Neubesetzung des Arbeitsplatzes zu verzichten.
5. Interessenabwägung im Einzelfall
Wie immer bedarf es schließlich einer individuellen Interessenabwägung. Alle Umstände des Einzelfalles müssen berücksichtigt werden. Allerdings ist bei der Interessenabwägung zu Lasten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, dass dieser die haftbedingte Arbeitsverhinderung in aller Regel selbst zu vertreten hat.
Fazit:
Im vorliegenden Fall war die ordentliche Kündigung wirksam. Der Arbeitgeber musste zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung mit einer mehrjährigen Freiheitsstrafe rechnen. Auch die bislang noch bestehende Bewährungsstrafe aus dem ersten Urteil war erschwerend zu berücksichtigen. Die Kündigung aus haftbedingten Gründen war daher wirksam.
Der Praxis ist in jedem Fall zu empfehlen, vor Ausspruch einer Kündigung mit dem Arbeitnehmer bzw. seinem Strafverteidiger Kontakt aufzunehmen und ihm umfassend Gelegenheit zur Stellung zu geben. Erst nach Abschluss dieser Aufklärungsmaßnahmen kann dann die Kündigung, wenn eine negative Prognose für mehr als zwei Jahre besteht, ausgesprochen werden.
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