01.07.2014 -

Unkündbaren Mitarbeitern darf nicht ordentlich gekündigt werden. Der Arbeitgeber ist im Grundsatz an die Unkündbarkeit und den Ausschluss der ordentlichen Kündigung gebunden. In bestimmten Fallkonstellationen aufgrund unternehmerischer Organisationsentscheidungen lässt das Bundesarbeitsgericht aber auch in solchen Fällen ausnahmsweise die außerordentliche betriebsbedingte Kündigung mit Auslauffrist zu. Die Anforderungen sind hoch. Der zuständige 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts hat dies in einer aktuellen Entscheidung nochmals bekräftigt (BAG, Urteil v. 22.08.2013 – 8 AZR 574/12).

Wir möchten von einer Wiedergabe des speziellen Sachverhalts an dieser Stelle absehen und die Kernaussagen der Entscheidung aufbereitet zusammenfassen.

I. Unkündbarkeit schließt Kündigung dennoch nicht aus

Kommt es auf Basis des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung zu einer jahrelangen Bindung des Arbeitgebers an ein Arbeitsverhältnis, in welchem er mangels sinnvoller Einsatzmöglichkeit keine werthaltige Gegenleistung mehr erhält, kann dies einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund kann durch eine (tarif)vertragliche Vereinbarung zur ordentlichen Unkündbarkeit nicht beschränkt werden. Der Ausschluss der ordentlichen Kündigung begründet nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichts keinen absoluten Schutz vor einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses aus betrieblichem Anlass, wenn denn die Voraussetzungen vorliegen, die an einen wichtigen Grund zu stellen sind.

II. Auslauffrist einhalten

Zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen und Nachteilen für den gerade besonders geschützten Arbeitnehmer hat der Arbeitgeber bei einer auf betriebliche Gründe gestützten außerordentlichen Kündigung zwingend eine der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist einzuhalten. Eine Verpflichtung zur Zahlung einer Abfindung entsteht dadurch aber nicht. Dafür fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage. Eine analoge Anwendung der §§ 9, 10 KSchG scheidet aus.

III. Wichtiger Grund

Ein wichtiger Grund für eine solche außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist kann sich aus dem Wegfall der Beschäftigungsmöglichkeit aufgrund innerbetrieblicher, von äußeren Faktoren nicht „erzwungener“ Maßnahmen ergeben.

Das Bundesarbeitsgericht betont erneut, dass unternehmerische Maßnahmen und Entscheidungen gerichtlich nicht auf ihre sachliche Rechtfertigung oder ihre Zweckmäßigkeit, sondern nur daraufhin zu überprüfen sind, ob sie offensichtlich unsachlich, unvernünftig oder willkürlich sind. Nachzuprüfen ist außerdem, ob die fragliche Entscheidung tatsächlich umgesetzt wurde und dadurch das Beschäftigungsbedürfnis für den einzelnen Arbeitnehmer wirklich entfallen ist.

Für die Bewertung der betrieblichen Erfordernisse als „dringend“ kommt es nicht darauf an, in welchem Ausmaß für das Unternehmen wirtschaftliche Vorteile durch die Maßnahme zu erwarten sind. Die unternehmerische Entscheidung zur Umorganisation ist mit Blick auf Art. 12 Abs. 1 S. 1 GG bis zur Grenze der offensichtlichen Unsachlichkeit, Unvernunft oder Willkür frei. Für eine beschlossene und tatsächlich durchgeführte unternehmerische Organisationsentscheidung spricht die Vermutung, dass sie aus sachlichen – wirtschaftlichen – Gründen getroffen wurde, Rechtsmissbrauch also die Ausnahme ist.

Hinweis für die Praxis:

Die Arbeitsgerichte überprüfen also nicht, ob die unternehmerische Entscheidung für den Bestand des Unternehmens notwendig, gar zwingend notwendig ist. Es kommt auch nicht darauf an, ob sich die Entscheidung nachträglich als Fehleinschätzung darstellt. Es ist ausschließlich dem Arbeitgeber überlassen, wie er sein Unternehmen führt, ob er es überhaupt weiterführt und ob er seine Betätigungsfelder einschränkt. Er kann daher grundsätzlich Umstrukturierungen allein zum Zwecke der Ertragssteigerung vornehmen.

IV. Sinnentleertes Arbeitsverhältnis

Ob ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist gegeben ist, hängt bei Unkündbarkeit davon ab, ob jedwede Möglichkeit ausgeschlossen ist, den Arbeitnehmer anderweitig sinnvoll einzusetzen, und der Arbeitgeber wegen des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung für erhebliche Zeiträume an ein sinnentleertes Arbeitsverhältnis gebunden und aus diesem zur Vergütung verpflichtet wäre. Der in Tarifverträgen an eine bestimmte Dauer der Betriebszugehörigkeit und ein bestimmtes Lebensalter geknüpfte Ausschluss der ordentlichen Kündigung ist regelmäßig nicht dahin zu verstehen, dass damit die Möglichkeit einer betriebsbedingten Kündigung generell, auch als außerordentliche, zumindest für die Fälle ausgeschlossen sein soll, in denen der Wegfall des Beschäftigungsbedürfnisses auf wirtschaftlich nicht dringend notwendigen unternehmerischen Organisationsentscheidungen beruht. Dass eine solche mittelbare Einschränkung der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit gewollt wäre, lässt sich tariflichen Regelungen, ohne besondere Anhaltspunkte nicht entnehmen.

Hinweis für die Praxis:

Etwas anderes kann gelten, wenn der tarifliche oder einzelvertragliche Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen die Gegenleistung des Arbeitgebers für einen Verzicht auf bestimmte Rechtsansprüche durch die Arbeitnehmer darstellt. Hier wird der Arbeitgeber vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung zunächst bis zum zeitlich vorgesehenen Ende des in aller Regel befristeten Kündigungsausschlusses abwarten müssen. Eine solche Einschränkung liegt aber eben nur dann vor, wenn zusätzliche Vereinbarungen getroffen wurden.

V. Umfassende Bemühungen zur Weiterbeschäftigung

Der Arbeitgeber muss schließlich eine Weiterbeschäftigung des vom Wegfall seines bisherigen Arbeitsplatzes betroffenen ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers umfassend und eingehend prüfen. Die Anforderungen sind hoch. Es muss sichergestellt sein, dass eine Kündigung unumgänglich ist. Bei der Prüfung, ob eine außerordentliche Kündigung – mit notwendiger Auslauffrist – gegenüber einem tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer berechtigt ist, ist zunächst die tarifliche Ausgestaltung des Sonderkündigungsschutzes als solche zu berücksichtigen. Stellt schon die tarifliche Regelung selbst dem Arbeitgeber bestimmte Reaktionsmöglichkeiten zur Verfügung, um sich bei dringenden betrieblichen Gründen aus einem unzumutbar gewordenen vertraglichen Zustand zu lösen, so hat er in erster Linie von diesem Gebrauch zu machen. Erst wenn feststeht, dass auch diese versagen, kann eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist gegenüber einem ordentlich unkündbaren Arbeitnehmer in Betracht kommen. Im Prozess hat der Arbeitgeber von sich aus darzutun, dass keinerlei Möglichkeit besteht, das Arbeitsverhältnis, ggf. zu geänderten Bedingungen und nach entsprechender Umschulung, sinnvoll fortzusetzen. Das Fehlen jeglicher Beschäftigungsmöglichkeit zählt bei der außerordentlichen betriebsbedingten Kündigung zum „wichtigen Grund“. Es ist deshalb vom Arbeitgeber darzulegen.

Fazit:

Unkündbarkeit bindet nicht ewig. Das Bundesarbeitsgericht hat dies nochmals sehr deutlich bekräftigt. Vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist müssen aber alle denkbaren Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten, inklusive Umschulung, intensiv geprüft werden. Nur wenn der Arbeitgeber ein völlig sinnentleertes Arbeitsverhältnis fortführen müsste, kann auch dem Unkündbaren betriebsbedingt aus wichtigem Grund gekündigt werden.

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